„Dafür stehen wir hier jeden Morgen auf“
Der Saarbrücker Nano-Biomed-Schwerpunkt lebt von zwei Dingen. Einerseits vom produktiven Verzahnen des Knowhows in Pharmazie, Medizin und Informatik. Andererseits vom Einvernehmen zwischen der Uni und insbesondere dem Helmholtz Institut für Pharmazeutisch
„Dafür stehen wir hier jeden Morgen auf, dafür kämpfen wir jeden Tag.“Der Satz fällt gegen Ende des Gesprächs. Und ist vielleicht unter den vielen anderen an diesem Morgen der Satz, der wie kein zweiter auf den Punkt bringt, wofür alle Beteiligten (ob am universitären Zentrum für Bioinformatik, am Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS), ob in der Homburger Klinischen Medizin oder der Saarbrücker Materialwissenschaft) brennen: als Forscher einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten. Wissenstransfer in die Praxis. Mündet der eingangs zitierte Satz von Andreas Keller, Professor für Klinische Bioinformatik, doch in einen weiteren Halbsatz Kellers: „damit daraus Ansiedlungsinitiativen entstehen.“
Um die Voraussetzungen hierfür zu stiften, haben die Universität des Saarlandes (UdS) und das HIPS bereits 2021 ein „Zentrum für translationale Wirkstoffforschung“(translational heißt so viel wie anwendungsbezogen) gegründet. Inzwischen ist das Zentrum zu einem „Pharma Science Hub“(PSH) ausgebaut worden. Ziel des PSH ist es, mittelfristig dringend benötigte Arzneimittel schneller und effizienter zur Marktreife zu bringen. Ob Antibiotika, Medikamente gegen Krebs oder Alterskrankheiten.
Die mehr als 300 beteiligten Forscherinnen und Forscher wollen im Rahmen der neuen, gemeinsamen PSH-Plattform eine engere Verzahnung von Forschung und Praxis erreichen und mit der Pharma- und Biotech-Industrie kooperieren. Mit
rund 20 größeren und kleinen Firmen, darunter regionale Pharmaunternehmen wie Ursapharm oder Dr. Theiss, ist man im Gespräch. „Wir können stolz sein, so weit gekommen zu sein“, schwärmte UniPräsident Manfred Schmitt dieser Tage im SZ-Gespräch einmal mehr von der in den letzten Jahren auch von Landesseite massiv geförderten Kooperation von UdS und HIPS. Dass der Pharma Science Hub dabei ein „entscheidender Baustein“ist, daran lässt der Ende März ausscheidende Uni-Präsident keinen Zweifel. „Ohne die Unterstützung des Landes wären wir nicht dort, wo wir heute stehen“, meint auch PSH-Sprecher Keller.
Man ahnt, was sich passgenau und prominent in all dies einfügt:
das jüngst von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit viel Vorschusslorbeeren bedachte Saarbrücker Projekt zur Medikamentenentwicklung „Next- AID³ (Artificial Intelligence – Drug Design, Development)“der drei Saarbrücker Professorinnen Andrea Volkamer (Bioinformatik/Fakultät für Mathematik und Informatik), Martina Sester (Immunologie/Medizinische Fakultät) und Anna Hirsch (Pharmazie/ Naturwissenschaftlich-Technische Fakultät). „Next- AID³ ist (nach dem gleichzeitigen Ausscheiden des Informatik-Projektantrages) nicht nur das einzige Saarbrücker Forschungsprojekt, das es in die zweite Runde der DFG-Exzellenz-Strategie und damit des wichtigsten deutschen Wissenschaftswettbewerbes geschafft hat. Und der Uni damit am Ende zu einem neuen Exzellenz-Cluster verhelfen könnte. Das Forschungsprojekt hat auch gehörig Wasser auf die Mühlen des (neben der Informatik) mehr und mehr an Profil gewinnenden Nano-Biomed-Schwerpunktes der Universität geleitet.
