„Die Unionspläne zum Bürgergeld sind frech“
Der SPD- Generalsekretär über seinen Blick auf die staatliche Leistung, das Klima in der Koalition und seinen Fraktionschef Mützenich.
Der Wahlkampf wirft seine Schatten voraus, der SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert ist in vielen Talkshows zu sehen und nimmt im ganzen Land Termine wahr. Warum sich die Union für ihn beim Thema Bürgergeld verrannt hat und wie er die Lage der Koalition einschätzt.
Herr Kühnert, der SPD-Vorstand hat gerade ein Wirtschaftskonzept beschlossen. War der Kanzler anwesend?
Er war nicht nur dabei, sondern hat auch mitdiskutiert und steht selbstverständlich hinter den Beschlüssen.
KÜHNERT Ihr Parteichef nennt es eine „Fehleinschätzung“, wenn gesagt werde, mit der Wirtschaft sei alles gut. Nichts anderes tut der Kanzler. Um Ihre Beschlüsse zu finanzieren, braucht es mehr Investitionen. Die Schuldenbremse ist jedoch in der Ampel bestätigt worden.
KÜHNERTUnser Konzept unterstützt einerseits Vorhaben, die die Koalition auf den Weg gebracht hat, etwa beim Bürokratieabbau oder der Arbeitskräfteeinwanderung. Da stimmt die Richtung schon. Aber die SPD setzt auch eigene Akzente, etwa durch den Vorschlag, 95 Prozent der Einkommen steuerlich zu entlasten und so die Kaufkraft zu stärken. Oder beim Plädoyer für wettbewerbsfähige Energiepreise und Netzentgelte. Das kostet Geld, stimmt. Aber es kostet dieses Land viel mehr, wenn wir nicht in den Standort investieren.
Die SPD-Spitze formuliert gerade häufig, der Sozialstaat würde gegen die Wirtschaft ausgespielt. Warum?
KÜHNERT Weil der Abbau sozialer Sicherheit weder Wachstum schafft, noch die Lücken im Haushalt stopft. Schauen Sie auf die Zahlen. Herr Merz steht vor demselben Haushaltsloch wie wir alle. Sagen wir 20 Milliarden Euro. Er will die
Schuldenbremse nicht reformieren und auch keine Steuererhöhungen für Reiche. Die Union will aber zehn Milliarden Euro mehr für die Verteidigung, den ermäßigten Mehrwertsteuersatz in der Gastronomie, die Agrardieselsubvention erhalten und die Abschaffung des Solidaritätszuschlags für Reiche. Jetzt ist das Loch schon mehr als 40 Milliarden Euro groß. Wo soll dieses Geld herkommen? All das geht nur, wenn er massiv in den Kern des Sozialstaats eingreift, etwa bei der Rente. Das wäre der größte Sozialabbau der Geschichte.
Sie sind noch ein junger Politiker. Die Rentenpläne der Koalition gehen zu Ihren Lasten.
KÜHNERT Das trifft nicht zu. Folgen wir konservativ-liberalen Vorstellungen, müssten wir meiner Generation sagen: Ihr müsst vor allem privat vorsorgen. Das können aber viele Menschen nicht. Wer befristet arbeitet und am Ende des Monats kaum mehr Geld hat, der wird nicht in eine Eigentumswohnung investieren können. Oder um es klassisch zu sagen: Die Zukunft der gesetzlichen Rente entscheidet sich nicht in einem Kulturkampf zwischen Enkeln und ihren Großeltern. So was braucht kein Mensch. Es ist vielmehr ein Konflikt zwischen Arm und Reich, eine Frage der Gerechtigkeit.
Die Union will an das Bürgergeld ran, Sie wollen die arbeitende Mitte entlasten. Geht das zusammen?
KÜHNERT Mit diesem Missverständnis räume ich gerne auf: Die SPD findet auch, dass der Abstand zwischen Leistungsbeziehern und dem niedrigsten Einkommen größer werden muss.
