Blau-schwarze Spuren der Fan-Liebe
Geklebt und gesprayt, manchmal auch nicht ganz legal: Die Zuneigung zum 1. FC Saarbrücken ist in der Stadt allgegenwärtig.
Die Liebe geht manchmal seltsame Wege. So ist es auch bei Fußballfans. In den vergangenen 25 Jahren feierte die Ultra-Kultur dabei einen Siegeszug. Aus Italien auch nach Deutschland geschwappt, explodierte die meist jugendlich geprägte Subkultur mit einer besonders ausgeprägten Liebe zum Verein regelrecht. So auch beim 1. FC Saarbrücken, wo seit Ende der 90er-Jahre, der Autor war mit dabei, Fans und Gruppen wie der Supporters Club 95 oder die „Boys“riesige Zaunfahnen, große Schwenkfahnen, Doppelhalter und mehr bastelten, um die Mannschaft im Stadion beeindruckender als zuvor zu unterstützen. Mittlerweile ist die Ultra-Bewegung in Saarbrücken viel mehr als nur der organisierte „Support“bei Heim- und Auswärtsspielen.
Die Ultras der „Virage Est“des Ludwigsparks genießen deutschlandweit einen guten Ruf, haben mit ihrem französisch geprägten Stil ein Alleinstellungsmerkmal. Und sie sammeln bei vielen Gelegenheiten Geld für den guten Zweck, engagieren sich gesellschaftlich stark, für Vielfalt, bei Typisierungsaktionen für Leukämiekranke, einem eigens für karitative Zwecke veranstalteten Weihnachtsmarkt und vieles mehr. Sie beginnen Freundschaften über Grenzen hinweg und betreiben so gelebte Völkerverständigung, so wie mit den
Fans und Ultras des AS Nancy aus Frankreich oder Austria Salzburg aus Österreich.
Ultras organisieren beeindruckende Choreografien, malen Banner und Transparente oder mit Genehmigung das eigene Stadion an. In Motiven wie hinter den Stehplätzen der Virage des Ludwigsparks steckt viel Kreativität – und verdammt viel Arbeit. Ultras sprechen im Allgemeinen nicht mit der Polizei oder der Presse. Sie äußern sich auch politisch, auch mit Spruchbändern im Stadion – auch mit Erfolg, wie jetzt beim Kampf gegen einen Investoren-Einstieg. Sie schlagen mit ihrer Fundamentalkritik an der Polizei auch mal über die Stränge, ihr Ton ist gerne mal martialisch. Und manchmal, wenn der Verein „mal wieder nichts auf die Reihe kriegt“, wie Spötter sagen, springen die Ultras und engagierten Fans der Fanszene ein und feiern beispielsweise wie im vergangenen April den 120. Geburtstag des Traditionsvereins mit einem großen Fanmarsch samt Feuerwerk.
Und damit sind wir auch bei Auswüchsen, die es schon früher gab, und mit der UltraBewegung überhand genommen haben. Wie riesige Schwenkfahnen, die 90 Minuten in Bewegung sind und den Fans dahinter die Sicht auf den Platz nehmen. Wobei das diejenigen, die es betrifft, wissen, und ausweichen können. Anderes Beispiel: Für viele Zuschauer sehen Bengalos und Rauchpulver durchaus schön und beeindruckend aus, Smartphones werden gezückt. Nur: Pyrotechnik in Stadien ist aufgrund der Gefährlichkeit, über die auch immer wieder gestritten wird, verboten. Verletzungen kommen durchaus mal vor. Und wer als Asthmatiker mal in einer fetten Rauchwolke gestanden und gehustet hat, weiß, dass das nicht schön ist. Die Konsequenz sind Stadionverbote (SV) meist über zwei Jahre. Trotzdem fahren die SV'ler mit ihren Freunden auswärts und warten dann vor dem Stadion oder in der Stadt, ohne das Spiel sehen zu dürfen.
Insgesamt soll es in Deutschland mehr als 25 000 Ultras geben, organisiert in mehr als 300 Gruppen, ergab 2016 eine Bestandsaufnahme, mittlerweile dürften es sicher mehr sein. Und manche Mitglieder sind laut Forschern durchaus gewaltbereit, wie die Vergangenheit zeigte, auch das soll in diesem Kontext nicht verschwiegen werden.
