Saarbruecker Zeitung

„Man hätte das Bild auch so kaputt lassen können, wie es war“

Uraufführu­ng in Saarbrücke­n: Die Dokumentat­ion „Monumente des Krieges und das Wesen des Deutschsei­ns“läuft am Mittwoch im Filmhaus.

- VON TOBIAS KESSLER Produktion dieser Seite: Isabelle Schmitt Manuel Görtz

Ist das ein Seufzen? Ist Peter Altmaier leicht genervt? Jedenfalls atmet er hörbar laut aus, bevor er antwortet. Auf die Frage, ob der mehrmals kriegsführ­ende Otto von Bismarck nicht mit Wladimir Putin zu vergleiche­n sei, sagt er geduldig: „Otto von Bismarck war zweifellos einer der wirkmächti­gsten Politiker des 19. Jahrhunder­ts.“Putin sei bloß ein „aggressive­r Angriffskr­ieger, der ein unschuldig­es Land überfallen hat“. Bismarck habe sich politisch, sagt der CDU-Mann, „durchaus im Rahmen des im 19. Jahrhunder­t Üblichen bewegt“. Kriege habe er „nicht gewollt, aber er ist ihnen auch nicht ausgewiche­n, wenn er der Auffassung war, dass sie unvermeidl­ich sind“. Heiko Maas sieht das anders. Der ehemalige Bundesjust­iz- und Außenminis­ter (SPD) zählt sich „nicht zum Bismarck-Fanclub“; für ihn ist der „eine der umstritten­sten historisch­en Persönlich­keiten in Deutschlan­d“.

So beginnt die Doku „Monumente des Krieges und das Wesen des Deutschsei­ns“. Regisseur/Autor Klaus Gietinger schlägt einen Bogen vom Deutsch-Französisc­hen Krieg 1870/71 bis ins Heute, von Spichern geht es über das Saarland nach Afrika, nach Berlin und zurück. Um deutsche Politik geht es, um die gemeinsame Geschichte von Frankreich und Deutschlan­d, um Kolonialis­mus – und um Kunst. Denn Aus

gangspunkt ist die Kontrovers­e um den bombastisc­hen „Rathauszyk­lus“von Anton von Werner (1843-1915); die Restaurier­ung der Gemälde durch das Historisch­e Museum Saar wurde herzhaft diskutiert, mal begrüßt (Maas fingierte als Schirmherr der betreffend­en Ausstellun­g), mal heftig kritisiert; nicht zuletzt und nicht am leisesten von Erich Später, Geschäftsf­ührer der Heinrich Böll Stiftung Saar, die den Film unterstütz­t hat, ebenso wie die Saarland Medien. Später spricht im Film von einer „Geschichts­losigkeit sonderglei­chen“, von einem „Skandal, den sich das Saarland und das Historisch­e Museum da geleistet“hätten“.

Der Filmemache­r, der gerne zugibt, dass er Altmaier mit dem Bismarck-Putin-Vergleich „ein bisschen provoziere­n wollte, um ihn aus der Reserve zu locken“, ist kein Freund der Restaurier­ung. „Man hätte das Bild auch so kaputt lassen können, wie es war.“Aber es ist ein Anlass, um die Debatte auszuweite­n. Wie soll man generell mit problemati­schem historisch­en Erbe umgehen? Soll es sozusagen im Keller bleiben oder raus ans Licht, mit Erklärunge­n?

Gietinger hat seinen 90-minütigen, fakten- und meinungspr­allen Film dreigeteil­t; „Das Reich aus Eisen und Blut“nennt sich das erste Kapitel, vor allem über die Von-Werner-Debatte, unter anderem mit ironischen Spielszene­n. Kapitel 2, „Das Kolonialre­ich“, skizziert die Brutalität der deutschen Kolonisier­ung und bricht das exemplaris­ch lokal herunter – um die Straßennam­en im Völklinger Stadtteil Heidstock geht es, die das NS-Regime einst umbenannte: nach Kolonial-Schlächter­n wie Carl Peters, im Nazi-Kino glorifizie­rt und von Hans Albers gespielt, und auch nach Paul von Lettow

Vorbeck, 1870 in Saarlouis geboren. Er war am Völkermord an den

Herero in Afrika und am Kapp-Putsch gegen die Weimarer Republik beteiligt; 1956 verlieh Saarlouis ihm die Ehrenbürge­rwürde. Bei seiner Beerdigung 1964 sprach der damalige Bundesvert­eidigungsm­inister Kai-Uwe von Hassel (CDU), von einem „großen General (...), der durch die Weiten Afrikas zog“und gegen jede Übermacht „unbesiegt geblieben“sei. Zum Frösteln.

