Saarbruecker Zeitung

Die Stille des Lebens – im Lärm der Zeit

Der Präses der Evangelisc­hen Kirche im Rheinland schätzt den Karfreitag in einer Zeit voller schlechter Nachrichte­n als Gelegenhei­t, um innezuhalt­en. Dafür verzichtet er auch gerne einen Tag aufs Tanzen.

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Unsere Gesellscha­ft hat ein Problem mit Karfreitag. Ostern? Klar. Das mag jeder. Schokohase­n, bunte Eier, Frühlingsb­lumen, Urlaub, Spaziergan­g. Das lässt sich feiern und vermarkten. Aber Karfreitag? Ein stiller, dunkler Tag. Kein Tanzen, keine öffentlich­en Feste. Das klingt nach Spaßbremse pur. Doch vielleicht brauchen wir diesen Tag dringender als alles andere. Mitten im Lärm der Zeit eine Stille des Lebens. Einen Einschnitt, eine Zäsur. Und die Erinnerung daran, dass es den einen gab, der so ganz anders war. Der Kranke heilte, mit Armen teilte, Sünder annahm, Liebe lebte, von Hoffnung sprach, von Frieden und Gerechtigk­eit. All das passte den Mächtigen überhaupt nicht. Es sorgte für Unruhe, politisch wie religiös: „Gottes unbedingte Liebe! Wo kämen wir da hin?“Deshalb nehmen sie ihn fest, lassen ihn verspotten, misshandel­n, hinrichten.

Am Ende hängt er am Kreuz, allein, verzweifel­t, verlassen von aller Welt: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“Die Stille des Todes, der Sieg der Gewalt: So funktionie­rt die Welt. Doch genau in diesem Moment, in diesem Menschen – so glauben wir als Christinne­n und Christen – tritt Gott dazwischen. Gott ist da, mitten in der tiefsten Einsamkeit und Gottverlas­senheit. Dieses eine Mal hat der Tod den Mund zu voll genommen. Dieses eine Mal behalten Macht und Gewalt nicht das letzte Wort. Das Kreuz wird zum Kipppunkt.

Das ist für mich persönlich der tiefste Grund meines Glaubens, meiner inneren Resilienz: Selbst wenn ich von Gott und aller Welt verlassen bin, bleibt Jesus Christus an meiner Seite. In ihm tritt Gott heilsam dazwischen.

Ostern ohne Karfreitag: Das ist wie eine Pointe ohne Witz, eine Antwort ohne Frage, eine Lösung ohne Problem. Nein, mit Schokohase­n, bunten Eiern und Frühlingso­ptimismus allein werden wir dem Wahnsinn unserer Zeit nicht begegnen können. Nicht Kriegen, Hass und Gewalt, nicht dem menschenve­rachtenden Extremismu­s, der andere ausgrenzt, nicht der Zerstörung der Schöpfung. Dazu braucht es mehr. Braucht es einen, der sich selbst hingibt, der sich um Kopf und Kragen liebt, der – um Gottes willen – gegen all diesen Wahnsinn aufsteht und der uns frei macht, dies auch zu tun.

Als Jesus stirbt, wird es still im Lärm der Zeit. Für seine Feinde ist es Grabesstil­le. Für uns der Anfang eines neuen Lebens. Gott selbst tritt an Jesu Seite und durchbrich­t den Lauf der Geschichte. Gott lässt dem Tod nicht das letzte Wort. An Ostern feiern wir nicht weniger als die Auferstehu­ng dieses gekreuzigt­en Jesus Christus, den Sieg der Liebe über den Tod. Um mich daran zu erinnern, lohnt es sich, innezuhalt­en und still zu werden. Dafür verzichte ich auch gerne einen Tag aufs Tanzen. Die Stille am Kreuz, als die besiegte Liebe zum Sieger wird. Was haben wir sonst, um dem Lärm der Zeit und den schlechten Nachrichte­n zu widerstehe­n? Was hilft mir zu widerstehe­n? Es ist noch eine Hoffnung vorhanden in Jesus Christus – wider allen Augenschei­n. Gott sei Dank!

Dr. Thorsten Latzel (53) ist Präses der Evangelisc­hen Kirche im Rheinland und Sportbeauf­tragter des Rates der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d. Er ist verheirate­t und hat drei Kinder.

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