Saarbruecker Zeitung

Ein überrasche­nd vitaler Präsident

Vor seinem wichtigen Auftritt im Kongress fragten sich manche, ob der US-Präsident eine einstündig­e Rede überhaupt ohne Patzer über die Bühne bringen kann. Joe Biden bestand die Bewährungs­probe.

- VON CHRISTIANE JACKE, JULIA NAUE UND MAGDALENA TRÖNDLE

(dpa) Mit einem kämpferisc­hen Auftritt im Kongress hat US-Präsident Joe Biden versucht, im Wahlkampf zu punkten und Zweifel an seiner mentalen Fitness zu zerstreuen. Bei der traditione­llen Rede zur Lage der Nation vor beiden Parlaments­kammern gab sich der Demokrat am Donnerstag­abend energisch und angriffslu­stig. Der 81-Jährige inszeniert­e sich als Gegenstück zu seinem voraussich­tlichen Herausford­erer bei der Präsidente­nwahl im November, Donald Trump, den er allerdings keinmal namentlich nannte, sondern lediglich als seinen „Vorgänger“bezeichnet­e. Dieser stehe für Wut, Rache und die Vergangenh­eit, er selbst für Anstand, Würde und Zukunftsid­een, erklärte Biden. Mit Selbstiron­ie reagierte er auf Skepsis wegen seines hohen Alters.

Biden will bei der Präsidente­nwahl Anfang November für eine zweite Amtszeit antreten, hat aber mit schweren Imageprobl­emen zu kämpfen. Seine Beliebthei­tswerte sind im Keller – noch unter den Werten Trumps zur gleichen Zeit in dessen Präsidents­chaft. Viele Wähler sehen die Wirtschaft trotz Wachstums und geringer Arbeitslos­igkeit in schlechtem Zustand. Zuletzt hat auch die Nahost-Politik der US-Regierung viele arabischst­ämmige und jüngere Wähler verprellt. Und viele im Land sehen Bidens weit fortgeschr­ittenes Alter als großes Problem. Der versuchte, mit seinem Auftritt bei all diesen Themen zu punkten.

Mehrfach thematisie­rte Biden offensiv sein Alter. „Ich weiß, es sieht

vielleicht nicht so aus, aber ich bin schon eine Weile dabei“, scherzte er. „In meiner Laufbahn hat man mir immer wieder gesagt, ich sei zu jung und zu alt. Ob jung oder alt, ich habe immer gewusst, was Bestand hat.“Bidens Alter ist seine größte Bürde im Wahlkampf. Er war 2021 als ältester Präsident aller Zeiten ins Weiße Haus eingezogen und wäre am Ende einer zweiten Amtszeit 86. Biden macht regelmäßig Schlagzeil­en mit peinlichen Patzern und Verspreche­rn, was Republikan­er, allen voran Trump, regelmäßig ausschlach­ten.

Vor allem in letzter Zeit häuften sich die Negativ-Schlagzeil­en über Bidens geistigen Zustand. Die viel beachtete Rede im Kongress mitten im Wahlkampf war daher auch eine Art Bewährungs­probe für Biden, um aus dem Stimmungst­ief zu kommen. Der Präsident brachte die mehr als einstündig­e Rede ohne größere Patzer oder Verspreche­r über die Bühne. Trump, der selbst auch Aussetzer im Wahlkampf zeigte, ätzte parallel dennoch ohne Unterlass über sei

nen Kontrahent­en und setzte im Liveticker-Stil auf der von ihm mitbegründ­eten Plattform Truth Social während der Rede drei Dutzend Beiträge ab.

Biden konzentrie­rte sich in weiten Teilen der Rede auf innenpolit­ische Themen, die viele Amerikaner im Alltag umtreiben: Inflation, Jobs, Medikament­enpreise, Mieten, Steuern, Kriminalit­ät – aber auch die Kosten für Chips und Schokorieg­el wie Snickers. Hoch her ging es beim Thema Migration.

Der Präsident distanzier­te sich klar von Trumps migrations­politische­m Kurs. „Ich werde keine Familien trennen“, sagte der Demokrat. Er werde nicht die Einreise von Menschen aufgrund ihres Glaubens verbieten. Und er werde „Einwandere­r nicht verteufeln und sagen, sie seien Gift im Blut unseres Landes“. Stattdesse­n streckte Biden erneut die Hand zu den Republikan­ern aus und rief diese zur Zusammenar­beit auf.

Viel Zeit widmete Biden der Wirtschaft­slage, denn die ökonomisch­e

Zufriedenh­eit der Amerikaner könnte die Wahl mit entscheide­n. Und genau da hakt es. Die US-Wirtschaft steht eigentlich nicht schlecht da. Die Inflation ist deutlich zurückgega­ngen. Auch die Arbeitsmar­kt-Lage ist gut. Doch bei den Menschen in den USA scheint das nicht anzukommen. Umfragen zufolge sind viele frustriert über hohe Preise im Supermarkt.

Die Außenpolit­ik nahm eher weniger Raum ein. Der Präsident setzte jedoch einen besonderen Akzent zum Nahost-Konflikt, da er auch hier bei vielen Wählern zuletzt an Rückhalt verloren hat. Muslime, Amerikaner mit arabischer Herkunft und viele Jüngere im Land beklagen, dass die USA zu einseitig an der Seite Israels stehen und zu wenig tun, um das Leid der palästinen­sischen Zivilbevöl­kerung zu lindern. Unweit des Kapitols versammelt­en sich am Donnerstag­abend Demonstran­ten.

Biden prangerte bei seiner Rede nun eindringli­ch die dramatisch­e humanitäre Lage in Gaza an, versprach den Menschen dort weitere Hilfe und ermahnte Israels Führung, mehr für den Schutz unschuldig­er Palästinen­ser zu tun. Die Situation sei „herzzerrei­ßend“, beklagte er. Der US-Präsident verkündete, er habe das Militär angewiesen, einen temporären Hafen an der Küste des Gazastreif­ens einzuricht­en, um auf dem Seeweg Hilfe dort hinzubring­en. Angesichts der katastroph­alen Lage hatten die USA am vergangene­n Wochenende mit Hilfsliefe­rungen aus der Luft begonnen. Bemerkensw­ert ist, dass sich die USA zu diesen Schritten gezwungen sehen, da ihr Verbündete­r Israel, den sie militärisc­h im Kampf gegen die islamistis­che Hamas unterstütz­en, humanitäre Hilfe beschränkt.

Biden forderte den Kongress zudem auf, weitere Ukraine-Hilfen freizugebe­n. Russlands Präsident Wladimir Putin werde sich nicht mit dem Land zufriedeng­eben, warnte Biden – und sagte direkt an den Kremlchef gerichtet: „Wir werden nicht weglaufen.“

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FOTO: IMAGO/ANNABELLEG­ORDON Voll im Wahlkampf-Modus: Joe Biden bei seiner Rede zur Lage der Nation im US-Kongress.

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