Viele Saar-Unternehmen schlagen Alarm
Immer mehr saarländische Betriebe sehen ihr weiteres Geschäft und ihren Bestand gefährdet. Das hat eine Sonderumfrage der Saar-Industrieund Handelskammer unter 381 Unternehmen aus verschiedensten Branchen ergeben, die rund 90 000 Beschäftigte repräsentier
Alle Branchen der saarländischen Wirtschaft sehen ihre Zukunft zunehmend gefährdet. Das hat eine Sonderumfrage der Industrie- und Handelskammer (IHK) unter insgesamt 381 Saar-Unternehmen ergeben. Von der Industrie über den Mittelstand bis hin zu Dienstleistungsbetrieben. Die Umfrage wurde in der Zeit vom 25. Januar bis 7. Februar 2024 erstellt. Mit zum Teil alarmierenden Ergebnissen.
So wird als größtes Hemmnis für den Fortbestand der Unternehmen im Saarland und ihre Geschäftsentwicklung mittlerweile die Wirtschaftspolitik der Ampel-Bundesregierung in Berlin genannt, konkret die allgemeinen wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen. Zwei Drittel der befragten Unternehmen nannten dies als Hauptgrund. Dieses Risiko steht an erster Stelle aller genannten Gründe für Probleme in der Standortpolitik. „Das hat es so noch nie gegeben. Die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen sind zum ersten Mal das dominierende Risiko“, sagte der Hauptgeschäftsführer der Kammer, Frank Thomé, der die Umfrage zusammen mit Geschäftsführer Carsten Meier vorstellte. „Dabei ist es doch die Aufgabe der Politik, für gute, verlässliche Rahmenbedingungen zu sorgen. Unternehmen muss man Freiräume lassen, damit sie erfolgreich wirtschaften können. Und genau das findet derzeit nicht statt“, kritisierte der Hauptgeschäftsführer der Kammer.
Thomé forderte von der Bundesregierung ein energisches Umdenken und „eine mutige und umfassende Reformagenda zur nachhaltigen Verbesserung der Standortbedin
gungen, insbesondere bei den Kosten“. Zugleich äußert er jedoch auch offen Zweifel, ob dieses Projekt der amtierenden Bundesregierung noch gelingt. „Die Ampel-Koalition in Berlin hat in der Wirtschaft massiv an Vertrauen verloren“, erklärte der IHK-Hauptgeschäftsführer. „Die Unternehmen haben keine ausreichende Planungssicherheit.
Die Stimmung ist von Verunsicherung geprägt.“Oberstes Ziel der Bundesregierung müsse es deshalb sein, „generell mehr Klarheit, Verlässlichkeit und Planbarkeit bei allen politischen Vorhaben zu garantieren“.
Besonders die Energiewende habe die Saar-Wirtschaft schwer belastet. 66 Prozent der befragten Unternehmen melden gestiegene Kosten durch die Energiewende gemessen am Umsatz. Dadurch werde zugleich das Ziel des Umwelt- und Klimaschutzes gefährdet. Denn 37 Prozent der befragten Unternehmen aus der Industrie geben an, aus Kostengründen Klimaschutzmaßnahmen zurückgestellt zu
haben. Aus den übrigen Branchen äußern 29 Prozent der Befragten dieses Verhalten. Zugleich würden so auch wichtige Innovationen und Investitionen behindert, weil kein finanzieller Spielraum mehr bleibe. 38 Prozent der befragten Unternehmen geben an, in den kommenden zwölf Monaten ihre Investitionstätigkeit zu reduzieren.
„Besonders hoch ist der Druck in der Industrie“, stellte Thomé fest. Vor allem die hohen Energie- und Arbeitskosten, aber auch die Steuer- und Abgabenlast machten den Betrieben zu schaffen. Als Folge davon müsse man im laufenden Jahr auch mit zunehmendem Personalabbau rechnen, besonders in der Industrie, die das Rückgrat der saarländischen Wirtschaft darstelle. Das sei auch deshalb hoch gefährlich, weil ohnehin schon ein Fachkräftemangel bestehe. Doch immer mehr Betriebe seien nicht mehr in der Lage, die in Deutschland im Vergleich zu Mitbewerbern, insbesondere auch aus Osteuropa, ausufern
den Standortkosten in den Griff zu bekommen. Aus der Saar-Industrie kommen die meisten Befürchtungen, sich von Beschäftigten trennen zu müssen, gefolgt von der Bauwirtschaft und dem gesamten Bereich der Dienstleistungsbetriebe.
Eine deutliche Warnung hat die Auswertung der Arbeitskosten ergeben. Demnach liegt im europäischen Vergleich Deutschland bei der Höhe der finanziellen Belastungen für das Verarbeitende Gewerbe an dritter Stelle nach Dänemark und Belgien. Äußerst günstig schneiden dagegen Konkurrenten wie Tschechien, die Slowakei, Polen und Ungarn ab. Dies müsse man berücksichtigen, da deutsche Industrie-Unternehmen verstärkt die Absicht äußerten, aus Deutschland abzuwandern oder neue Werke in Osteuropa zu bauen, mahnte die IHK. Gleichzeitig würden auch bereits bestehende Werke außerhalb von Deutschland erweitert. So investiert etwa der Getriebehersteller ZF mit seinem großen Werk in Saarbrücken derzeit massiv in den Ausbau des amerikanischen Werks in Gray Court im Staat South Carolina. Abwanderungsabsichten saarländischer Unternehmen sind der Kammer jedoch nach gegenwärtigem Stand noch nicht bekannt,
räumte Thomé ein.
Ein Mittel, Deutschland vor einer Abwanderungswelle großer Unternehmen zu bewahren, sieht die Industrie- und Handelskammer in einer grundlegenden Steuerreform. Kern müsse die Senkung der Strom- und Energiesteuern auf das europäische Mindestmaß sein. Zugleich forderte die Kammer die Verringerung der Unternehmensbesteuerung auf ein wettbewerbsfähiges Niveau (maximal 25 Prozent). Weitere wirkungsvolle Maßnahmen seien die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags sowie steuerfreie Überstunden.
Auch innerhalb der Bundesländer bestehe ein großes Ungleichgewicht bei den Standortkosten. So zahle eine typische mittelständische Kapitalgesellschaft im Saarland durchschnittlich etwa 47 500 Euro pro Jahr mehr an Gewerbe- und Grundsteuern als das jeweilige Pendant in Rheinland-Pfalz. Gegenüber Baden-Württemberg betrage die Mehrbelastung sogar 48 200 Euro. Das sei nicht nachzuvollziehen. Viel zu lange Planungs- und Genehmigungsverfahren stellten ein weiteres Standort-Hemmnis für Investitionen dar. Der Aufwand für Bürokratie müsse dringend verringert werden, hieß es.
„Die Stimmung ist von Verunsicherung geprägt.“Frank Thomé IHK-Hauptgeschäftsführer