...weil Sie höhere Löhne fordern.
KÜHNERT Und hier beginnt Politik. Die Unionspläne zum Bürgergeld sind frech in einem Land, in dem jede zweite Tafelausgabestelle Aufnahmestopp meldet. 800 000 Arbeitnehmer müssen trotz Arbeit aufstocken. Da lasse ich mich doch nicht von der Union gegen Arbeitslose aufwiegeln, wo doch CDU und CSU im Bundestag nicht mal die Hand für zwölf Euro Mindestlohn gehoben haben. Mit deren Politik wäre der Abstand zwischen Bürgergeld und Arbeit noch deutlich kleiner.
Das System Bürgergeld kommt aber doch spätestens mit der Aufnahme der vielen ukrainischen Flüchtlinge an seine Grenzen.
KÜHNERT Deshalb gibt es jetzt den Job-Turbo und der zeigt bei der Arbeitsmarktintegration ukrainischer Mitbürger messbare Erfolge. Das passt manchen nicht. Die CDU hat sich beim Thema Bürgergeld leider völlig verrannt und setzt auf Parolen statt Politik. Dadurch ist diese fachlich wichtige Debatte im postfaktischen Raum angekommen. Deshalb der Reihe nach: Richtig ist, das Bürgergeld war und ist kein bedingungsloses Grundeinkommen. Es gibt selbstverständlich Regeln und notfalls auch Sanktionen. Aber die Rechtsprechung ist sehr klar: Der Staat darf Menschen nicht dauerhaft auf null runtersanktionieren. Die Vorschläge der CDU sind also schlicht verfassungswidrig. Außerdem bringen sie Hunderttausende fleißige Menschen mit ihren platten Parolen in Verruf. Die wirklichen Totalverweigerer im Bürgergeld sind wenige Tausend Menschen und Wechsel vom ersten Arbeitsmarkt in das Bürgergeld gab es im letzten Jahr so wenige, wie noch nie in der Geschichte der Grundsicherung. Die Fakten sprechen eine klare Sprache.
Auch die Koalition ist in dieser Woche in schwieriges Fahrwasser geraten. Von den Grünen regte sich kaum eine Hand für den Kanzler bei seiner Befragung zur Taurus-Debatte. Treibt Sie das um?
KÜHNERT Ich bedauere, dass wir gerade viel in Zerrbildern reden. Ich stimme nicht mit allem, was etwa Frau Strack-Zimmermann sagt, überein. Aber ich ahne, welche Gedanken sie antreiben und ich würde sie bei aller Differenz nie als Kriegstreiberin bezeichnen. Im Gegenzug erwarte ich dann aber auch, dass man meinem Fraktionschef nicht Kumpanei mit Wladimir Putin unterstellt. Das ist infam.
War das Wort „einfrieren“von Rolf Mützenich aus Ihrer Sicht glücklich?
„Der Staat darf Menschen nicht dauerhaft auf null runtersanktionieren.“
KÜHNERT Rolf Mützenich hat keine Forderung gestellt, den Krieg jetzt einzufrieren. Er hat daran erinnert, dass sich kluge vorausschauende Politik neben den Waffenlieferungen auch Gedanken über diplomatische Initiativen machen muss. Und er hat darauf verwiesen, wie das in vergleichbaren internationalen Konflikten in der Vergangenheit gelaufen ist.
Wird das Thema Krieg und Frieden den Eurowahlkampf bestimmen?
KÜHNERT Wir werden in jedem Falle über den Umgang mit Krisen zu sprechen haben. Viele Menschen erschreckt eine immer militaristischere Sprache, wie jüngst etwa die Vorstellungen der Bildungsministerin zur Kriegssensibilisierung an Schulen. Gleichzeitig sind auch viele von der Kühle einer Sahra Wagenknecht verstört, die wie eine Spielerin in einem Strategiespiel über die Zukunft der Ukraine philosophiert. Die SPD steht zwischen diesen Extremen für eine Politik mit Maß, Mitte und Anstand.