„Als Kind nie Negatives erlebt wegen Göring“
Die Großnichte von Hermann Göring hat ihre Lebensgeschichte in dem Buch „Der gute Onkel“aufgearbeitet. Am 14. März ist sie in Saarbrücken.
Bettina Göring trägt einen Namen, der eng mit den dunkelsten Kapiteln der deutschen Geschichte verbunden ist. Ihr Großonkel, Hermann Göring, war nach Hitler einer der wichtigsten Männer in NS-Deutschland und mitverantwortlich für den Tod vieler Millionen Menschen. Ihre Lebensgeschichte, die aber auch den Weg eines RAFTerroristen kreuzte und bis zum Baghwan nach Puna führte, hat Bettina Göring in dem Buch „Der gute Onkel“aufgearbeitet. Am 14. März ist sie mit ihrer Co-Autorin Melissa Müller zu Gast in Saarbrücken.
Ihr Großonkel, Hermann Göring, hat sich 1946, nachdem er in Nürnberg als einer der Hauptkriegsverbrecher verurteilt worden war und hingerichtet werden sollte, mit einer Zyankali-Kapsel das Leben genommen. Sie sind zehn Jahre danach geboren. Hatten Sie je die Wahl, Ihre Familiengeschichte zu ignorieren – oder mussten Sie sich ihr zwangsläufig stellen?
GÖRING Andere Leute in meiner Familie, mein Bruder beispielsweise, auch einige Cousins, haben sich entschieden, das zu ignorieren. Es geht wohl offenbar, aber für mich ging es nicht.
Die Arbeit an diesem Buch hat viele Jahre gebraucht. Was war die größte Herausforderung für Sie?
GÖRING Melissa Müller hat ja das Schreiben übernommen und eben sehr viele Nachforschungen betrieben. Sie hat nicht nur die ganzen alten Göring-Geschichten überprüft und recherchiert, sondern ist auch meinen persönlichen Geschichten nachgegangen. Ich bin sehr froh, dass sie das gemacht hat, aber im Laufe des Prozesses dachte ich schon manchmal: ‚Oh Gott, das nimmt kein Ende'. Wir fingen ja schon 2014 an.
Gleich zu Beginn des Buches konfrontieren Sie die Leser mit möglichen Vorurteilen, die man von Ihnen haben könnte. „Hat sich, um keine weiteren Görings zu produzieren, sterilisieren lassen“heißt es da. Welcher Schublade wollten Sie unbedingt mit dem Buch entkommen? GÖRING Es sind halt die Meinungen, die Leute so über einen haben. Interessanterweise war das vor allem bei den Israelis so im Zuge der ersten „Bloodline“-Doku (Anm. der Red: „Bloodline“ist eine Film-Dokumentation mit Bettina Göring und Ruth Rich, der Tochter von Holocaust-Überlebenden von 2008). Wir hatten sehr intensive Treffen, wo wir über unsere Familien geredet haben. Und am Ende eines Treffens kam das Thema mit der Sterilisation auf. Sie sagte dann zu mir: „Meinst du nicht, dass das damit zu tun hatte, dass du keine Görings mehr wolltest?“Ich habe ihr dann geantwortet: „Das hat sicher mit reingespielt“. Aber als ich das gemacht habe, da war ich Anfang 30, und damals habe ich das sicher nicht so gesehen. Wenn man aber zurückblickt, spielte es sicher auch eine Rolle. Für viele Israelis war das aber offenbar ein großes Thema. Sie konnten gar nicht verstehen, dass man so etwas tut.
Man könnte Ihr Buch auch als große Fluchtbewegung lesen: Als Teenager sind Sie schon früh aus dem Elternhaus raus, haben nach dem Abi einen Trip nach Südamerika unternommen, wo Sie in einer psychiatrischen Einrichtung landeten. Später waren Sie im Ashram in Puna...
GÖRING Ich würde es nicht als Flucht sehen, sondern als Suche, um eine innere Heilung zu finden. Vor allem beim Baghwan habe ich da sehr vieles gefunden. Da waren viele Therapiegruppen zum Teil auf damals neuesten Stand. Und dieser Ansatz, eine Heilung zu finden in einer sehr schwierigen persönlichen Situation, das hat mich nie losgelassen. Auch das Buch hat mir dabei sehr geholfen.
Als 11- oder 12-Jährige ist Ihnen klar geworden, dass Sie keine Familie wie jede andere haben, dass Ihr Großonkel ein Monster
war. Aber in Ihrer Kindheit war der Blick auf Nazi-Größen, insbesondere auf Hermann Göring, nicht so entschieden negativ wie das heute ist...
