„Die deutsche Wirtschaft ist angeschlagen“
Die deutsche Wirtschaft ist nicht mehr produktiv genug, das Wachstum bleibt schwach. Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute empfehlen der Politik, den Bürgern „reinen Wein einzuschenken“.
Die deutsche Konjunktur wird nach ihrer längeren Rezessionsphase im Frühjahr wieder anspringen, doch das Wirtschaftswachstum bleibt auch dann schwach – das ist die Kernbotschaft der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute, die am Mittwoch ihr neues Gemeinschaftsgutachten vorgelegt haben. „Die Wirtschaft in Deutschland ist angeschlagen“, sagte Stefan Kooths vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). Sie werde im laufenden Jahr nur mit 0,1 Prozent wachsen. Im Herbst waren die Institute noch von einem Zuwachs der Wirtschaftsleistung um 1,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr ausgegangen. Für 2025 belassen die Institute die Prognose mit plus 1,4 Prozent nahezu unverändert.
Bereits im vergangenen Jahr war die deutsche Wirtschaft um 0,3 Prozent geschrumpft. Für die anhaltende Schwäche machen die Institute konjunkturelle und damit vor allem äußere Faktoren, aber zunehmend auch innere und damit überwiegend strukturelle Nachteile verantwortlich. So hätten nach der Pandemie die hohe Inflation und in der Folge höhere Zinsen den privaten Konsum und die Investitionen gebremst. Durch ein tiefes Tal gehe die Bauwirtschaft. Zudem seien die Exporte unerwartet gesunken, obwohl die Weltwirtschaft wieder robuster sei. In diesem Jahr avanciere der private Konsum wegen der rückläufigen Inflation und höherer Realeinkommen wieder zur „wichtigsten Triebkraft“der Konjunktur. Im kommenden Jahr dann vermehrt auch das Auslandsgeschäft, so die Institute.
Die größten Sorgen bereitet den Ökonomen die geringe Arbeitsproduktivität und damit das geringe Wachstumspotenzial. Seit der Pandemie „tritt die Produktivität auf der Stelle, und die inzwischen um über 600 000 höhere Zahl der Erwerbstätigen kompensiert im Wesentlichen nur die niedrigere durchschnittlich geleistete Arbeitszeit“, heißt es im Gutachten. Dabei spiele auch der stark erhöhte Krankenstand eine Rolle. In den vergangenen Jahren seien zusätzliche Arbeitsplätze fast ausschließlich mit Zuwanderern besetzt worden. Viele erfüllten nicht das höhere Anforderungsprofil der Arbeitgeber. Die Politik müsse künftig mehr Anreize setzen, um höher qualifizierte Einwanderer zu gewinnen. „Es ist ein Wettbewerb um die Talente dieser Welt, die heute so mobil sind, wie keine Generation vor ihnen“, sagte IfW-Forscher Kooths.
Die Institute sehen zudem in der „Politikunsicherheit“eine Ursache für die geringe Investitionstätigkeit. Deutliche Kritik üben die Ökonomen am Hin und Her von Förderprogrammen und Subventionsentscheidungen der Regierung mal für die eine, mal für die andere neue Investition. Statt dieser erratischen Politik brauche die Wirtschaft verlässliche, allgemeine Rahmenbedingungen, um langfristig planen zu können. So sollte die Bundesregierung bei der weiter notwendigen Transformation der Wirtschaft zur Klimaneutralität auf das Instrument der CO2-Bepreisung vertrauen und für alle klar und eindeutig festlegen, wie der CO2-Preis in den kommenden Jahren steigen wird. Für unsichere Rahmenbedingungen sei aber nicht allein die aktuelle Ampel-Regierung, sondern auch Vorgänger-Regierungen verantwortlich, sagte Oliver Holtemöller vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH).
Die von SPD und Grünen geforderte Reform der Schuldenbremse für mehr neue Schulden sei „kein Allheilmittel“zur Standortverbesserung, warnen die Institute. Gleichwohl plädieren sie aber dafür, die Schuldenbremse behutsam zu reformieren. Sie schließen sich einem Vorschlag der Bundesbank an.
Die Institute empfehlen auch, die Einnahmen aus der konkunkturabhängigen CO2-Bepreisung bei der Berechnung der zulässigen Neuverschuldung stärker zu berücksichtigen. Auch dadurch könnte sich der Verschuldungsspielraum des Staates in schwächeren Phasen erhöhen. Allerdings hänge das „Wohl und Wehe des Standorts“von der Reform der Schuldenbremse nicht ab, stellen die Forscher klar. Um den Standort zu verbessern, müsse an vielen Stellschrauben gleichzeitig gedreht werden. Das Steuersystem müsse reformiert, Infrastruktur-Investitionen verbessert, Bürokratie abgebaut und die Verfügbarkeit von Fachkräften erhöht werden. Die Politik müsse den Bürgern zudem „reinen Wein einschenken“, sagte Timo Wollmershäuser vom Münchner Ifo-Institut. Das Rentensystem sei künftig ohne die Verlängerung der Lebensarbeitszeit nicht finanzierbar.