Der jüngste Erfolg, sagt Andreas Keller, sei „nicht über Nacht gekommen“, sondern in mehreren
Forschungsprogrammen und im Zusammenspiel der drei beteiligten Fakultäten mit den vier außeruniversitären Saarbrücker Wissenschaftstrabanten (neben dem HIPS das INM, das DFKI und das Cispa) ermöglicht worden. Im Verbund bilden sie ein Forschungsdreieck, in dem die BioInformatik als Schnittstelle zwischen Medizin und pharmazeutischer Forschung fungiert. Keller, der selbst auch am HIPS forscht, umreißt, was damit etwa gemeint ist: Mittlerweile sei es möglich, jedes einzelne Gen in jeder Zelle mittels sogenannter Einzelzellsequenzierungen zu erfassen. Die gigantische Datenmenge (nicht selten 300 Terrabyte oder mehr), die dabei anfällt, um die Proteinstruktur kleinster Genabschnitte zu offenbaren, lässt sich nur dank der Mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) auswerten. Vor 20 Jahren habe man sich die seinerzeit ermittelbaren Daten noch in Excel-Tabellen ansehen können, heute habe sich die Datenbasis „locker vertausendfacht“, überschlägt Keller. Die Bioinformatik liefert also, salopp gesagt, Analysewerkzeuge, mit denen die Pharmazeuten und Mediziner die Zellvorgänge dann exakter erfassen
und verstehen können. Was heißt das konkret? Klassischerweise funktioniert Medikamentenforschung so: Um die Wirksamkeit möglicher neuer Präparate festzustellen, müssen diese – nachdem sie zuvor in aufwändigen Laborversuchen ermittelt wurden – in diversen Wirkstoffreihen über längere Zeiträume an Abertausenden Probanden nebst gesonderten Kontrollgruppen getestet werden. Die Kosten hierfür gehen oft in die Milliarden – mit ungewissem Ausgang. Einer der Gründe, warum die Pharmaindustrie Zurückhaltung an den Tag legt. Viel günstiger und effizienter könnte es da sein, auf vorhandene Daten zurückzugreifen und die KI die Stecknadel im Heuhaufen suchen zu lassen. Beispielsweise in großen Molekülbibliotheken, aus denen mittels lernfähiger Algorithmen idealerweise dann passende Wirkstoffe identifiziert werden, um etwa spezifische, krankheitsauslösende molekulare Proteinstrukturen ein- oder auszuschalten. Eine andere Möglichkeit, wie KI die medizinischpharmazeutische Forschung am neuen Saarbrücker Pharma Science Hub weiterbringen kann, bietet die Auswertung von Krankheitsprofilen anhand von Biomarkern. Schon vor einigen Jahren hat Andreas Keller mit seinem damaligen Doktoranden Fabian Kern, der am HIPS mittlerweile eine eigene Forschungsgruppe leitet, mehr als 5000 Blutproben von gut 1600 Parkinson-Patienten auf deren molekulares Profil hin untersucht. Aus rund 320 Milliarden (!) erhobenen Datenpunkten extrahierten sie eine spezielle Klasse von Ribonukleinsäuren (microRNAs), die als Biomarker bei Parkinson-Erkrankungen taugen. Um dieses Datengebirge ohne Künstliche Intelligenz zu bezwingen, würde auch ein ganzes Forscherleben nicht mal ansatzweise ausreichen.
Das ist also das, was PSH-Sprecher Andreas Keller mit „anwendungsnaher Informatik“meint. Keller hat ein Jahr lang im Silicon Valley geforscht, das nicht nur die Wiege aller ITMarktführer, sondern auch die aller großen Biotech-Firmen war. Zum kalifornischen Erfolgsrezept gehöre der aller dortigen Forschung zugrundeliegende Netzwerkgedanke. „Daten werden dort viel mehr geteilt als in Deutschland“, erzählt der 41-Jährige. Am Saarbrücker PSH werde nach derselben Philosophie gearbeitet. „Vieles leben wir hier inzwischen auch.“Wenn der Pharma Science Hub an diesem Montag in der UniAula zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkommt und damit alle beteiligten 300 Wissenschaftler aus rund 25 Forschungsgruppen, werde man konsequenterweise auch einen „Bottom-up-Prozess“propagieren, kündigt Hub-Sprecher Keller an. Die Devise werde daher lauten: „Das ist euer Ding. Ihr gestaltet alle mit.“Wirtschaftsminister Jürgen Barke (SPD), der sich zur Kick-offVeranstaltung angesagt hat, wird es mit Wohlgefallen hören: Zukunft gestalten, Arbeitsplätze schaffen – das ist Barkes Ding. Das schriebe er sich als Minister gerne auf die Fahnen.
Klingt alles so, als habe der NanoBiomed-Schwerpunkt das Zeug zum Höhenflug. 70 Millionen Euro haben Bund und Land seit 2020 in das HIPS gesteckt. Zugleich hat die Uni, dank des Placets der Landesregierung, mehrere Brückenprofessuren mit hochkarätigen Forschern besetzen können, die der Uni-Präsident „mit allererste Sahne“umschreibt. Was das Dreieck aus Pharmazie, Medizin und Informatik anbelangt, sagt Andreas Keller denn auch freimütig und ganz selbstbewusst, gebe es in Deutschland wohl keinen anderen Standort, „der so gut funktioniert und vernetzt ist wie wir hier“.
„Ich kenne keinen anderen Standort in Deutschland, der so gut funktioniert und so gut vernetzt ist wie wir hier.“Prof. Andreas Keller Sprecher des neuen Pharma Science Hub