GÖRING Die Reaktionen waren damals zum Teil sogar richtig positiv. Von den ganzen Nazi-Figuren war er ja im Vergleich zu Goebbels oder Himmler bei vielen beliebt. Man hat auch Witzchen über ihn gemacht, über diesen fetten Typen mit seinen Orden, ein Spruch war: „Rechts Lametta, links Lametta und der Arsch wird immer fetter“. Als Kind habe ich jedenfalls nie was Negatives erlebt wegen Hermann Göring, so lief das nicht. Ich wurde nicht ausgegrenzt. Man darf ja nicht vergessen, wie viele Nazis es damals noch gab. Eher war die Kultur: weggucken, vergessen und erst mal leben.
Sie haben Ihr Buch, vielleicht auch provozierend, „Der gute Onkel“betitelt, und schildern ihn als jemand, der Verwandte mit Posten und Pöstchen versorgt hat, Wie hat die Familie Hermann Göring gesehen?
Man muss da nach Generationen unterscheiden. Die, die direkt von ihm profitiert haben, sahen ihn sehr positiv. Eine Paten
GÖRING
tante, über die wir im Buch auch schreiben, die schon ein Teenager war, als er starb, die hält bis zum heutigen Tag zu ihm. Auch bei seiner Tochter Edda, die vor sechs Jahren verstorben ist, war das auch so. In der Generation meines Vaters sah man das schon differenzierter. Da gab es zwar auch handfeste Nazis, aber auch solche, die das kritisch sahen, wie mein Vater auch. In meiner Generation, die ja deutlich rebellischer war, ist die Distanz noch mal deutlich größer.
Wie hat man in Ihrer Familie auf Ihr Buch reagiert?
GÖRING Die fanden das alle ganz interessant. Manche von meinen Cousins, die ich erst im Zuge des Buchprojektes kennenlernte, haben sich eher bedeckt gehalten, die, die Kinder haben. Sie wollen ihre Kinder wohl nicht damit belasten. So kam das für mich rüber. Aber grundsätzlich stehen alle dem positiv gegenüber.
Leiten Sie für sich generell eine Verpflichtung aus ihrer Familiengeschichte ab?
GÖRING Das Buch habe ich aus der Verpflichtung heraus geschrieben, dass ich denke, die Geschichte ist wichtig genug, dass sie publik wird. Auch wie ich damit umgegangen bin, und um festzuhalten, was überhaupt damals passiert ist. Und dass es so lange gedauert hat, ist jetzt sogar fast noch besser. Weil es es gerade jetzt erscheinen ist, wo die AfD so stark geworden ist.
Mit Blick auf die AfD und den brandgefährlichen Fantasien über die massenweise Vertreibung von angeblichen Ausländern, von Menschen, die nicht Müller oder Meier heißen? Sehen Sie da Parallelen zur Weimarer Republik?
GÖRING Es waren natürlich andere Problem damals, die Migration war sicher nicht das Thema, aber was vergleichbar ist, ist die Reaktion, dass Leute sich unsicher fühlen. Was dahinter streckt, ist eine große Unsicherheit. Meine Generation ist in einem relativ großen Wohlstand aufgewachsen, doch das wird immer wackliger. Vieles hat damit zu tun, dass der Kapitalismus ein Exzess ist, der so nicht so weiter gehen kann. Wir müssen uns alle grundlegend ändern – und das ist schwierig. Man versucht, dann schnelle Antworten zu finden – wie „Schmeißt alle Ausländer raus“. Als ob das irgendwas lösen würde.
Macht Ihnen das Angst?
GÖRING Natürlich macht mir das Angst. Mir macht auch Angst, dass Trump in den USA wiedergewählt werden könnte. Würde das passieren, hätte es auf die ganze Welt negativen Einfluss. Gleichzeitig aber hat mich beeindruckt, wie viele Leute jetzt auf die Straße gehen, seit diese Geschichte über die AfD und die Remigration aufkam. Die haben erkannt, dass man was tun muss.
Sie haben ja nicht nur eine besondere Familiengeschichte, auch der spätere RAF-Terrorist Wolfgang Grams kreuzte Ihren Weg...
GÖRING Ja der Gaks, so nannten wir den Wolfgang Grams, war ein Jugendfreund und damals ein ganz Lieber. Mich hat erschüttert, wie es mit ihm weiterging. Ich war damals noch in der Schule in Wiesbaden, er war wohl drei Jahre älter, und wir haben Kuchen zusammen gebacken und auch gekifft. Irgendwann habe ich dann aber gemerkt, wie er extremer wurde. Und Jahre später, als ich ihn bei einem Besuch in Wiesbaden zufällig auf der Straße getroffen habe, war er wie ein völlig andere Person, total verbittert.