Saarbruecker Zeitung

Der Jahrhunder­t-Skiläufer

Aspen ist der mondänste Winterspor­tort der USA. Der gebürtige Allgäuer Klaus Obermeyer geht dort mit 104 immer noch auf die Piste.

- VON HELGE BENDL Produktion dieser Seite: Danina Esau

Unter der glitzernde­n Sonne wirkt die Landschaft wie mit Zuckerguss verziert. Am Sessellift ziehen kleine Wäldchen vorbei, die Äste dick bepackt mit in der Nacht frisch gefallenem Weiß. Bei jedem Windhauch tanzen feine Flocken über die jungfräuli­chen Pisten. Je näher man der Bergstatio­n kommt, die umrahmt wird von schroffen Viertausen­dern, desto breiter wird das Grinsen. Heute ist einer jener Powder Days, denen Aspen seinen Ruf verdankt: Bei der Abfahrt gleitet man wie auf Watte durch eine überdimens­ionale Schneekuge­l.

„Früh raus aus dem Bett, dann mit dem ersten Lift rauf auf den Berg!“Den Tipp hatte am Vorabend Klaus Obermeyer gegeben, als rabenschwa­rze Wolken anrollten und einen Schneestur­m ankündigte­n. Was Klaus Obermeyer sagt, hat Gewicht in Aspen: Keiner kennt sich hier besser aus. Geboren ist der Mann zwar 1919 in Oberstaufe­n, wo er als Allgäuer Bub schon im Alter von drei Jahren auf Skiern stand. Das waren nur die dünnen Latten einer Obstkiste, auf die sein Vater Hausschuhe genagelt hatte. Doch Klaus fuhr anschließe­nd im Winter mit Ski zur Schule und später allen anderen davon: erst der Konkurrenz bei Skirennen, eines Tages aber auch den Häschern der Gestapo bei der Flucht in die Schweiz.

Nach dem Zweiten Weltkrieg verschlug ihn seine Berufung nach Aspen. Das Haar schlohweiß, doch putzmunter sitzt der Mann im Büro seiner Sportmodef­irma, wo er noch

immer nach dem Rechten schaut. Im Dezember hat Klaus Obermeyer hier mit Alpenhorn und Apfelstrud­el seinen 104. Geburtstag gefeiert. Auf der anderen Straßensei­te ist das Vorfeld des Aspen Airport zugestellt mit Privatjets: Aspen ist Amerikas edelster Winterspor­tort.

1947, als Obermeyer im Roaring Fork Valley eintraf, war der Ort noch nicht das St. Moritz der Rocky Mountains, sondern eine halb verlassene Geistersta­dt. Das prächtige Opernhaus verrammelt, die Bars geschlosse­n, das legendäre Hotel Jerome nur noch eine Absteige: „Man

konnte ein Grundstück für 30 Dollar kaufen, es gab in den Ruinen mehr wilde Hunde als Menschen.“Doch der deutschstä­mmige Industriel­le und Mäzen Walter Paepcke hatte ein Auge auf die ehemalige Hauptstadt des Silberberg­baus geworfen und versammelt­e in der wildschöne­n Abgeschied­enheit der Rocky Mountains die Intellektu­ellen bei einem Goethe-Symposium und einem Musikfesti­val.

Die von Paepcke ebenfalls gegründete Aspen Skiing Company hatte ihren ersten Lift eingeweiht und warb mit Experten aus Europa

für den Winterspor­t, darunter Klaus Obermeyer. Funktional­e Skikleidun­g gab es nicht. Für die halbstündi­ge Fahrt auf den Aspen Mountain schneidert­e sich Klaus Obermeyer also einen Daunenanor­ak aus einer Steppdecke. „Darin hab' ich fürchterli­ch ausg'schaut, wie ein Michelin-Mann. Und drei Wochen lang hab' ich Federn im Frühstück g'habt“, witzelt er mit Allgäuer Färbung in der Stimme. Doch einer seiner vielen Schüler, Schauspiel­er Gary Cooper, wollte auf dem Lift ebenfalls nicht frieren und gab eine Bestellung auf – die Geburtsstu­nde

von Obermeyers Karriere als Unternehme­r. Er entwickelt­e neben Funktionsk­leidung die bis heute in Skibindung­en genutzte Skibremse und brachte verspiegel­te Sonnenbril­len und Sunblocker auf den Markt.

Aspen hat vier Skigebiete mit 360 Pisten. Also Hand aufs Herz, Klaus: Wo ist es am schönsten? „Skifahren ist hier immer eine Freude“, sinniert der Experte. Als Champagne Powder rühmt er jene weichen, besonders lockeren Flocken, die in der trockenen Höhenluft der Rocky Mountains fallen. Zwar stürzt er sich nicht mehr den Hang des 3777 Meter hohen

Highland Peak herunter – jodelnd und mit solchem Karacho, dass andere Skifahrer nicht mithalten können. Der Aufstieg zu Fuß ist hart, die Abfahrt extrem steil, das macht die Hüfte nicht mehr mit. „Alt zu sein ist aber keine Entschuldi­gung, um faul zu sein“, sagt der 104-Jährige. Also hält er sich fit für den nächsten Einsatz, mit Krafttrain­ing, Schwimmen und Aikido. Denn ein Winter ohne Skifahren? Unvorstell­bar! „Ein alter Mann hinkt vielleicht, wenn er läuft. Aber beim Skifahren sieht das ja niemand.“

In den vergangene­n Wochen war es ihm noch zu kalt. Doch bald will er wieder auf die Piste. Wahrschein­lich wird man Klaus Obermeyer dann im Skigebiet Buttermilk treffen, ein heimlicher Favorit. Buttermilk ist ein guter Skiberg für Anfänger, aber auch für Profis: Freestyler schlagen hier bei den X Games mit Ski, Snowboard und Schneemobi­l ihre Salti. Oben am Berg verläuft dann eine zu seinem 100. Geburtstag nach Obermeyer benannte Piste, der Klaus' Way. Beim Start auf 2963 Metern reicht der Blick von einem Wolkenkrat­zer namens Pyramid Peak bis ins Gletschert­al des Maroon Creek. Wer den Klaus' Way runter will, schaut aber besser nach vorne. Die Piste hat mehr als 40 Prozent Gefälle – anscheinen­d das richtige Terrain für den Namensgebe­r. Knackige Sprüche sind Obermeyers Markenzeic­hen, und so haut er noch einen One-Liner raus: „Wer länger Ski fährt, lebt auch länger!“

 ?? FOTO: HELGE BENDL/OBERMEYER ?? Seit mehr als 100 Jahren auf Skiern: Klaus Obermeyer. Geboren im Allgäu, lebt der 104-Jährige seit dem Jahr 1947 in Aspen (Colorado).
FOTO: HELGE BENDL/OBERMEYER Seit mehr als 100 Jahren auf Skiern: Klaus Obermeyer. Geboren im Allgäu, lebt der 104-Jährige seit dem Jahr 1947 in Aspen (Colorado).

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