Nach sechs Monaten Krieg steht Israel zunehmend isoliert da
Nach dem Terrorangriff der Hamas war die Solidarität groß. Doch mit seinem Vorgehen im Gazastreifen stößt Israel zunehmend auch Verbündete vor den Kopf.
(ap) Als Israel der militant-islamistischen Hamas nach deren beispiellosem Terrorangriff im Oktober den Krieg erklärte, stand die Bevölkerung geeint hinter diesem Schritt, und auch international war die Unterstützung groß. Sechs Monate später sieht es anders aus: Der Konflikt im Gazastreifen scheint festgefahren, die Bevölkerung ist in zwei Lager gespalten, Israel international isoliert und zunehmend uneins mit seinem engsten Verbündeten, den USA. Hinzu kommt die Gefahr, dass sich der Konflikt auf die gesamte Region ausdehnt.
Trotz des harten militärischen Vorgehens Israels ist die Hamas nicht besiegt, wenn auch geschwächt. Die Offensive hat im Gazastreifen zu einer humanitären Krise geführt: Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung wurden aus ihrem Zuhause vertrieben, mehr als eine Million Menschen leiden Hunger. Eine auch für seine Partner akzeptable Nachkriegsvision hat Israel bislang nicht präsentiert, Verhandlungen über eine Waffenruhe sind ins Stocken geraten.
Israel reagierte mit seiner Kriegserklärung auf den Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober, bei dem die Gruppe und mit ihr verbündete Extremisten im Süden Israels 1200 Menschen töteten und etwa 250 weitere verschleppten. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu legte zwei Kriegsziele fest: die Hamas zu zerstören und die Geiseln nach Hause zu bringen. Beides wurde bislang nicht erreicht.
In einer blutigen Offensive eroberten israelische Truppen weite Teile von Gaza. Unklar ist, ob die Armee auch nach Rafah ganz im Süden des Küstengebiets einmarschieren wird, der laut Israel letzten bedeutenden Hamas-Hochburg. Netanjahu hat das wiederholt angekündigt, stößt damit aber international auf massive Kritik. Denn in der Stadt haben Hunderttausende Palästinenser Zuflucht vor den Kämpfen weiter nördlich gesucht. Und selbst wenn Israel in Rafah einmarschiert, ist das keine Garantie für einen langfristigen Erfolg. Zugleich konnte Israel an der nördlichen Grenze die täglichen Angriffe der proiranischen Hisbollah-Miliz aus dem Libanon nicht stoppen. Diese verfügt weiterhin über ein großes Waffenarsenal.
Nach dem Massaker vom 7. Oktober, dem verheerendsten Angriff auf Juden seit dem Holocaust, erhielt Israel international viel Unterstützung. Doch inzwischen macht sich angesichts der Lage im Gazastreifen Empörung über Israel breit. Mehr als 33 000 Palästinenser wurden nach Angaben des der Hamas unterstehenden Gesundheitsministeriums bislang in dem Krieg getötet, etwa zwei Drittel von ihnen Frauen und Kinder. Hilfsorganisationen zufolge leidet rund ein Drittel der Bevölkerung an Hunger. Auch Verbündete Israels fordern inzwischen eine Waffenruhe.
Der Internationale Gerichtshof forderte Israel Ende Januar auf, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um Zivilisten im Gazastreifen besser zu schützen. Am 25. März verabschiedete der Weltsicherheitsrat gegen den
Widerstand Israels eine Resolution, mit der eine sofortige Waffenruhe gefordert wurde – und die USA verzichteten auf ein Veto. Seitdem geriet Israel nur noch mehr unter Druck, insbesondere nach einem Luftangriff, bei dem Anfang der Woche sieben Mitarbeiter der Hilfsorganisation World Central Kitchen getötet wurden. Israel erklärte, es habe sich um einen fehlgeleiteten Angriff gehandelt.
Nach einer Phase der Einigkeit zu Kriegsbeginn tun sich inzwischen erneut Risse in der Bevölkerung auf. Wöchentliche Massenproteste mit Zehntausenden Teilnehmern gegen die Regierung nehmen wieder zu. Teils sind die Kritikpunkte altbekannt.
Neuen Auftrieb verschafft den Demonstrationen Netanjahus bisheriges Unvermögen, die Geiseln zu befreien. Etwa die Hälfte von ihnen kam im November während einer einwöchigen Feuerpause frei. 134 weitere werden nach israelischen Angaben weiter in Gaza festgehalten. Mehr als 30 wurden bereits für tot erklärt, und es besteht die Sorge, dass diese Zahl wächst, je länger die Geiselhaft dauert. Das Schicksal der Geiseln und die Verzweiflung ihrer Angehörigen haben in der israelischen Öffentlichkeit großen Widerhall gefunden.
Die Beliebtheit des Regierungschefs ist seit Ausbruch des Kriegs abgestürzt. Viele Menschen machen ihn für das Versagen von Geheimdiensten und Sicherheitskräften verantwortlich, das den Terrorangriff ermöglichte. Forderungen nach seinem Rücktritt oder nach einer Untersuchung zu Versäumnissen wies er zurück. Seine Koalitionspartner stehen fest an seiner Seite.
Die israelische Offensive hat im Gazastreifen massive Zerstörungen angerichtet und der Hamas schwere Verluste zugefügt. Israel hat nach eigenen Angaben rund 13 000 Hamas-Kämpfer getötet und die militärischen Ressourcen der Gruppe teils zerschlagen. Selbst wenn das stimmen sollte, ist die Hamas in Rafah aber weiter intakt. Und in anderen Gebieten, in denen Israel zuvor den Sieg erklärt hat, haben sich ihre
Kämpfer neu formiert. Zeichen für einen breiten Widerstand gegen die Hamas bei den Menschen im Gazastreifen gibt es nicht.