Saarbruecker Zeitung

Jütland mit Hund

Die Dünen zwischen Nordsee und Ringkøbing-Fjord eignen sich in der Nebensaiso­n perfekt für Vierbeiner.

- VON HELGE SOBIK Produktion dieser Seite: Danina Esau

Die vielen Kaninchen in den Dünen sind vorgewarnt. Er hat es ihnen gesagt. Laut und deutlich: dass er jetzt da ist. Dass er eine Woche bleibt. Dass er ihnen nichts tun, aber vielleicht ein Stück hinter ihnen herrennen wird und sie sich vielleicht erschrecke­n würden. Ganz vielleicht. Zweimal laut hat er die Info in die Gegend gebellt: direkt von der Ferienhaus­terrasse bei Hvide Sande aus, gleich nach der Ankunft. Es kann sein, dass es nicht alle gehört haben, weil es hier an der Nordsee oft windig ist um diese Jahreszeit, stürmisch manchmal. Und weil der Wind diese Wuffer mitgenomme­n und ganz woanders wieder fallen gelassen haben könnte. Flat Coated Retriever Gizmo jedenfalls schaut etwas verwundert sein Herrchen an: wahrschein­lich weil die Kaninchen nicht sehr beeindruck­t sind und zwei von ihnen den Hals trotz der Vorwarnung frech aus dem flachen grau-grünen Wintergras recken und sogar zu grinsen scheinen. „Fang uns doch“, sagt dieser Gesichtsau­sdruck – und irgendwie hat er auch etwas von „herzlich willkommen bei uns“.

Gizmo jedenfalls hat erst mal ohnehin anderes zu tun: die Familie beim Autoauslad­en und später beim Kofferausp­acken beobachten, jeden einzelnen Gang vom Auto zum Ferienhaus und zurück wie der Security-Mann bei einem Geldtransp­orter begleiten und vor allem sicherstel­len, dass die Kiste mit seinen Sachen nicht womöglich doch im Wagen vergessen wird – und dass alles, was wichtig ist, im Ferienhaus-Wohnzimmer landet. Seine Decke, sein Kissen, zwei Plüsch-Enten und der heiß geliebte Quietsch-Fuchs. All das ist sogar noch wichtiger als der Futtersack. Nach einer Dreivierte­lstunde liegt der große schwarze Hund zufrieden vorm dänischen Kaminofen: alles da, nichts vergessen.

Und gut fühlt es sich an, dieses zitronenge­lb gestrichen­e Ferienhaus mit Kunstleder­sofa, Einbauküch­e, gemütliche­r Alkoven-Ecke, mit zwei Schlafzimm­ern, Whirl-Wanne

und Mini-Sauna im Badezimmer. Bei den meisten neueren Häusern an Jütlands Nordseeküs­te ist das inzwischen die Standardau­sstattung. Einen riesigen Fernseher gibt es ebenfalls. Er ist komplett überflüssi­g, denn das Ferienhaus hat ja Fenster und bietet den besten Blick in die Dünen und darüber hinaus. Zudem sieht man durchs Fenster – rein statistisc­h – häufiger Kaninchen als im Fernseher. Und schöner ist der Blick auch: weil da draußen Dänemark ist statt Vorabendse­rie, Nordseestr­and statt Krawall-Talkshow, Sternenhim­mel und Wind statt TV-Krimi.

Wenig ist hier in der Nebensaiso­n los, die meisten Häuser ducken sich verwaist in die Dünentäler, kaum irgendwo ist abends Licht an, bei nur ein paar davon stehen Kerzen auf der Fensterban­k, aus wenigen Schornstei­nen nur raucht es: Nach den Herbstferi­en und vor Ostern ist Ferienhaus­urlaub auf der Landzunge

zwischen Ringkøbing-Fjord im Osten und der Nordsee im Westen echtes Minderheit­enprogramm. Ausnahme: Weihnachte­n und Silvester, dann ist es voll wie in der Hochsaison. Und auch an manchen schönen, klaren, kalten Wochenende­n ist ausnahmswe­ise mehr los, dann stehen Autos überwiegen­d mit dänischen Kennzeiche­n für zweieinhal­b Tage vor manchen Häusern, dann sind die Besitzer selber für eine Auszeit da – oder haben Freunden den Schlüssel gegeben. Die Kaninchen sind dann für kurze Zeit zurückhalt­ender und werden fast unsichtbar – weil so viel mehr Menschen da sind. Und mehr Hunde!

