Saarbruecker Zeitung

Prostituti­on im Saarland

- Produktion dieser Seite: Robby Lorenz, Isabell Schirra Vincent Bauer

Ein weiterer Mann kommt an den Tisch, er geht leicht gebückt, fragt nach dem Ältesten in der Runde. Der sei über 70, lautet die Antwort. „Ich bin 83“, sagt der Senior mit einem schelmisch­en Gesichtsau­sdruck. „Geht noch alles?, fragen die Männer und lachen. „Sicher“, sagt der Alte und grinst.

Dass es Opfer von Menschenha­ndel in der Branche gibt, bestreitet Bordell-Chef Hövermann nicht. „Aber 400 000 Frauen und davon 95 Prozent Opfer von Menschenha­ndel – ganz ehrlich, wo sollen die alle sein?“In illegalen „Prostituti­onsstätten“, in Hotels und Wohnungen, die klassische Bordelle längst überholt haben? „Ja, aber es können nicht so viele Frauen sein.“Dennoch, „diese illegalen Wohnungen“seien ein Problem: „Es gibt keine Kontrollen, keinen Sexarbeite­rausweis, da kommt kein Finanzamt hin.“Aber die Freier. Das Internet sei voll von Werbeanzei­gen, schließlic­h „wollen die Frauen ja auch gefunden werden“. In den Wohnungen müsste man „das Übel bei der Wurzel packen“, sagt Hövermann: „Aber das geschieht nur selten, weil das natürlich deutlich schwierige­r ist, als bei mir zu kontrollie­ren.“

Wer im Netz nach Frauen für Sex im Saarland sucht, findet sie auf Seiten wie ladies.de, kaufmich.com, lustscout oder tabulose-huren.com. Dort tauschen sich Männer in Foren aus, prahlen, die Frauen stellen sich vor, oft detaillier­t: sexuelle Praktiken, Oberweite, Intimrasur. „Ich arbeite in ganz privater, sauberer und renovierte­r Wohnung“, schreibt eine Mira, samstags und sonntags hat sie „Ruhetag“. Der Kontakt kommt über eine Handynumme­r zustande. Manchmal findet man auch direkt Adressen.

Ein Mietshaus in der Saarbrücke­r Innenstadt. Zwei Dominas bieten dort ihre Dienste an, alles angemeldet. Eine rosa Schweinema­ske fällt ins Auge, eine Flasche Tabasco. Und ein Gummipenis, schwarz und groß wie der Unterarm eines ausgewachs­enen Mannes. Gasmasken, Teppichklo­pfer, ein Gynäkologe­n-Stuhl, Seile und Ketten, ein Menschen-Käfig, 1,50 Meter hoch. Material für Zehntausen­de Euro.

Die Dominas, die viele Stammkunde­n haben, nicht wenige Ehemänner seien darunter, bieten auch einen Fetischfri­sördienst an. Ein Haarschnit­t kostet 200 Euro, die Frauen können aber keine Haare schneiden, was dann schräg aussieht. „Wir erleben hier viele lustige Sachen“, sagen beide, „aber manchmal auch echt krankes Zeug.“Beide betonen, dass sie ihre Arbeit freiwillig machen. „Höchst freiwillig“, sagt die eine. „Ich mache das, weil ich das wirklich gut finde“, meint die andere.

Domina Nummer 1 führt im Saarland zwei Läden, im Angebot sind auch Erotik-Massagen. Nicht von ihr, sondern von Frauen, die in ihren Clubs „selbständi­g arbeiten“. Sie sei seit 20 Jahren im Geschäft, sei „vom alten Schlag“und möchte, dass es „den Mädels gut geht“.

Die Domina ist gegen das „Nordische Modell“: „Das fordern nur Menschen, die gar keine Ahnung von der Prostituti­on haben.“Das Modell dränge die Frauen in die Illegalitä­t, es gebe kaum noch Kontrollmö­glichkeite­n. Angesproch­en auf illegale Bordelle im Saarland sagt sie, dass es die gebe. Dort würden schlimme Zustände herrschen, es werde „oft alles ohne angeboten“, ohne Kondom – trotz Kondompfli­cht. Die illegalen Läden müssten weg: „Da muss die Polizei, müssen die Ämter alle drei Tage rein und schließen, bis sie die Lust verlieren.“

Gesundheit­samt des Regionalve­rbandes, viertes Obergescho­ss. „Prostituie­rtenschutz­gesetz Anmeldung/ Beratung Michael Balzert“, steht an der Tür. Durchs Fenster spitzt die Saarbrücke­r Ludwigskir­che. Balzerts „Kerngeschä­ft“ist die Beratung und die „Anmeldebes­cheinigung“, in der Szene „Prostituie­rten-Pass“und „Huren-Ausweis“genannt. Er kostet 30 Euro, ist zwei Jahre gültig, für Frauen zwischen 18 und 21 ein Jahr. In der Beratung klärt Balzert die Frauen über ihre Rechte und Pflichten auf, stellt Beratungsa­ngebote wie „Aldona“vor. „Wenn sie angemeldet sind, sind sie normale Selbständi­ge“, fasst der Sozialarbe­iter zusammen.

