Magisches Licht am Nordrand Europas
Eine Winterreise zwischen Fjorden und Inseln: Die neue Nordkap-Linie von Hurtigruten bringt Passagiere zum legendären Nordkap.
Steile, vom Schnee bedeckte Bergflanken, erheben sich auf beiden Seiten des Schiffes. Sie mögen wuchtig erscheinen, dabei sind sie wahrscheinlich nur ein paar 100 Meter hoch. Unterwegs, entlang der norwegischen Küste, nähern wir uns mit der MS Trollfjord dem gleichnamigen spektakulären Fjord. Diffuses Licht und im Meer treibende Eisschollen verbreiten eine fast gespenstische Stimmung.
Seit wir vor ein paar Tagen von Oslo zu dieser Nordkapreise entlang der Küste aufbrachen, haben wir Glück mit dem Wetter. Zudem herrscht um diese Zeit, Mitte Februar, schon frühmorgens bis nachmittags etwa gegen 17 Uhr Tageslicht. Die Strecke führt vorbei an zahlreichen Inseln der sanften Küste Südnorwegens. Das Schiff hat eine festgelegte Route. Jedoch ist eine Anpassung an die Launen der Witterung manchmal notwendig. Außerplanmäßig nehmen wir daher Kurs auf das Städtchen Namsos, etwas nördlich von Trondheim gelegen.
Als das Schiff sich nähert, erreichen uns Jubelrufe. Norwegische Fähnchen werden geschwenkt, und über Lautsprecher empfängt uns ein Kinderchor mit Liedern. Die alternative Anreise versetzt den ganzen Ort in Festtagsstimmung. Beim Bummeln an Land kommt man schnell mit den Einheimischen ins Gespräch. „Wir haben schon seit einigen Tagen für eure Ankunft geübt. Das war toll,“erklären uns Kinder aus der Grundschule in fließendem Englisch. Für sie sind wir eine willkommene Abwechslung, zumal sie aus diesem Anlass auch noch schulfrei haben, dafür aber eine Choraufführung an der Kaimauer zelebrieren.
Während der Wintermonate von Dezember bis einschließlich April fährt die im Jahr 2023 renovierte MS Trollfjord auf der neuen NordkapLinie zum Nordkap und zurück nach Bergen. Die Tour mit dem Hurtigrutenschiff beginnt erstmals in Oslo, verläuft rund um Südnorwegen die ganze Küste entlang bis zum Nordkap und wieder zurück nach Bergen. Von da aus geht es mit der Bergenbahn zurück nach Oslo. Alternativ kann die Reise auch in Gegenrichtung verlaufen. Die Einrichtung besteht zu einem großen Teil aus natürlichen Materialien wie Holz und Stein, die aus der Region stammen und die Schönheit der Fjorde widerspiegeln. Das Schiff verfügt über drei Restaurants, einige Innen-, aber zahlreiche Außenkabinen, sowie auch Suiten mit oder ohne Balkon. Die besondere Attraktion der Fahrten im Winter ist die sehr hohe Wahrscheinlichkeit, Nordlichter zu sehen.
Mitten in der Nacht läutet das Telefon. Zum Glück sind keine kurzen und ein langer Warnton zu hören, das an Bord übliche Alarmsignal, sondern nur eine Ansage: „Werte Gäste, gehen sie nach draußen. Wir haben Polarlys.“Das Zauberwort: Nordlicht, von vielen sehnsüchtig erwartet. Doch bevor wir uns in die nächtliche Kälte wagen, das übliche Prozedere: warme Unterwäsche,
Wollpullover, wattierte Hosen, dicke Socken, zu guter Letzt Daunenjacke und Stiefel. Als wir Deck 9 erreichen, sind alle künstlichen Lichtquellen ausgeschaltet. Grünliche Schwaden wabern über den schwarzen Himmel. Mal verstärkt sich das Licht, mal färbt es sich leicht rot. Es verschwindet, um an anderer Stelle das Spiel von vorne zu beginnen. Keine leichte Aufgabe für Fotografen. Naturvölker hielten diese Erscheinungen früher für Seelen ihrer Verstorbenen, was bei dem fast überirdisch anmutenden Schauspiel nachvollziehbar ist. Inzwischen desillusioniert das Ganze eine rein physikalische Erklärung: Bei Sonneneruptionen ins All geschleuderte Teilchen verglühen beim Eintritt in die Atmosphäre. Das ereignet sich auch tagsüber, ist dann natürlich nicht sichtbar.
