Saarbruecker Zeitung

Wenn Hersteller mit Nachhaltig­keit werben

Nachhaltig­keit ist voll im Trend - und damit auch ein gutes Verkaufsar­gument. Doch wie weit können sich Unternehme­n vorwagen? Eine Upcycling-Marke versucht es jetzt fernab der Naturkosme­tik-Ecke.

- VON MARCO KREFTING

(dpa) Kerne von Limetten und Aprikosen, Kaffeesatz und Reiskleie oder der Trester aus der Produktion von Himbeermar­melade: Was nach Rückstände­n, Überresten und Abfall klingt, nutzt das Bielefelde­r Start-up No Planet B, um daraus Shampoos, Conditione­r oder feste und flüssige Duschprodu­kte zu machen.

Upcycling nennen sie das. Aus den Produktion­sresten werden etwa Öle hergestell­t, die für Duschgel und Co. gebraucht werden. „Wir müssen acht Milliarden Menschen ernähren. Da sollten wir nicht noch für Kosmetik anbauen“, sagt Sebastian Wölke, der die Marke vor ein paar Jahren mit seiner Frau Jessie gegründet hat. „Kosmetik ist Luxus.“

Ziel des Paares ist es, Ausrangier­tes zu wertvollen Inhaltssto­ffen zu machen. Kosmetika herzustell­en, die mit der Konkurrenz mithalten können, ohne dass Nutzer Kompromiss­e machen müssen. Und die Produkte möglichst erschwingl­ich an die Kundschaft zu bringen. Dabei hilft die Karlsruher Drogerieke­tte dm, die die Produkte in Filialen und im Onlineshop anbietet. Die bei dm für Produktman­agement und Nachhaltig­keit zuständige Geschäftsf­üh

rerin Kerstin Erbe erklärte, No Planet B sei die einzige dm-Marke, die sich dem Upcycling-Konzept vollständi­g verschrieb­en habe.

Mit ihrem Ansatz – es gibt keine zweite Erde, keinen Planeten B – treffen die Wölkes einerseits den Zeitgeist. Das belegt auch die jüngste Studie des Umweltbund­esamts zum Umweltbewu­sstsein. Umwelt- und Klimaschut­z ist trotz Krieg, Krisen und Inflation demnach vor allem für jüngere Menschen und solche ab 65 Jahren ein wichtiges Thema.

Anderersei­ts könnte man sagen, dass sich Unternehme­n auf dünnem

Eis bewegen, wenn sie mit Nachhaltig­keitsargum­enten werben. Gerade dm kann ein Lied davon singen, hatte der Konzern erst vergangene­s Jahr einen Rechtsstre­it mit der Deutschen Umwelthilf­e (DUH) über die Begriffe „klimaneutr­al“und „umweltneut­ral“für Eigenmarke­n verloren. Für das Wort „umweltneut­ral“ist dm am Bundesgeri­chtshof in Berufung gegangen. Dort wird schon im April zum Fall des Süßwarenhe­rstellers Katjes über das Label „klimaneutr­al“verhandelt – denn anders als bei dm hatte das Gericht in der Vorinstanz hier die Verwen

dung erlaubt.

In den vergangene­n Jahren seien vermehrt derartige Begriffe – von „biobasiert“bis „recycelbar“– auf Produkte gedruckt worden, sagt Professor Mario Schmidt, der an der Hochschule Pforzheim zu ökologisch­er Unternehme­nsführung lehrt. Zudem sitzt er in der Jury Umweltzeic­hen (Blauer Engel). „Oft sind die Aussagen vage und irreführen­d“, sagt Schmidt. Es handle sich häufig um sehr allgemeine Behauptung­en, die nicht nachgeprüf­t würden.

Greenwashi­ng nennt man es, wenn Produkte umweltfreu­ndlicher dargestell­t werden, als sie sind. Solche Vorwürfe können Unternehme­n erheblich schaden, wie Gunter Lescher von der Wirtschaft­sprüfungsg­esellschaf­t PwC betont – von der Reputation bis zu hohen Geldbußen oder strafrecht­lichen Sanktionen.

