Prostitution im Saarland
Ein weiterer Mann kommt an den Tisch, er geht leicht gebückt, fragt nach dem Ältesten in der Runde. Der sei über 70, lautet die Antwort. „Ich bin 83“, sagt der Senior mit einem schelmischen Gesichtsausdruck. „Geht noch alles?, fragen die Männer und lachen. „Sicher“, sagt der Alte und grinst.
Dass es Opfer von Menschenhandel in der Branche gibt, bestreitet Bordell-Chef Hövermann nicht. „Aber 400 000 Frauen und davon 95 Prozent Opfer von Menschenhandel – ganz ehrlich, wo sollen die alle sein?“In illegalen „Prostitutionsstätten“, in Hotels und Wohnungen, die klassische Bordelle längst überholt haben? „Ja, aber es können nicht so viele Frauen sein.“Dennoch, „diese illegalen Wohnungen“seien ein Problem: „Es gibt keine Kontrollen, keinen Sexarbeiterausweis, da kommt kein Finanzamt hin.“Aber die Freier. Das Internet sei voll von Werbeanzeigen, schließlich „wollen die Frauen ja auch gefunden werden“. In den Wohnungen müsste man „das Übel bei der Wurzel packen“, sagt Hövermann: „Aber das geschieht nur selten, weil das natürlich deutlich schwieriger ist, als bei mir zu kontrollieren.“
Wer im Netz nach Frauen für Sex im Saarland sucht, findet sie auf Seiten wie ladies.de, kaufmich.com, lustscout oder tabulose-huren.com. Dort tauschen sich Männer in Foren aus, prahlen, die Frauen stellen sich vor, oft detailliert: sexuelle Praktiken, Oberweite, Intimrasur. „Ich arbeite in ganz privater, sauberer und renovierter Wohnung“, schreibt eine Mira, samstags und sonntags hat sie „Ruhetag“. Der Kontakt kommt über eine Handynummer zustande. Manchmal findet man auch direkt Adressen.
Ein Mietshaus in der Saarbrücker Innenstadt. Zwei Dominas bieten dort ihre Dienste an, alles angemeldet. Eine rosa Schweinemaske fällt ins Auge, eine Flasche Tabasco. Und ein Gummipenis, schwarz und groß wie der Unterarm eines ausgewachsenen Mannes. Gasmasken, Teppichklopfer, ein Gynäkologen-Stuhl, Seile und Ketten, ein Menschen-Käfig, 1,50 Meter hoch. Material für Zehntausende Euro.
Die Dominas, die viele Stammkunden haben, nicht wenige Ehemänner seien darunter, bieten auch einen Fetischfrisördienst an. Ein Haarschnitt kostet 200 Euro, die Frauen können aber keine Haare schneiden, was dann schräg aussieht. „Wir erleben hier viele lustige Sachen“, sagen beide, „aber manchmal auch echt krankes Zeug.“Beide betonen, dass sie ihre Arbeit freiwillig machen. „Höchst freiwillig“, sagt die eine. „Ich mache das, weil ich das wirklich gut finde“, meint die andere.
Domina Nummer 1 führt im Saarland zwei Läden, im Angebot sind auch Erotik-Massagen. Nicht von ihr, sondern von Frauen, die in ihren Clubs „selbständig arbeiten“. Sie sei seit 20 Jahren im Geschäft, sei „vom alten Schlag“und möchte, dass es „den Mädels gut geht“.
Die Domina ist gegen das „Nordische Modell“: „Das fordern nur Menschen, die gar keine Ahnung von der Prostitution haben.“Das Modell dränge die Frauen in die Illegalität, es gebe kaum noch Kontrollmöglichkeiten. Angesprochen auf illegale Bordelle im Saarland sagt sie, dass es die gebe. Dort würden schlimme Zustände herrschen, es werde „oft alles ohne angeboten“, ohne Kondom – trotz Kondompflicht. Die illegalen Läden müssten weg: „Da muss die Polizei, müssen die Ämter alle drei Tage rein und schließen, bis sie die Lust verlieren.“
Gesundheitsamt des Regionalverbandes, viertes Obergeschoss. „Prostituiertenschutzgesetz Anmeldung/ Beratung Michael Balzert“, steht an der Tür. Durchs Fenster spitzt die Saarbrücker Ludwigskirche. Balzerts „Kerngeschäft“ist die Beratung und die „Anmeldebescheinigung“, in der Szene „Prostituierten-Pass“und „Huren-Ausweis“genannt. Er kostet 30 Euro, ist zwei Jahre gültig, für Frauen zwischen 18 und 21 ein Jahr. In der Beratung klärt Balzert die Frauen über ihre Rechte und Pflichten auf, stellt Beratungsangebote wie „Aldona“vor. „Wenn sie angemeldet sind, sind sie normale Selbständige“, fasst der Sozialarbeiter zusammen.
