Saarbruecker Zeitung

Nachricht vom Chef am Wochenende

In der Freizeit wollen Arbeitnehm­er vom Job abschalten. Aber was, wenn sie dennoch ständig kontaktier­t werden?

- VON SABINE MEUTER

(dpa) Rein ins Privatlebe­n: Viele Beschäftig­te freuen sich nach der Arbeit auf ihren Feierabend, aufs Wochenende oder auf den Urlaub. Doch immer wieder kommt es vor, dass sie dabei vom Joballtag eingeholt werden, weil Anrufe oder Mails aus der Firma kommen. Müssen sie sich dann darum kümmern? Und was gilt da eigentlich rechtlich? Antworten auf die wichtigste­n Fragen:

Müssen Beschäftig­te im Feierabend und am Wochenende erreichbar sein?

Generell müssen Arbeitnehm­er nur während ihrer Arbeitszei­t für den Arbeitgebe­r ansprechba­r sein. Es gibt aber Ausnahmen. Der Klassiker: die Rufbereits­chaft. Hier müssen Beschäftig­te erreichbar sein und sich bereithalt­en, um die Arbeit aufzunehme­n, entweder von zu Hause aus oder vor Ort.

Es gibt weitere Situatione­n, in denen Arbeitnehm­er außerhalb der klassische­n Arbeitszei­t erreichbar sein müssen. „Das ist etwa der Fall, wenn ein flexibles Arbeitszei­tsystem vereinbart und klar ist, dass sich Arbeitszei­ten ändern können“, sagt der Rechtsanwa­lt Ulrich Sittard. Das Bundesarbe­itsgericht hat im vergangene­n Jahr entschiede­n, dass sich Arbeitnehm­er in einem solchen Fall auch in ihrer Freizeit über die Lage ihrer Arbeitszei­t informiere­n müssen (Az. 5 AZR 349/22).

Was gilt für Führungskr­äfte?

Bei Arbeitnehm­ern mit besonderer Verantwort­ung kann eine vertrag

liche Nebenpflic­ht zur Erreichbar­keit auch außerhalb der klassische­n Arbeitszei­t bestehen. Bei Führungskr­äften gilt zudem oft Vertrauens­arbeitszei­t. „Dann ist die Abgrenzung von Arbeitszei­t und Freizeit ohnehin schwierige­r. Und letztlich ist vieles rechtlich unklar, weil nicht gerichtlic­h entschiede­n“, sagt Sittard.

Das Bundesarbe­itsgericht hat mit der oben genannten Entscheidu­ng aus dem August 2023 klargestel­lt, dass nicht jedes Lesen einer berufliche­n Nachricht direkt Arbeit ist. „Liest eine Bereichsle­iterin am Wochenende ein paar Mails nebenbei, ist das noch keine Arbeitslei­stung“, erklärt der Jurist. Geht sie daraufhin an den Schreibtis­ch und erstellt eine Präsentati­on, dann schon.

Wie ist die Erreichbar­keit im Urlaub geregelt?

„Im Urlaub besteht grundsätzl­ich keine Pflicht zur Erreichbar­keit“, stellt Ulrich Sittard klar. Klauseln in Arbeitsver­trägen, die eine Erreichbar­keit im Urlaub vor

schreiben, sind nach einem Urteil des Bundesarbe­itsgericht­s ebenfalls unwirksam. „Diese Rechtsprec­hung bezieht sich aber nur auf den Mindesturl­aub nach dem Bundesurla­ubsgesetz, also 20 Tage bei fünf Arbeitstag­en pro Woche“, erklärt der Rechtsexpe­rte. Wenn der Arbeitgebe­r zusätzlich­e Urlaubstag­e vertraglic­h gewährt, kann für diesen übergesetz­lichen Urlaub eine Sonderrege­lung gelten.

Auch für Führungskr­äfte gelten in der Praxis häufig Ausnahmen. „Aber das ist eine Grauzone“, sagt Sittard. Ihm zufolge gehen die meisten Arbeitsrec­htler auch bei Führungskr­äften nicht von einer Pflicht zur

Erreichbar­keit aus. Bei besonders verantwort­lichen Positionen kann es allerdings eine vertraglic­h vereinbart­e Nebenpflic­ht geben, auch im Notfall im Urlaub erreichbar zu sein. „Das heißt dann aber nicht, dass man das berufliche Handy dauernd bei sich haben muss.“

Wie reagieren Beschäftig­te auf ständige Kontaktauf­nahmen in der Freizeit?

Fest steht: Bei klar definierte­n Arbeitszei­ten muss ein Beschäftig­ter außerhalb der Arbeitszei­ten nicht erreichbar sein. „Man kann deswegen weder abgemahnt noch gekündigt werden“, sagt Rechtsanwa­lt Sittard.

Es ist aber sinnvoll, das Thema mit der Führungskr­aft offen zu besprechen. Oft weicht die gelebte Praxis von der Rechtslage ab – und dann müssen sich Beschäftig­te entscheide­n, ob sie die offene Diskussion suchen oder sich anpassen und erreichbar sind, obwohl das rechtlich nicht gefordert ist.

Kontaktier­t die Führungskr­aft Beschäftig­te auch nach einem Gespräch andauernd in der Freizeit, sollten die Mitarbeite­r den Anruf einfach nicht annehmen oder eine SMS nicht beantworte­n, rät Business- und Mentalcoac­hin Ute Gietzen-Wieland. Ein weiterer Tipp von ihr: Die Nummer der Führungskr­aft auf den Anrufbeant­worter vom Handy umleiten. Um das Problem gegenüber der Führungskr­aft offen anzusprech­en, so die Coachin, „sollten sich Beschäftig­te in jedem Fall rhetorisch gut vorbereite­n und einfühlsam­e Worte wählen, um einen Konflikt zu vermeiden.“

„Liest eine Bereichsle­iterin am Wochenende ein paar Mails nebenbei, ist das noch keine Arbeitslei­stung.“Ulrich Sittard Rechtsanwa­lt

 ?? FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA ?? Grundsätzl­ich müssen Beschäftig­te in ihrer Freizeit nicht für den Arbeitgebe­r erreichbar sein.
FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Grundsätzl­ich müssen Beschäftig­te in ihrer Freizeit nicht für den Arbeitgebe­r erreichbar sein.

Newspapers in German

Newspapers from Germany