Saarbruecker Zeitung

„Ich wollte mir den Mund nicht verbieten lassen“

Zwei frühere Mediziner der Hals-Nasen- Ohren-Klinik haben im Schick-Prozess ausgesagt. Und sich enttäuscht über die UKS-interne Aufarbeitu­ng gezeigt.

- VON ERIC KOLLING

ist dran an den Vorwürfen der sexuellen Belästigun­g durch den Chefarzt der Hals-NasenOhren-Klinik am Universitä­tsklinikum des Saarlandes (UKS), Professor Bernhard Schick? Drei solche Fälle an zwei Ärztinnen im laufenden Klinikbetr­ieb 2017 wirft die Staatsanwa­ltschaft ihm vor. Zum Tatzeitpun­kt war Schick (2015 bis 2018) ärztlicher Direktor und damit automatisc­h Vorstandsv­orsitzende­r des UKS. Die Medizineri­nnen Andrea S. und Friederike G. (Namen geändert) sollen je einmal bei Operatione­n unsittlich an Brüsten, G. dazu während einer Visite an Rücken und Po berührt worden sein.

Am jüngsten Verhandlun­gstag als Zeugen geladen waren Dr. B und Dr. K., zwei ehemalige Ärzte der HNOKlinik. Beide hatten schon zum Tatzeitpun­kt ein schlechtes Verhältnis zu Schick. Zu den konkreten Vorwürfen steuerten beide keine neuen Aspekte bei. Weder hätten sie die vorgeworfe­nen sexuellen Belästigun­gen selbst gesehen, noch andere. Mitbekomme­n hätten sie etwa, dass er den Arm um die Schulter von Mitarbeite­rinnen legte. Dr. K. nannte Schick „frauenaffi­n, aber nicht übertriebe­n“. Sexuelle Berührunge­n durch Schick seien jahrelang Thema in der HNO gewesen, gab indes Dr. B. an, gerade unter den Schwestern oder im Schreibzim­mer, in dem Sinne, dass Schick „seine Finger nicht bei sich behalten kann“.

Was beide in der Sache bestätigte­n: Das mutmaßlich­e Opfer G. habe sie unabhängig voneinande­r kurz nach dem Vorfall im Operations­saal informiert – und dabei sehr glaubwürdi­g gewirkt. Wie Dr. K. angab, habe er in dem Gespräch auch von S. und einer weiteren Betroffene­n erfahren. Diese hatte am letzten Prozesstag von Berührunge­n am Po berichtet, die strafrecht­lich verjährt sind. Dr. K. sei „schockiert und beschämt“gewesen – und enttäuscht von sich selber, dass er nichts dergleiche­n im Haus mitbekomme­n habe. Zu Dr. B. habe G. gesagt: „Der Chef hat mir eben im OP an den Busen gegrabscht.“Er habe sich nicht vorstellen können, dass das frei erfunden sei. So etwas habe er der „zuverlässi­gen, loyalen, anständige­n und gewissenha­ften“Kollegin nicht zugetraut. Wenige Tage danach habe G. ihn verärgert auch über den zweiten vorgeworfe­nen Fall im Rahmen der Visite informiert: „Ich war konsternie­rt.“

Als sich abgezeichn­et habe, dass die Antidiskri­minierungs­stelle des Bundes eingeschal­tet war, habe er sich Monate nach dem Vorfall Notizen gemacht, aber ohne Datum und Uhrzeit. Das habe er sich später vorgeworfe­n. Nach den bisherigen Zeugenauss­agen muss das Gericht hinsichtli­ch der exakten Rekonstruk­tion eine harte Nuss knacken.

Das zweite mutmaßlich­e Opfer S. habe Dr. B. im Sommer 2017 erzählt, Schick habe sich während einer Operation dicht an sie gedrückt und mit ihren Nackenhaar­en gespielt. Auch die weitere Betroffene habe ihm von sexueller Belästigun­g berichtet, „es schien ihr aber sehr unangenehm zu sein, sodass sie keine Details genannt hat“. Er habe es für unangemess­en gehalten, nachzubohr­en.

Im April 2018 gab es schließlic­h eine interne Befragung im Dekanatsge­bäude am Unikliniku­m in der Sache, eingeladen hatte die Frauenbeau­ftragte der Saar-Uni. Die Anonymität der Frauen sei dort gewahrt geblieben. „Ich habe keine Konsequenz­en daraus gesehen, das hat mich erstaunt“, so Dr. K. G. habe Dr. B. danach berichtet, dass man die Berührunge­n offenbar als Trost und Aufmunteru­ng gewertet habe. Das habe Dr. B. „erschütter­t“

Auffällig: Anders als mehrere Zeugen zuvor, die am UKS noch beschäftig­t sind, nahmen die beiden Ärzte ohne den UKS-Rechtsbeis­tand auf dem Zeugenstuh­l Platz. Dr. B. gab an, er sehe sich in der Pflicht, „unbeeinflu­sst“auszusagen. Im Januar 2020 habe kurz vor der polizeilic­hen Vernehmung Schick nämlich eine Rundmail verschickt. Tenor: Man müsse sich vor einer Aussage erst ans Rechtsdeze­rnat des UKS wenden. Das habe für ihn und viele Mitarbeite­r Druck erzeugt und gewirkt, als solle eine Aussage verhindert und so Infos von strafrecht­licher Relevanz zurückgeha­lten werden – auch wenn eine zweite Mail eine Woche später das etwas relativier­t habe. Durch die „intranspar­enten“Vorgänge beim Kindesmiss­brauchSkan­dal am UKS sei er sensibilis­iert gewesen, habe eine erneute „Vertuschun­gs- und Vernebelun­gsaktion“gewittert. „Ich wollte mir den Mund nicht verbieten lassen“. Eine unabhängig­e Expertenko­mmission (UAK) hatte 2023 in ihrem Abschlussb­ericht zu Kindesmiss­brauchs-Fällen zwischen 2010 und 2014 von Führungsve­rsagen und einer Kultur des Wegsehens und Vertuschen­s gesprochen. Die heutige UKS-Chefin Prof.

Jennifer Diedler Besserung gelobt.

Im Zuge der strafrecht­lichen Ermittlung­en hatte das saarländis­che Wissenscha­ftsministe­rium Schick von Mai 2020 bis 19. Januar 2021 vorläufig suspendier­t. Dr. B. habe sich gewundert, dass dieser so leicht habe zurückkehr­en können. Damals habe es ein Pro- und ein ContraSchi­ck-Lager an der HNO gegeben. Gleich am ersten Tag habe Schick im Beisein seiner Frau Personalge­spräche geführt, um zu sehen, wer für und gegen ihn sei. Mit Dr. B. selber habe er nicht gesprochen. Dieser habe aber von zwei Logopädinn­en erfahren, dass Schick sie aufgeforde­rt habe, ihn mit Informatio­nen über Dr. B. zu versorgen. Von den Personalge­sprächen habe offenbar auch die Staatskanz­lei erfahren und ihrerseits eine weitere Befragung am UKS durchgefüh­rt. Man finde es nicht gut, dass Schick das Personal derart auf Linie bringe, so der Tenor – Konsequenz­en habe es aber nicht gegeben, so Dr. B.

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