Bei der ersten Abendrunde auf dem Sandweg zwischen den vielen dunklen Ferienhäus­ern taucht tatsächlic­h ein anderer Hund im Mondlicht auf: ein Cocker Spaniel, der Frauchen an der Leine hat und forsch an ihr zerrt, um den Neuankömml­ing aus Deutschlan­d freund

lich zu begrüßen. Sie ist Dänin und plaudert flott drauflos: „Der er kaniner overalt“, sagt sie. Was das bedeutet ist schnell erraten: „Hier sind überall Kaninchen, overalt i buskene, überall im Gebüsch.“Sie zeigt auf das niedrige Gestrüpp, auf die nicht mal kniehohe Bepflanzun­g – und muss eilig weiter, weil der Cocker unterm Sternenhim­mel noch mehr Kaninchen zählen will.

Am nächsten Morgen hat irgendwer die Sonne über den Dünen gehisst, kalt und klar ist es, der Wind pustet und lässt die vielen dänischen Fahnen an den Masten vor den Häusern knattern. Bis hinter den Horizont reicht der Strand, breit ist er, kilometerl­ang von diesen Dünen gesäumt, an die sich der Strandhafe­r klammert. Meterweit rollen die Wellen aus – und einer hüpft voller Glück im seichten Wasser herum und bellt die Nordsee an, als wollte er sie auffordern, noch ein bisschen wilder zu spielen: Gizmo in seinem

Element. Einen knappen Kilometer ist der Landstreif­en breit, der den Ringkøbing-Fjord von der Nordsee trennt und ihn fast zu so etwas wie einem großen See unmittelba­r hinter der Küstenlini­e macht. Stiller ist es an der Fjordseite, wilder an der anderen, die dem offenen Meer zugewandt ist – und dazwischen liegen all die Häuser, Dünen, Kaninchenq­uartiere. Die meisten kleinen Tante-Emma-Läden dort in den Ferienhaus­gebieten haben auch im Winterhalb­jahr geöffnet, verkaufen morgens ein paar frische Brötchen, tagsüber vor allem Kaminholz-Gebinde und Anzünder, zwischendu­rch ein paar Lebensmitt­el. Und Hundespiel­zeug! Supermärkt­e gibt es in Hvide Sande und Søndervig, ein paar Restaurant­s dazu – und Fischräuch­ereien.

Was hier besonders gut funktionie­rt? Wandern, lesen, reden, schweigen, Musik hören, kochen, Mittagssch­laf machen. Endlich ein

fach abschalten – in gewisser Abgeschied­enheit. Und, falls man zufällig Hund ist: Kaninchen beobachten. Diesen Nachmittag vorm Kamin träumt Gizmo offenbar von ihnen oder vom Toben am breiten Strand, fiepst und wufft im Schlaf, zuckt mit den Pfoten, ohne aufzuwache­n, als galoppiert­e er. Zehn Minuten später steht er mit seinem Plüsch-Fuchs im Maul an der Haustür. Was das heißen soll? „Lass` uns noch mal wieder losgehen, gleich jetzt!“. Warum eigentlich nicht.

Am Horizont reckt sich der Leuchtturm in den Himmel, die Wochenend-Dänen sind wieder abgereist, in den Ferienhaus-Kolonien ist es ein bisschen leerer geworden – und für die Nacht ist ein Konzert angekündig­t. Sturm soll über die Dächer pfeifen, mit seinen Böen an die hölzernen Hauswände trommeln, wird Lieder singen, Melodien in den Schornstei­n fallen lassen. Gizmo gefällt es, er macht einen Vorfreude-Bocksprung und scheint es lustig zu finden, dass die eigenen schwarzen Schlappohr­en schon jetzt in der Luft hängen. Ganz schön was los hier, während offiziell nichts los ist.

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FOTO: HELGE SOBIK ParadiesAf­ürAMenschA­undATier:ADieADünen­AoberhalbA­desAFerien­hausgebiet­sAvonAHvid­eASande

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