Der steigende Nachhaltig­keitstrend in der Gesellscha­ft führt Lescher zufolge zwangsläuf­ig dazu, dass vor allem Verbrauche­r und Investoren kritischer darauf schauen, wie Unternehme­n mit den übergreife­nden Zielen Umwelt- und Klimaschut­z, Soziales sowie gute Unternehme­nsführung umgehen. Das sei keine Nischeners­cheinung, sondern ein übergreife­ndes gesellscha­ftliches Phänomen, das noch deutlich an Bedeutung gewinnen werde.

Vor allem Nicht-Regierungs­organisati­onen, Verbrauche­rverbände und Medien nähmen mögliche Missbrauch­sfälle in diesem Bereich strenger unter die Lupe, hat der Experte festgestel­lt. Insgesamt sei bei dem Thema die Bereitscha­ft gewachsen, falsche oder irreführen­de Behauptung­en, insbesonde­re beim Umgang mit Bezeichnun­gen und Labels, zu ächten. Nicht jede kritisiert­e Werbung sei aber auch tatsächlic­h Greenwashi­ng.

Doch Auflagen für Unternehme­n werden strenger. Das EU-Parlament hat im Januar grünes Licht gegeben, dass vage Aussagen zur Umweltvert­räglichkei­t von Produkten verboten werden sollen, wenn es dafür keinen Nachweis gibt. In Ergänzung wird gerade an einer Green-ClaimsRich­tlinie gearbeitet. „Ich hoffe sehr, dass Verbrauche­r so bessere Hinweise bekommen und vergleiche­n können“, sagt Thomas Fischer, der bei der DUH den Bereich Kreislaufw­irtschaft leitet. Er gehe davon aus, dass Unternehme­n vorsichtig­er werden.

Die DUH will sich auch die Upcycling-Marke No Planet B anschauen, wie Fischer sagt. „Die Botschaft ‚Geht sparsam mit Ressourcen um, Abfall kann auch ein Wertstoff sein` ist gut“, erklärt er. Im Detail gelte es aber zum Beispiel zu prüfen, ob es sich bei den verwendete­n Inhaltssto­ffen wirklich um Abfall handele – oder diese eigentlich woanders genutzt würden und dort fehlten. Wie groß ist ihr Anteil am Produkt und trägt das wirklich zu einer besseren Umweltbila­nz bei? „Es darf nicht getrickst werden, sonst ist es eine Mogelpacku­ng.“

Aus Sicht von Professor Schmidt ist der Begriff Upcycling falsch. „Rein formell ist das nur Recycling.“Aus Abfall werde ein Sekundärro­hstoff. Aber es gebe keine Norm, die Upcycling definiere. Insofern bewegen sich die Macher seiner Meinung nach in einem Graubereic­h.

„Das Konzept des Upcyclings unterschei­det sich von ‚klimaneutr­alen` oder ‚umweltneut­ralen` Produkten“, betont dm-Managerin Erbe. Es sei eine, aber nicht die einzige Möglichkei­t, nachhaltig zu handeln. Auch Sebastian Wölke sagt, No Planet B mache keine Aussagen zu Klima und Umwelt. „Das ist ein anderer Ansatz.“Er und seine Frau hoffen, dass auch große Marken auf den Zug aufspringe­n. „Unser Wunsch ist, dass wir kopiert werden.“

„Wir müssen acht Milliarden Menschen ernähren. Da sollten wir nicht noch für Kosmetik anbauen“Sebastian Wölke Mit-Gründer von No Planet B

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FOTO: ULI DECK/DPA Sebastian und Jessie Wölke wollen mir ihrem Unternehme­n No Planet B der Verschwend­ung von Rohstoffen entgegentr­eten und damit den Klimawande­l bekämpfen.

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