Wohnheim für Autisten wird zehn Jahre alt
Ein Tag mit besonders festen Strukturen. – Zu Besuch in einer ungewöhnlichen Wohngemeinschaft des Saarländischen Schwesternverbandes.
Eine ungewöhnliche Wohngemeinschaft ging vor zehn Jahren am Ortsrand von Heusweiler an den Start. In der Einrichtung des Saarländischen Schwesternverbandes leben 17 erwachsene Menschen mit Autismus. Es gibt vier Gruppen mit jeweils vier Bewohnern, eine der Gruppen besteht ausschließlich aus Frauen. Hinzu kommt ein Kurzzeitpflegeplatz. „Die Nachfrage ist groß“, erklärt Einrichtungsleiter Andreas Schackmar. Alle Plätze sind belegt.
Die Hälfte der Männer und Frauen ist während unseres Besuchs am Vormittag außer Haus: Einige arbeiten in Werkstätten, andere werden in Tagesförderstätten betreut. Die Bewohner, die daheim bleiben, sind ebenfalls beschäftigt. Sie sortieren Schrauben, backen Waffeln oder feilen an den Holzflügeln einer Engelsfigur. Theoretisch könnten sie auch außerhalb des Hauses einer Tätigkeit nachgehen. In der Praxis würde sie die Fahrt zur Arbeitsstätte allerdings überfordern. „Sie haben große Schwierigkeiten mit Übergangssituationen“, erläutert Andreas Schackmar. Denn die anderen Fahrgäste, die Geräusche im Auto, die Eindrücke beim Blick aus
dem Fenster – das alles würde Stress verursachen. Wobei die durch den Autismus bedingte Schwelle, bei der Reize zum Problem werden, individuell verschieden ist.
Das sieht man auch an den sehr
unterschiedlich gestalteten Einzelzimmern. Einige der Bewohner richten sich gemütlich ein, andere fühlen sich am wohlsten, wenn die Wände kahl bleiben und außer dem Bett fast kein Möbelstück im Raum steht. „Sie kommen nicht zur Ruhe, wenn sie mit zu vielen Reizen konfrontiert werden“, sagt Schackmar.
Ist eine bestimmte Grenze überschritten, werden die Bewohner aggressiv, beginnen zu schreien oder ziehen sich zurück. Dann dauert es lange, bis sie sich wieder beruhigen. Ein strukturierter Tagesablauf ist für die hier lebenden Autisten wichtig. Er wird für jeden individuell entwickelt. Bildkarten helfen bei der Orientierung: Sie zeigen, was als Nächstes ansteht – Arbeit, Essen, Pause. Außer den Einzelzimmern gibt es jeweils einen Gruppenraum mit Sitzecke, Fernseher und Küche. Wenn die Bewohner beim Frühstück gemeinsam am Tisch sitzen, sprechen sie nicht miteinander. Es kommt auch nicht vor, dass sie sich verabreden, gemeinsam einen Film
zu schauen. Oder dass sie einem Mitbewohner ihre Lebensgeschichte erzählen. Einige können nicht reden, andere sind taubstumm. Das erschwert natürlich auch die Kommunikation mit dem Betreuerteam. Die Fachkräfte haben aber gelernt, das Verhalten der Bewohner zu deuten. Und so auf deren Bedürfnisse zu schließen.
„Beobachtung ist das A und O“, sagt Pflegedienstleiterin Claudia Wagner. Sie erzählt von einer Bewohnerin, die manchmal beim Lachen die Zähne zeigt. Das bedeute allerdings nicht, dass sie sich wohl fühlt. Im Gegenteil: Der Gesichtsausdruck zeige Anspannung.
Menschen mit entsprechend starken Ausprägungen von Autismus wollen wissen, was auf sie zukommt, sie mögen keine Überraschungen. Ausflüge, die die tägliche Routine durchbrechen, müssen deshalb gut vorbereit sein. Beim Besuch eines Cafés geht ein Betreuer deshalb schon mal voraus, um die Bestellung aufzugeben. Damit die Getränke
beim Eintreffen der Gruppe bereits auf dem Tisch stehen. Die Autisten möchten sich hinsetzen, ihren Kaffee trinken und dann wieder gehen. Warten hingegen verursacht Stress.
Fast alle leben seit dem Start der
Wohngemeinschaft im Haus. „Mir gefällt es hier gut“, erzählt Bewohnerin Karin. Während der Arbeitszeit faltet sie Wäsche und sortiert Schrauben. Aber am liebsten, verrät Karin, faulenze sie in ihrem Zimmer.