Essen und Trinken ist Leben und Gesellschaft
Anlässlich des Tages der Archive öffneten am vergangenen Wochenende bundesweit Archive ihre Pforten. „Essen und Trinken“lautete das Rahmenthema. Das Saarländische Landesarchiv hat dazu eine Ausstellung konzipiert, die noch bis nächstes Jahr zu sehen ist.
Als das Landesarchiv am vergangenen Samstag um 10 Uhr seine Pforten öffnet, ist vor dem verwinkelten Gebäude niemand zu sehen. Von Gastronomen wie Oliver Häfele oder Klaus Erfort keine Spur – nicht einmal ein Rostwurstwagen oder Bierstand im kleinsten bundesdeutschen Flächenland mit der gefühlt höchsten Koch- und Genusskompetenz. Nichts, rein gar nichts deutet auf die Ausstellungseröffnung hin.
Und dennoch finden meist ältere Besucherinnen und Besucher den Weg in die Ausstellung, um sich auf eine Zeitreise durch die Welt der saarländischen Ess- und Trinkkultur zu begeben.
„Mahl-Zeiten. Geschichten vom Essen und Trinken im Saarland“heißt die Ausstellung, in der etwa 120 großformatige Reproduktionen von Fotografien, Plakaten und Dokumenten gezeigt werden. Kuratiert vom Historiker Paul Burgard, der mit zehn weiteren Mitarbeitern des Landesarchivs die Auswahl getroffen und auf die vier Themen-Räume verteilt hat. Der sogenannte Treppenweg leitet die Besucher einmal durchs Archiv vom Erdgeschoss bis in die oberste Etage – ein schöner Ausblick auf den Scheidter Berg inbegriffen.
Erster Themenraum – „Vom Haferbrei zur Haute Cuisine“: Die ausgestellten Fotografien und Originaldokumente werfen im Sinne eines initialen Überblicks „Schlaglichter auf die saarländische Esskultur“, erläutert Burgard.
Dazu zählen die großformatigen Schwarzweiß-Fotografien, auf denen ein saarländischer Zollbeamter in der Autonomiezeit eine Flasche Beckers kritisch inspiziert, Angehörige der SA lächelnd beim „Eintopfsonntag“in Dudweiler am 5. März 1936 mit Suppenlöffeln posieren und die prachtvolle Fleisch- und Wurstauslage einer Schröder-Filiale, die heutige Betrachter ob der fleischlichen Opulenz verdutzt die Augen reiben lässt.
Überhaupt findet sich viel Fleisch in den Fotografien – von abgetrennten Ochsenköpfen im Schlachthof über kollektive Hausschlachtungen im Freien bis hin zu fein drapierten Delikatessen im Saarbrücker Restaurant Légère. Der Fleischkonsum spiegelt nicht nur die individuellen Vorlieben, sondern eben auch die Verfügbarkeit der begehrten Ware sowie den soziokulturellen Status der abgebildeten Konsumenten wider.
Eine spannende und aufschlussreiche Bestandsaufnahme des
Fleischkonsums, zu dem nicht zuletzt auch Andreas Klicker aus Völklingen beigetragen hat. Am 11. Januar 1780 wurde Klicker gegen „drey Gulden an die Zunft“in die Saarbrücker Metzgerzunft aufgenommen. So steht es geschrieben auf dem Faksimiledruck des kunstvollen, in altertümlicher Handschrift verfassten „Decretum ad Supplicam“.
Doch nicht jeder Besucher wird das Dokument entziffern können. Deshalb stellen die Ausstellungsmacher einen QR-Code bereit, der via Smartphone zu einer einwandfrei leserlichen Version des historischen Dokuments führt.
Dass der Großteil der saarländischen Bevölkerung bis tief ins 19. Jahrhundert mit und von der Landwirtschaft lebte, bezeugen die ausgestellten Werke zur „Not und Naturalwirtschaft“– darunter beeindruckende Fotografien von „Ar
beiterbauern“. Während bis zum 20. Jahrhundert der „Schmalhans als Küchenmeister“dominierte, gab es mit dem Wirtschaftswunder auch im Saarland schließlich „Essen für alle“, so der Name des dritten Themenraums.
„Die 1950er Jahre haben in der saarländischen Ernährungsgeschichte einen besonderen Platz“, erläutert Burgard. Denn in der Autonomiezeit konnten sich einige saarländische Marken auf dem Lebensmittelmarkt etablieren. Ihre Namen wurden sprichwörtlich und ihre Werbeslogans hallten lange über das Ende des Saarstaats hinaus.
Die Salzstangen namens „Stixi“, die „gute Landsieg“Margarine oder „Pauls Eiernudeln“sind nur drei Beispiele dafür, wie die Saarländer nicht nur als Konsumenten am Essen für alle beteiligt waren. Dass sich hinter dem folkloristischen Slogan „Haupt
sach gudd gess“lange eine notwendige Voraussetzung für die Verrichtung von schwerer Arbeit verbarg, mag heute fast in Vergessenheit geraten. „Essen und Trinken ist Leben und Sterben, Macht und Ohnmacht, Freundschaft und Feindschaft, ist Politik und Wirtschaft, Religion und Gesellschaft. Essen und Trinken verbindet die Menschen ganz elementar mit ihrer Welt“, ist in der Ausstellung zu lesen.
Und „Essen und Trinken gehören seit den 1970er Jahren zum Identitätskern des Landes“, betont Burgard mit Verweis auf die Kampagne „Alle reden vom guten Essen. Wir haben es … Das Saarland“.
Heute wie damals gilt „Berlin im Kopf, Paris im Topf“könnte man beim Rundgang schlussfolgern. Denn kulturell und kulinarisch konnte Frankreich einfach nicht übertroffen werden. Es dauerte zwar einige Generationen, um den saarländischen Widerspruch zwischen deutschem Denken und französischem Gaumen zu überwinden, doch die ausgestellten Geschichten vom Essen und Trinken im Saarland können
ebenso als deutsch-französische Beziehungsgeschichte interpretiert werden.
Zwischen der einstigen Feindschaft und der heutigen Freundschaft stehen viele Dinge, die wie die Liebe durch den Magen gehen: der Flammkuchen im lothringischen Gasthaus Woll, die Haute Cuisine der Sterneküche auf deutscher Seite der Grenze und nicht zuletzt der heilige Saarringel aus Fleisch, der als Lyoner natürlich einen französischen Namen trägt. „Ich bin echt überrascht. Ich bin mit wenig Erwartungen hier
hergekommen, aber jetzt erstaunt über diese tollen Fotografien“, sagt Thomas Rohe, der von seinem Ehemann Ulrich auf die Ausstellung aufmerksam gemacht wurde. „Es ist wirklich ein Zeitspiegel. Die Fotografien zeigen eine ganz andere Realität als das, was man heute so alltäglich gewöhnt ist. Mich überraschen vor allem diese vielen Menschen auf den Fotografien von der Bahnhofstraße in den 60er Jahren. Wenn ich mir das heute angucke, dann frage ich mich, wo diese ganzen Menschen geblieben sind.“
Dass sich hinter dem Slogan „Hauptsach gudd gess“lange eine notwendige Voraussetzung für die Verrichtung von schwerer Arbeit verbarg, mag heute fast in Vergessenheit geraten.