Es ist eine männlich geprägte Subkultur, in der man Freunde findet, die sich „Bruder“nennen. Und eine, die mittlerweile überall in der Stadt sichtbar ist. Junge Menschen wollen ihr Umfeld mitgestalten, ihre Meinung ausdrücken. Und: Fans und Ultras, so könnte man es etwas spöttisch nennen, markieren gerne ihr Revier. Die Botschaft: Hier ist unser Terrain. Revierverhalten, wie wenn der neue Freund seiner Flamme Blumen zum Valentinstag in die Firma schickt, letzterer Übeltat wurde auch der Autor dieser Zeilen schon mal schuldig. Männer sind doch nur große Hunde, soll mal eine Frau gesagt haben.
Seit Jahren fallen auch blau-schwarz bemalte Stromkästen, zehntausende Aufkleber auf Laternenmasten, auf Mülleimern und Schildern oder Graffiti auf Wänden in der Stadt auf. Viele Autobahn-Brücken im Saarland sind blau-schwarz bemalt, bevor sie hinter der Landesgrenze aufgrund eines anderen unbedeutenden Vereins rotweiß bemalt sind. Und in anderen Regionen geht es noch deutlich „bunter“zu. In Ost-Deutschland ist auf der A4 genau zu erkennen, wo das „Territorium“von Rot-Weiß Erfurt beginnt und endet und wo dann das blau-gelb-weiße „Hoheitsgebiet“der Fans des FC Carl Zeiss Jena beginnt. Um Dresden oder Rostock hängen Zehntausende Aufkleber, auf denen „Hansa-Zone“oder „Dynamo-Zone“steht. Es geht aber auch legal. So stellten Ultras von Bayer Leverkusen einen Antrag an die städtische Kulturabteilung, offiziell Brücken besprühen zu dürfen. Da es aus baufachlicher Sicht kein Problem war, wurde die Bemalung genehmigt.
In den Innenstädten, in Burbach oder auf dem Eschberg, in Dudweiler oder Güdingen, steht Saarbrücken dabei wie andere Städte vor einer Sysiphosarbeit, für jeden abgekratzten Aufkleber bei Sauberkeitskampagnen werden woanders wohl wieder zwei neue Aufkleber hingeklebt. Der Autor dieser Zeilen als bekennender Fan des Malstatter Vereins mag diese auch vom Reiz der Illegalität getragene Art der „Verschönerung“nicht schlimm finden, andere Zeitgenossen sehen das wohl eher als freche Sachbeschädigung. Nur: Aufhalten lässt sich das Ganze wohl kaum, ähnlich wie bei Aufklebern der Antifa, der 68er, bei Graffiti-Tags von jugendlichen Sprayern oder in den 80ern den Aufklebern der Atomkraftbewegung. Instagram-Seiten mit Namen wie „Stickerromantik“oder „Urban Art“feiern diese Art der „Kunst“.
Übrigens: Neulich auf einer Laterne direkt am Arbeitsweg hatte jemand doch einen Aufkleber eines anderen Vereins, dessen Name der Autor sich weigert auszusprechen, auf einen FCS-Sticker geklebt. Ein Affront. Ein Anblick, so erfreulich wie ein Hundehaufen. Man musste ihn einfach entfernen.
Bei den Stromkästen, die technisch genau Verteilerschränke heißen, ist es besonders augenscheinlich. Vorher, in Grau, fielen sie keinem auf. Jetzt als Projektionsfläche von Fans und Ultras, die meist im Schutze der Dunkelheit sprühen oder mit Farbrollen Logos des Vereins oder ihrer Gruppe per Schablone anbringen, springen sie ins Auge. Mittlerweile dürfte wohl an mehr als 50 Prozent aller Laternenmasten in Saarbrücken ein FCS-Aufkleber zu finden sein. Wir haben uns für diese Seite umgeschaut – und hingeschaut. Urbane Einsichten eingefangen. Und vielleicht stimmt es die Menschen, denen das Ganze aus für sie guten Gründen ein Dorn im Auge ist, etwas milder: Es passiert aus Liebe. Denn wie sang einst Connie Francis so schön: Die Liebe ist ein seltsames Spiel.