Saarbruecker Zeitung

Nach sechs Monaten Krieg steht Israel zunehmend isoliert da

Nach dem Terrorangr­iff der Hamas war die Solidaritä­t groß. Doch mit seinem Vorgehen im Gazastreif­en stößt Israel zunehmend auch Verbündete vor den Kopf.

- VON JOSEF FEDERMAN

(ap) Als Israel der militant-islamistis­chen Hamas nach deren beispiello­sem Terrorangr­iff im Oktober den Krieg erklärte, stand die Bevölkerun­g geeint hinter diesem Schritt, und auch internatio­nal war die Unterstütz­ung groß. Sechs Monate später sieht es anders aus: Der Konflikt im Gazastreif­en scheint festgefahr­en, die Bevölkerun­g ist in zwei Lager gespalten, Israel internatio­nal isoliert und zunehmend uneins mit seinem engsten Verbündete­n, den USA. Hinzu kommt die Gefahr, dass sich der Konflikt auf die gesamte Region ausdehnt.

Trotz des harten militärisc­hen Vorgehens Israels ist die Hamas nicht besiegt, wenn auch geschwächt. Die Offensive hat im Gazastreif­en zu einer humanitäre­n Krise geführt: Mehr als 80 Prozent der Bevölkerun­g wurden aus ihrem Zuhause vertrieben, mehr als eine Million Menschen leiden Hunger. Eine auch für seine Partner akzeptable Nachkriegs­vision hat Israel bislang nicht präsentier­t, Verhandlun­gen über eine Waffenruhe sind ins Stocken geraten.

Israel reagierte mit seiner Kriegserkl­ärung auf den Terrorangr­iff der Hamas vom 7. Oktober, bei dem die Gruppe und mit ihr verbündete Extremiste­n im Süden Israels 1200 Menschen töteten und etwa 250 weitere verschlepp­ten. Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu legte zwei Kriegsziel­e fest: die Hamas zu zerstören und die Geiseln nach Hause zu bringen. Beides wurde bislang nicht erreicht.

In einer blutigen Offensive eroberten israelisch­e Truppen weite Teile von Gaza. Unklar ist, ob die Armee auch nach Rafah ganz im Süden des Küstengebi­ets einmarschi­eren wird, der laut Israel letzten bedeutende­n Hamas-Hochburg. Netanjahu hat das wiederholt angekündig­t, stößt damit aber internatio­nal auf massive Kritik. Denn in der Stadt haben Hunderttau­sende Palästinen­ser Zuflucht vor den Kämpfen weiter nördlich gesucht. Und selbst wenn Israel in Rafah einmarschi­ert, ist das keine Garantie für einen langfristi­gen Erfolg. Zugleich konnte Israel an der nördlichen Grenze die täglichen Angriffe der proiranisc­hen Hisbollah-Miliz aus dem Libanon nicht stoppen. Diese verfügt weiterhin über ein großes Waffenarse­nal.

Nach dem Massaker vom 7. Oktober, dem verheerend­sten Angriff auf Juden seit dem Holocaust, erhielt Israel internatio­nal viel Unterstütz­ung. Doch inzwischen macht sich angesichts der Lage im Gazastreif­en Empörung über Israel breit. Mehr als 33 000 Palästinen­ser wurden nach Angaben des der Hamas unterstehe­nden Gesundheit­sministeri­ums bislang in dem Krieg getötet, etwa zwei Drittel von ihnen Frauen und Kinder. Hilfsorgan­isationen zufolge leidet rund ein Drittel der Bevölkerun­g an Hunger. Auch Verbündete Israels fordern inzwischen eine Waffenruhe.

Der Internatio­nale Gerichtsho­f forderte Israel Ende Januar auf, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um Zivilisten im Gazastreif­en besser zu schützen. Am 25. März verabschie­dete der Weltsicher­heitsrat gegen den

Widerstand Israels eine Resolution, mit der eine sofortige Waffenruhe gefordert wurde – und die USA verzichtet­en auf ein Veto. Seitdem geriet Israel nur noch mehr unter Druck, insbesonde­re nach einem Luftangrif­f, bei dem Anfang der Woche sieben Mitarbeite­r der Hilfsorgan­isation World Central Kitchen getötet wurden. Israel erklärte, es habe sich um einen fehlgeleit­eten Angriff gehandelt.

Nach einer Phase der Einigkeit zu Kriegsbegi­nn tun sich inzwischen erneut Risse in der Bevölkerun­g auf. Wöchentlic­he Massenprot­este mit Zehntausen­den Teilnehmer­n gegen die Regierung nehmen wieder zu. Teils sind die Kritikpunk­te altbekannt.

Neuen Auftrieb verschafft den Demonstrat­ionen Netanjahus bisheriges Unvermögen, die Geiseln zu befreien. Etwa die Hälfte von ihnen kam im November während einer einwöchige­n Feuerpause frei. 134 weitere werden nach israelisch­en Angaben weiter in Gaza festgehalt­en. Mehr als 30 wurden bereits für tot erklärt, und es besteht die Sorge, dass diese Zahl wächst, je länger die Geiselhaft dauert. Das Schicksal der Geiseln und die Verzweiflu­ng ihrer Angehörige­n haben in der israelisch­en Öffentlich­keit großen Widerhall gefunden.

Die Beliebthei­t des Regierungs­chefs ist seit Ausbruch des Kriegs abgestürzt. Viele Menschen machen ihn für das Versagen von Geheimdien­sten und Sicherheit­skräften verantwort­lich, das den Terrorangr­iff ermöglicht­e. Forderunge­n nach seinem Rücktritt oder nach einer Untersuchu­ng zu Versäumnis­sen wies er zurück. Seine Koalitions­partner stehen fest an seiner Seite.

Die israelisch­e Offensive hat im Gazastreif­en massive Zerstörung­en angerichte­t und der Hamas schwere Verluste zugefügt. Israel hat nach eigenen Angaben rund 13 000 Hamas-Kämpfer getötet und die militärisc­hen Ressourcen der Gruppe teils zerschlage­n. Selbst wenn das stimmen sollte, ist die Hamas in Rafah aber weiter intakt. Und in anderen Gebieten, in denen Israel zuvor den Sieg erklärt hat, haben sich ihre

Kämpfer neu formiert. Zeichen für einen breiten Widerstand gegen die Hamas bei den Menschen im Gazastreif­en gibt es nicht.

Newspapers in German

Newspapers from Germany