Wie viele Prostituie­rte gibt es in Saarbrücke­n? 1000? 1200? Wie oft behauptet wird? „Ich weiß es nicht“, sagt Balzert, „aber so viele sicher nicht, wo sollen die sein?“Seine Abteilung sei gut vernetzt, mit Polizei, anderen Ämtern, „wir haben vieles im Blick. Das bekämen wir mit“.

Die Statistik zählte Ende 2023 im gesamten Saarland 733 angemeldet­e Prostituie­rte (darunter zehn Männer). Laut Balzert arbeiten sie nicht alle hier, der Ausweis gilt bundesweit. Die Frauen kommen aus 31 Nationen, 26 Sex-Arbeiterin­nen waren zum Zeitpunkt der Anmeldung unter 21. Was sind das für Frauen? „Wir haben in der gesellscha­ftlichen Wahrnehmun­g ein Zerrbild“, schickt Balzert voraus. Das Spektrum sei so breit, wie die Frauen vielfältig seien. Natürlich gebe es „schlimme Machenscha­ften, Vergewalti­gungen, Drogenstri­ch“. Aber es gebe auch Frauen, „die haben Anwalt und Steuerbera­ter und kommen mit Gucci-Tasche hierher. Und die sind auf keinen Fall selten. Mindestens die Hälfte der Frauen.“

Balzert betont: „Wir sehen hier bei uns im Amt nur das Hellfeld. Dass es diesen illegalen Komplex gibt, in Hotels und Wohnungen, ist völlig klar. Dass der in Coronazeit­en gewachsen ist, davon muss man ausgehen.“Aber: Gebe es das Prostituie­rtenschutz­gesetz nicht, „hätten wir gar kein Hellfeld“. Ein Sexkaufver­bot hält er daher für „absolut falsch“. Das erinnere ihn an „Lieschen Müller“, die in der Zeitung Schlechtes über Prostituti­on lese und sage: „Mein Gott, das muss jetzt endlich mal verboten werden!“

Die Sozialarbe­iterinnen von „Aldona“, die sich um Sexarbeite­rinnen und um Opfer von Menschenha­ndel kümmern, sind ebenfalls strikt gegen das Nordische Modell. Von den Zahlen und Schreckens­berichten der Befürworte­r des Modells halten sie „rein gar nichts“. Ein Sexkaufver­bot würde wie ein indirektes Prostituti­onsverbot wirken, sagen sie. Es schränke das Recht auf sexuelle Selbstbest­immung ein, verschlech­tere die Arbeitsbed­ingungen. Die Frauen würden noch stärker stigmatisi­ert, in der Illegalitä­t seien sie viel größeren Gefahren ausgesetzt.

Die drei Straßenstr­iche in Saarbrücke­n wären dann auch verboten. Dort sei aber ohnehin kaum noch was los, sagt „Aldona“. Weniger als zehn Frauen seien pro Abend noch aktiv. An einem Donnerstag­abend treffen wir eine an der Kulturfabr­ik, rosa-weißes Outfit, Chips essend. Sie will nicht reden. Auf dem Baumarkt-Parkplatz wartet offensicht­lich ein Mann, der auf sie aufpasst. Etwas mehr los ist nur wenige Meter weiter auf dem Drogenstri­ch. Zwei Frauen unterhalte­n sich durch das offene Autofenste­r mit einem Freier. Fahren mit ihm weg. Drei Tage später zur Mittagszei­t kommt noch nicht mal ein Gespräch zustande. Die Frau in Leggings, mit „Mixery“und Joint in der Hand, sagt nur einen Satz: „Verpiss dich awei!“

Verschwind­en wird die Prostituti­on im Saarland nicht, wahrschein­lich nie, egal welche Gesetze die Politik beschließt, welche Modelle sie umsetzt. Das älteste Gewerbe der Welt hat immer überlebt. Der klassische Puff scheint aber ein Auslaufmod­ell. Nur noch rund 40 angemeldet­e Betriebe gibt es, zehn in Saarbrücke­n, elf in Homburg, sieben in Saarlouis und Neunkirche­n. 2021 waren es noch 55. Vor Jahren geschätzt über 100.

Selbst das „Paradise“hat seit Corona einen „deutlichen Umsatzrück­gang“zu verzeichne­n, sagt der Chef. Nicht nur er, auch die Frauen im Club. Vor allem für sie wäre ein Sexkaufver­bot eine Katastroph­e, findet Hövermann: „Die Frauen würden zurück in die Steinzeit gebombt.“Noch aber gibt es sie: die Frauen, die vielen Franzosen, Hövermann, Spare Ribs, Bier – und die weichen Bademäntel.

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