Wie viele Prostituierte gibt es in Saarbrücken? 1000? 1200? Wie oft behauptet wird? „Ich weiß es nicht“, sagt Balzert, „aber so viele sicher nicht, wo sollen die sein?“Seine Abteilung sei gut vernetzt, mit Polizei, anderen Ämtern, „wir haben vieles im Blick. Das bekämen wir mit“.
Die Statistik zählte Ende 2023 im gesamten Saarland 733 angemeldete Prostituierte (darunter zehn Männer). Laut Balzert arbeiten sie nicht alle hier, der Ausweis gilt bundesweit. Die Frauen kommen aus 31 Nationen, 26 Sex-Arbeiterinnen waren zum Zeitpunkt der Anmeldung unter 21. Was sind das für Frauen? „Wir haben in der gesellschaftlichen Wahrnehmung ein Zerrbild“, schickt Balzert voraus. Das Spektrum sei so breit, wie die Frauen vielfältig seien. Natürlich gebe es „schlimme Machenschaften, Vergewaltigungen, Drogenstrich“. Aber es gebe auch Frauen, „die haben Anwalt und Steuerberater und kommen mit Gucci-Tasche hierher. Und die sind auf keinen Fall selten. Mindestens die Hälfte der Frauen.“
Balzert betont: „Wir sehen hier bei uns im Amt nur das Hellfeld. Dass es diesen illegalen Komplex gibt, in Hotels und Wohnungen, ist völlig klar. Dass der in Coronazeiten gewachsen ist, davon muss man ausgehen.“Aber: Gebe es das Prostituiertenschutzgesetz nicht, „hätten wir gar kein Hellfeld“. Ein Sexkaufverbot hält er daher für „absolut falsch“. Das erinnere ihn an „Lieschen Müller“, die in der Zeitung Schlechtes über Prostitution lese und sage: „Mein Gott, das muss jetzt endlich mal verboten werden!“
Die Sozialarbeiterinnen von „Aldona“, die sich um Sexarbeiterinnen und um Opfer von Menschenhandel kümmern, sind ebenfalls strikt gegen das Nordische Modell. Von den Zahlen und Schreckensberichten der Befürworter des Modells halten sie „rein gar nichts“. Ein Sexkaufverbot würde wie ein indirektes Prostitutionsverbot wirken, sagen sie. Es schränke das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ein, verschlechtere die Arbeitsbedingungen. Die Frauen würden noch stärker stigmatisiert, in der Illegalität seien sie viel größeren Gefahren ausgesetzt.
Die drei Straßenstriche in Saarbrücken wären dann auch verboten. Dort sei aber ohnehin kaum noch was los, sagt „Aldona“. Weniger als zehn Frauen seien pro Abend noch aktiv. An einem Donnerstagabend treffen wir eine an der Kulturfabrik, rosa-weißes Outfit, Chips essend. Sie will nicht reden. Auf dem Baumarkt-Parkplatz wartet offensichtlich ein Mann, der auf sie aufpasst. Etwas mehr los ist nur wenige Meter weiter auf dem Drogenstrich. Zwei Frauen unterhalten sich durch das offene Autofenster mit einem Freier. Fahren mit ihm weg. Drei Tage später zur Mittagszeit kommt noch nicht mal ein Gespräch zustande. Die Frau in Leggings, mit „Mixery“und Joint in der Hand, sagt nur einen Satz: „Verpiss dich awei!“
Verschwinden wird die Prostitution im Saarland nicht, wahrscheinlich nie, egal welche Gesetze die Politik beschließt, welche Modelle sie umsetzt. Das älteste Gewerbe der Welt hat immer überlebt. Der klassische Puff scheint aber ein Auslaufmodell. Nur noch rund 40 angemeldete Betriebe gibt es, zehn in Saarbrücken, elf in Homburg, sieben in Saarlouis und Neunkirchen. 2021 waren es noch 55. Vor Jahren geschätzt über 100.
Selbst das „Paradise“hat seit Corona einen „deutlichen Umsatzrückgang“zu verzeichnen, sagt der Chef. Nicht nur er, auch die Frauen im Club. Vor allem für sie wäre ein Sexkaufverbot eine Katastrophe, findet Hövermann: „Die Frauen würden zurück in die Steinzeit gebombt.“Noch aber gibt es sie: die Frauen, die vielen Franzosen, Hövermann, Spare Ribs, Bier – und die weichen Bademäntel.