Praktikum mitten im Berufsleben
Quereinsteiger sind inzwischen gern gesehen. Doch wer sich beruflich umorientiert, sollte die Branche erst einmal kennenlernen.
(dpa) Praktika sollen bei der Orientierung helfen: Ist die angedachte Ausbildung oder der Karriereweg etwas für mich? Viele machen sie in der Schulzeit, nach dem Abschluss oder während des Studiums. Doch manchmal liegt schon eine Weile Berufsleben hinter einem, wenn ein Praktikum ansteht.
Nicole Herrmann etwa war 39 Jahre alt, als sie in ein Praktikum bei der Bahn-Tochter DB Schenker startete. Sie hatte zuvor unter anderem in der Gastronomie und im Vertrieb gearbeitet, ihre Jobs dann aus gesundheitlichen
Gründen aufgeben müssen. Nun stand sie vor der Entscheidung, ob eine Umschulung im Bereich Logistik für sie infrage kommen könnte.
Für Herrmann – heute 43 Jahre alt, Speditionskauffrau und Sachbearbeiterin im Nahverkehr bei DB Schenker – war ihr dreimonatiges Praktikum am Hamburger Standort des Unternehmens eine gute Erfahrung, wie sie sagt. Eine, der sie zunächst jedoch mit gemischten Gefühlen entgegenblickte. „Wenn man in so ein großes Unternehmen kommt, wo man davon ausgeht, dass alle Gleichaltrigen schon jahrelang in dem Beruf sind, fragt man sich schon: Was denken die von mir? Wie kommt es, dass sie jetzt hier Praktikantin ist?“, erzählt sie.
Dabei ist ein Praktikum zu einem späteren Zeitpunkt im Leben heute keine Ausnahme, weiß Karrierecoach Volker Klärchen. Er selbst habe des Öfteren Kunden, die über einen Quereinstieg in eine andere Branche nachdenken. „Und da ist es sehr sinnvoll, schon mal einen Fuß ins Wasser zu halten und zu gucken, ob mir das überhaupt gefällt.“Auch viele Unternehmen seien Praktikanten mit Berufserfahrung gegenüber durchaus aufgeschlossen – besonders dann, wenn man genau begründen könne, warum man sich für eine Umorientierung in den entsprechenden Bereich interessiert.
Und dennoch: Die Hemmschwelle, mit Mitte 30, 40 oder 50 noch einmal Praktikant zu werden, ist eine andere als während des Studiums oder vor der Ausbildung. Woher soll man etwa die Zeit für ein Praktikum nehmen, wenn man einen Job hat, den man nicht direkt aufgeben will? Und auch die finanzielle Seite kann eine Rolle spielen. Wann Praktikanten Anspruch auf den Mindestlohn haben, hängt von verschiedenen Faktoren ab.
Ist man arbeitslos, sollte man sich in jedem Fall vorab bei der Bundesagentur für Arbeit oder dem Jobcenter zu entsprechenden Möglichkeiten informieren. Bei vorheriger Zustimmung des Jobcenters kann ein Praktikum etwa auch während des Bezugs von Bürgergeld stattfinden, teilt ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit mit.
Bekommt man Arbeitslosengeld, hängen die Zahlungen davon ab, ob es sich um ein sogenanntes betriebliches Praktikum im Rahmen einer Maßnahme der beruflichen Weiterbildung handelt. „Wird während der Teilnahme an dieser beruflichen Weiterbildung Arbeitslosengeld gezahlt, wird dies auch während der betrieblichen Lernphase weiter bezahlt“, erklärt der Sprecher. Nähmen Arbeitslosengeldempfänger hingegen ein ungefördertes Praktikum auf, dann stünden sie der Arbeitsvermittlung in der Regel nicht mehr zur Verfügung – und erhielten kein
Arbeitslosengeld mehr. All das muss im Vorfeld geklärt werden.
