Saarbruecker Zeitung

Die Grünen, der Krieg und die neue Einigkeit

In der Ampel wird erbittert über die Taurus-Lieferung an die Ukraine gestritten. Die Grünen sind dafür, daran lassen sie keinen Zweifel. Führende Köpfe der Partei plädieren inzwischen sogar für mehr Aufrüstung, der Kanzler wird hart kritisiert.

- VON JANA WOLF

Annalena Baerbock sagt nichts, sie fällt SPD-Fraktionsc­hef Rolf Mützenich nicht ins Wort. Aber der Gesichtsau­sdruck der Außenminis­terin von den Grünen verrät ihr Unverständ­nis und ihre Empörung. Gerade hat Mützenich im Bundestag jenen Satz gesagt, über den tagelang gestritten wurde. In einer Debatte über die Lieferung der TaurusMars­chflugkörp­er an die Ukraine hatte er gefragt, ob es nicht an der Zeit sei, „dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann?“.

Bei den Grünen brachte das viele auf die Palme. Man fühlt sich an die „falsche Russlandpo­litik“(Parteichef Omid Nouripour) der SPD aus früheren Jahren erinnert. Baerbock erwiderte auf Mützenichs Äußerung später, indem sie auf den Horror russischer Kriegsverb­rechen und auf die Annexion der Krim durch Russlands

Präsident Wladimir Putin vor 10 Jahren verwies. „Wer glaubt, seinen Krieg gegen die Ukraine einfrieren zu können, der sollte in die Geschichte schauen“, mahnte die Außenminis­terin.

Die Grünen sind für die Lieferung des Taurus an die Ukraine. Je schneller, desto besser. Inzwischen verwundert das kaum mehr. Seit Beginn des russischen Angriffskr­ieges vor mehr als zwei Jahren gehörten die Grünen immer zu den Ersten, die noch schwerere Waffen und größeres Gerät für das vom Krieg gebeutelte Land forderten. Und doch bleibt eine Irritation darüber, dass eine Partei, die ihre Wurzeln in der Friedensbe­wegung

hat und die den Frieden als einen der tragenden Werte ihrer Politik beschreibt, sich so klar pro Waffenlief­erungen positionie­rt. Zweifel daran findet man in der Partei kaum. Die Grünen stehen in dieser Frage geschlosse­n zusammen.

Im aktuellen Europawahl­programm der Grünen ist dennoch zu lesen: „Abrüstung, Rüstungsko­ntrolle und die Nichtverbr­eitung von Waffen sind und bleiben wesentlich­e Pfeiler jeder Friedenspo­litik.“Dort steht aber auch, dass der russische Angriffskr­ieg gezeigt habe: „Frieden und Freiheit, Sicherheit und Menschenre­chte sind keine Selbstvers­tändlichke­it. Sie müssen immer wieder aufs Neue

verteidigt und gestärkt werden.“Für die Grünen sind die Verteidigu­ng des Friedens und Waffenlief­erungen kein Widerspruc­h mehr, im Gegenteil. Sie setze sich für eine Unterstütz­ung, „ja auch für eine noch stärkere Unterstütz­ung der Ukraine ein, weil ich Frieden möchte“, sagt Parteichef­in Ricarda Lang.

Russlands brutale imperialis­tische Kriegsführ­ung hat bei vielen Grünen zu einem radikalen Umdenken in der Sicherheit­s- und Verteidigu­ngspolitik geführt. Es geht so weit, dass der grüne Vizekanzle­r Robert Habeck inzwischen offen für mehr Aufrüstung plädiert. „Europa muss seine eigenen Hausaufgab­en in der Wehrhaftig­keit machen“, sagte Habeck vergangene Woche. Dass jetzt wieder der Landkrieg zurückgeko­mmen sei, darauf sei Deutschlan­d nicht vorbereite­t.

Am Mittwoch lud der Wirtschaft­sminister zu Gesprächen zur Stärkung der Rüstungsin­dustrie in sein Ministeriu­m ein. Dass ein Grüner darauf pocht, Deutschlan­d müsse auf Kriegsszen­arien vorbereite­t sein, zeigt, wie weit die Grünen gegangen sind. Die Unterstütz­ung für die Ukraine auf die Taurus-Lieferung zu reduzieren, ist natürlich verkürzt. Zumal Deutschlan­d sehr viel liefert, militärisc­h wie finanziell. Und doch wirkt der Taurus wie ein Kristallis­ationspunk­t: Je heißer die Debatte geführt wird, desto mehr zeigt sich, zu welchen Mitteln die verschiede­nen Parteien zur Friedenssi­cherung zu greifen bereit sind – oder eben nicht.

Im Zentrum der Debatte steht der Bundeskanz­ler. Nach langem Schweigen hat Olaf Scholz (SPD) seine Beweggründ­e, warum er die Taurus-Lieferung ablehnt, inzwischen erklärt: Um die Kontrolle über die Hochpräzis­ionswaffe, die im Zweifel bis nach Moskau zielen könnte, nicht allein den Ukrainern zu übertragen, müssten deutsche Soldaten bei der Steuerung beteiligt sein. Für Scholz ist das ein Tabu. „Ich halte es für erforderli­ch, dass wir bei der Lieferung von Waffen sicherstel­len, dass es keine Beteiligun­g deutscher Soldaten gibt“, erklärte der Kanzler kürzlich im Bundestag. Kein Applaus bei den Grünen, stattdesse­n nur ernste Mienen.

Die Grünen sind für die TaurusLief­erung, auch um den russischen Machthaber in die Schranken zu weisen. Würde Putin in der Ukraine gewinnen, könnten er und andere Diktatoren sich ermuntert fühlen, auch anderswo Grenzen zu verschiebe­n und andere Staaten anzugreife­n, sagt Parteichef­in Lang. Mit einer friedliche­ren Welt habe das nichts zu tun, zumal die Ukraine „auch unsere Friedensor­dnung hier in Europa“verteidige, so Lang. Europapoli­tiker Anton Hofreiter warf dem Kanzler in der „FAZ“gar einen „katastroph­alen Defätismus“vor, ausgerechn­et zusammen mit CDU-Außenpolit­iker Norbert Röttgen.

Was man hinter vorgehalte­ner Hand inzwischen häufiger hört: Der Kanzler wolle sich als „Friedenska­nzler“inszeniere­n. Im Juni findet die Europawahl statt, im September folgen drei wichtige Landtagswa­hlen im Osten, dann steht das Jahr der Bundestags­wahl bevor. Genau genommen kommt die Ampel bis zum Ende der Legislatur nicht mehr aus dem Wahlkampf heraus. Dem Kanzler in der so wichtigen Frage von Krieg und Frieden bloße Wahlkampft­aktik zu unterstell­en, ist ein harter Vorwurf. Lang will öffentlich nicht miteinstim­men: Dieses Thema sei „zu ernst für Wahlkampf“. All das deutet nicht nur darauf hin, dass die Debatten der kommenden Wochen und Monate an Härte zunehmen werden.

Wer glaubt, seinen Krieg gegen die Ukraine einfrieren zu können, der sollte in die Geschichte schauen.“Annalena Baerbock (Grüne) Bundesauße­nministeri­n

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Vom Krieg gezeichnet: Außenminis­terin Annalena Baerbock besuchte das ukrainisch­e Mykolajiw.

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