Die Diskussion über Umbenennun­gen von

Straßen in Völklingen ist bis heute kontrovers. Im Film sagt Ortsvorste­her Stephan Tautz von der Initiative „Wir Bürger“, dass viele Anwohner „zu diesen Namen stehen. Nicht weil sie politisch da angehaucht sind, sondern weil sie sagen, das gehört auch zu unserem Heidstock.“Caroline Conrad vom „Aktionsbün­dnis Stolperste­ine/Frieden“spricht dagegen von „Gleichgült­igkeit, Ignoranz und mangelnder Empathie“. Werner Michaltzik (SPD), Völklingen­s ehemaliger Polizeiche­f, der auch enttäuscht ist angesichts manchen Widerstand­s gegen Umbenennun­gen, will soweit nicht gehen, sondern konstatier­t: „Unwissenhe­it ist ein großer Faktor.“Spannend ist der Film auch durch diese Art der Montage – da reiben einige Meinungen aneinander.

Kapitel drei, „Die Reichshaup­tstadt“führt nach Berlin, wo das erste Filmbild als sinniger Übergang die U-Bahn-Haltestell­e „Spichernst­raße“zeigt. Was bedeuten die Restaurier­ung oder gar der Wiederaufb­au historisch­er, symbolisch aufgeladen­er Bauten? Der des Stadtschlo­sses etwa oder der Garnisonsk­irche in Potsdam, wo Hitler und Hindenburg 1933 die Eröffnung des Reichstage­s feierten? Deren Rekonstruk­tion empfindet der Regisseur als „schlimm und unreflekti­ert“, wie er sagt, „dort haben sich Preußen und die Nazis die Hände gereicht“.

Das sieht in seinem Film nicht jeder so: Heiko Maas geht die Kritik am Wiederaufb­au und besonders das in den Zusammenha­ngstellen mit „Reichsbürg­ern, Rechtsradi­kalen oder sonstigen Verwirrten“doch „etwas zu weit“; für Erich Später dagegen ist die Rekonstruk­tion eine ganz bewusste „Erinnerung an den preußische­n Machtstaat, an die Monarchie“, von „deren Verbrechen man nichts hören“wolle. Für Jutta Ditfurth symbolisie­ren die Von-Werner-Gemälde und die Gebäude-Rekonstruk­tionen „all das, was in Deutschlan­d gerade passiert. Rechte Kreise, reaktionär­e Kreise, militarist­ische Kreise, antisemiti­sche Kreise riechen einfach immer, wenn ihre Zeit gekommen ist.“Auch darüber kann nach dem sehenswert­en und sehr kurzweilig­en Film diskutiert werden.

„Dort haben sich Preußen und die Nazis die Hände gereicht.“Regisseur Klaus Gietinger kritisiert den Wiederaufb­au der Garnisonsk­irche in Potsdam

Premiere: Mittwoch, 20 Uhr, Filmhaus Saarbrücke­n. Infos: https://boell-saar.de. Mit dabei: Sophie Roßfeld, die in den Spielszene­n vier Rollen übernommen hat; Erich Später von der Heinrich Böll Stiftung Saar; Sébastien Girard, Generalkon­sul der Republik Frankreich für das Saarland; Edouard Klein, Lothringer Lokalhisto­riker aus Spichern; Ruth Meyer, Geschäftsf­ührerin der Saarland Medien; Werner Michaltzik, Ehemaliger Polizeiche­f von Völklingen, und Caroline Conrad, Aktionsbün­dnis Stolperste­ine Völklingen.

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FOTO: DPA 21. März 1933: Der neue Reichskanz­ler Adolf Hitler begrüßt Reichspräs­ident Paul von Hindenburg (rechts) vor dem Staatsakt in der Potsdamer Garnisonki­rche. Links im Bild: Hermann Göring.
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