Für Karrierecoach Volker Klärchen ist eine weitere große Herausforderung bei späten Praktika, „dass man nicht nur fachlich irgendwo neu anfängt, sondern auch sozial“. Wer es bislang etwa gewohnt sei, „dass Leute zu einem kommen, wenn sie nicht weiterwissen“, müsse als Praktikant auf einmal mit einer neuen Situation umgehen. „Plötzlich steht man wieder ganz unten in dieser Kette und kennt sich mit nichts aus.“
Nicole Herrmann arbeitete in ihrem Praktikum mit einem sehr jungen Team zusammen. Anfängliche Befürchtungen wegen ihres Praktikantenstatus hätten sich jedoch
nicht bestätigt: „Das verschwimmt auch schnell, wenn man sich mit den Kollegen gut versteht und im Prinzip fast die gleiche Arbeit macht“, sagt sie. Auf Fragen etwa von jungen Azubis zu ihrem Berufsweg habe sie dann entspannt reagiert.
Tim Winter, Head of Talent Management and Development bei DB Schenker in Deutschland, rät Quereinsteigern, die ein Praktikum machen, von Anfang an zu möglichst großer Offenheit. Natürlich müsse jeder selbst entscheiden, wie viel er oder sie gegenüber den Kollegen preisgeben möchte. „Aber ich glaube, man sollte sich ein paar Gedanken darüber machen, wie man seinem neuen Arbeitsumfeld
ermöglicht, die Motivation für ein spätes Praktikum zu verstehen. Dieser Schritt im Berufsleben ist ungewöhnlich und jeder von uns wäre neugierig“, sagt er.
Doch nicht nur man selbst ist es, der sich vielleicht auf die ein oder andere Frage einstellen sollte. Volker Klärchen rät Praktikanten, aktiv auf die Beschäftigten im Unternehmen zuzugehen und neugierig zu sein. Wer bereits Berufserfahrung hat, wolle mit einem Praktikum schließlich nicht nur neue Erfahrungen sammeln, sondern vor allem auf eines eine Antwort finden: Will ich in die Richtung weitergehen oder nicht? „Und das kann man natürlich auf der einen Seite durch das, was man im Praktikum arbeitet, herausfinden“, sagt Klärchen, „aber auch gezielt in Gesprächen mit den anderen Mitarbeitern.“Er empfiehlt, dabei ruhig direkt vorzugehen und zu fragen: „Was macht dir hier eigentlich Spaß? Gibt es an deinem Job irgendetwas, was du überhaupt nicht magst?“
Mit einem sollte man ihm zufolge hingegen eher zurückhaltend sein: Vorschlägen, wie man im Unternehmen alles umkrempeln könnte. „Man kommt als Fremder rein und hat vielleicht schon eine Idee, wie das alles geht“, sagt Klärchen. „Aber gerade am Anfang ist es wichtig, erst mal herauszufinden, was denn diejenigen sagen, die das vielleicht schon ihr Leben lang machen.“
Für Nicole Herrmann war es während ihres Praktikums dann auch wichtig, ehrliche Einblicke zu bekommen. Hier sind vor allem die erfahreneren Mitarbeiter gefragt. „Das ist ja keine gute Basis, wenn man vieles beschönigt und nicht auch mal die klaren Fakten auf den Tisch legt“, sagt sie. „Dann stellt man vielleicht nach kurzer Zeit fest, dass es doch nichts für einen ist.“
Heute im Job profitiere sie zudem davon, während des Praktikums in verschiedene Abteilungen geschnuppert zu haben, „weil ich genau weiß, wie die Kollegen dort arbeiten. Das vereinfacht mir auch meine Arbeit in meiner Abteilung nach der Ausbildung“.
Und wenn das Praktikum nicht so läuft, wie man sich das erhofft hat? Dann empfiehlt Karrierecoach Klärchen, auf sein Bauchgefühl zu hören und den anvisierten Weg zu hinterfragen. Man könnte aber auch überlegen, noch ein Praktikum im selben Bereich zu machen – nur in einem anderen Unternehmen. Schließlich seien die Unterschiede manchmal sogar von Abteilung zu Abteilung groß.
„Man fängt nicht nur fachlich irgendwo neu an, sondern auch sozial.“Volker Klärchen Karrierecoach