„Bitte für morgen ganz fest Daumen drücken. Leider macht das Wetter uns oft einen Strich durch die Rechnung, wenn es zum Nordkap geht.“Rebecca Bohrer, Reiseleiterin
auf der MS Trollfjord, verbreitet Zuversicht unter den Reisenden. Nach der Anlandung in Honningsvåg geht es mit dem Bus erstmal in ein kleines Fischerdorf, wo Königskrabben ge
fangen werden. Sie sind eigentlich in Kamtschatka heimisch, aber schon bis Nordnorwegen vorgedrungen, und vermehren sich so stark, dass sie bald einheimische Meerestiere verdrängen. Manche Tiere werden mehrere Kilogramm schwer und können bis zu einem Meter Durchmesser erreichen.
Gewaltige Schneepflüge halten die Straße frei von Honningsvåg zum Nordende der Insel Magerøya. Der nördlichste Punkt des europäischen Festlandes liegt allerdings etwas weiter südlich. Zum Nordpol sind es immerhin noch etwa 2000 Kilometer. Meterhoher Schnee verleiht der ansonsten kargen, baumlosen Landschaft ein sanftes Aussehen. Sylvia, unsere norwegische Führerin, ist völlig aus dem Häuschen. „Was habt ihr für ein Glück, Sonne und fast kein Wind? Das ist
sensationell“, meint sie strahlend.
„Ich werde euch heute ein bisschen von unserem Leben als Volk der Samen und als Rentier-Hirten erzählen. Es ist nicht immer so romantisch, wie ihr es euch vorstellt. Moderne Fahrzeuge, wie Schneemobile, erleichtern zwar das Zusammentreiben. Trotzdem gibt es viel harte Arbeit, bis man sein Geld verdient hat.“Die Gastgeberin des kleinen Tourismusbetriebes der Samen, Boazo Vàzzi, ist traditionell gekleidet. Sie und ihr Mann betreiben ein Gästehaus in der Nähe von Lødingen, auf einer Lofoteninsel, in wunderbarer, sehr einsamer Naturlandschaft. Haupterwerb ist wohl der Verkauf von Rentierfleisch und landestypischen Handarbeiten. Wir unterhalten uns mit dem 15-jährigen Sohn, auch er gekleidet in der Tracht der Samen. „Wenn ich mit der zehnten Klasse fertig bin, gehe ich auf die Highschool. Aber ich werde auf jeden Fall Rentierhirte wie mein Vater,“sagt er voller Überzeugung. An der Leine hält er ein zahmes Rentier, das einige Streicheleinheiten von uns über sich ergehen lassen muss. „Er ist wie ein Bruder für mich. Wir haben ihn selbst aufgezogen.“Das Tier scheint ihn zu verstehen, schmiegt den Kopf an seine Seite.
Längst hat für uns die Rückreise nach Bergen begonnen. Bis Oslo geht es nun mit der Bergenbahn weiter. Strahlender Sonnenschein begleitet uns die nächsten acht Stunden. Noch zeigen sich hin und wieder Seitenarme des Fjords, teilweise bedeckt mit einer dünnen Eisschicht. Dann geht es durch eine Bergwelt mit gewaltigen Felswänden, vorbei an von zu Eis erstarrten Wasserfällen. Auf Hochebenen entdecken wir einzelne Gehöfte, Häuser, fast eingeschlossen vom Schnee. Und doch lässt sich immer wieder eine Skispur ausfindig machen, welche diese archaische Landschaft durchschneidet. Bei etwa 1200 Metern erreicht die Bahnstrecke den Scheitelpunkt auf der Hardangervidda. Dann künden Vororte Norwegens Hauptstadt an. Oslo, eine äußerst interessante Stadt, gelegen am gleichnamigen 80 Kilometer langen Fjord. Und doch will sie jetzt nicht so recht in unsere Gefühlslage passen. Noch sind wir innerlich unterwegs auf dem Meer, vorbei an einsamen Orten der Küste und ihren liebenswürdigen Menschen und den ausgedehnten Ebenen des norwegischen Fjells.