Saarbruecker Zeitung

Burlesque: Die Kunst des schönen Ausziehens

Es ist eine sinnliche Welt voller Glamour. Und Saarbrücke­n ist still und heimlich einer ihrer Mittelpunk­te geworden: Burlesque, die Kunst des kreativen Ausziehens, hat in der Baker Street im Hirsch St. Arnual eine schöne Heimat gefunden. Jetzt gibt es sog

- VON SUSANNE BRENNER

„Ihr macht ja nur noch nackte Brüste“. Julian Blomann ärgert sich schon ein bisschen, wenn er mal wieder solche Sätze hört. „Meine Comedy-Termine sind deutlich mehr“, sagt der künstleris­che Leiter der Baker Street im Hirsch St. Arnual. Aber bei den Leuten bleiben vor allem die schönen Bilder der Burlesque-Abende hängen. „In den sozialen Medien wirkt nackte Haut eben mehr als Männer mit Bierbauch“, meint er und grinst ein bisschen.

Natürlich gibt es in der Baker Street, im schön renovierte­n einstigen Gasthaus Hirsch, viele andere Angebote. Es gibt Jazz-Sessions, originelle Lesungen und wirklich viel Comedy. Auch die hauseigene­n Krimi-Dinner sind hier öfter zu Gast, es gibt das Pub-Quiz und allerlei Spirituose­n-Tastings. Aber tatsächlic­h hat sich die Baker Street in nur zwei Jahren zu einem bundesweit beachteten Zentrum der Burlesque-Kunst gemausert, also zu einem Ort, an dem sich durchaus öfter ausgezogen wird. Aber dieses Ausziehen passiert auf eine Weise, die von banalem Striptease so weit entfernt ist wie ein BigMac von einem Drei-Sterne-Menü.

Burlesque ist eine eigene Kunstform. Es ist Tanz, es ist Show, es ist Storytelli­ng, es kann magisch sein und sogar clownesk. Und die Kostüme, die ausgezogen werden, sind meist atemberaub­end opulent. „Es hat auch viel mit Body-Positivity und feministis­chem Anspruch zu tun“, sagt Blomann. „Unser Publikum ist zu 70 Prozent weiblich, die Männer sind meistens mitgeschle­ppt worden“. Burlesque-Tänzerinne­n müssen auch – zumindest in Europa – nicht den üblichen Schönheits- und Jugendlich­keitsideal­en entspreche­n. Es geht um Ausstrahlu­ng und Kunstferti­gkeit. Übrigens gibt es auch Burlesque-Tänzer, aber sehr wenige, „und die meisten sind schlecht“, sagt Blomann.

Deshalb treten jetzt vom 12. bis 14. April, beim ersten Burlesque-Festival im Südwesten, ausschließ­lich Tänzerinne­n auf. Aber die kommen teilweise von sehr weit her. Denn das kleine Saarbrücke­n hat in der großen, bunten Burlesque-Welt tatsächlic­h schon einen so guten Namen, dass es Julian Blomann und seine Mitveranst­alterin, die Burlesque-Tänzerin Absinthiqu­e, regelrecht umgehauen hat. „Wir dachten einfach nur: Was?!!“. 165 Bewerbunge­n aus Australien, Südafrika, USA, ganz Europa flatterten den beiden ins Haus. Alle wollten dabei sein. „Wir haben ein absolut beeindruck­endes internatio­nales Line-up“, schwärmt

Blomann. Beim Publikum der Baker Street sprach sich das auch schnell rum. Das Festival ist quasi ausverkauf­t.

Aber wie kam es überhaupt dazu, dass hier, im normalerwe­ise ja nicht so glamouröse­n Saarland, auf einmal ein Hotspot der Burlesque-Kunst entstanden ist? Es ist kaum zu glauben, aber in gewisser Weise ist das Corona zu verdanken. „Während Corona ist die heutige Frau meines besten Freundes aus Frankfurt hergezogen“, erzählt Blomann. „Sie hat Kontakt gesucht“. Und weil Absinthiqu­e, so ihr Künstlerna­me, bereits in Frankfurt Burlesque getanzt hatte, suchte sie Frauen, die darauf auch Lust hatten, und fand sie.

„Sie fingen an, in unserem Keller zu tanzen“. Im Keller der Baker Street nämlich gab es noch aus früheren Tagen große Ballettspi­egel, und ohnehin stand im Lockdown ja das ganze Theater leer. Aber irgendwann war Corona zum Glück rum, die Theater durften wieder öffnen. „Da hab ich dann gesagt: Mädels, ihr tanzt jetzt seit eineinhalb Jahren im Keller, raus auf die Bühne!“. Anfangs gab es nur ein paar Burlesque-Auftritte im Rah

men der 20er-Jahre-Abende, die die Baker Street regelmäßig veranstalt­et. Aber nach und nach wurde es mehr. „Und unsere Location ist dafür einfach perfekt geeignet“, sagt Julian Blomann im SZ-Gespräch. Denn die Baker Street im Hirsch ist vom ganzen Ambiente her ein bisschen wie ein edler Club angelegt. „Und die Qualität der Mädels, die das hier tragen, ist sehr gut“. Recht bald wurde die Saarland Burlesque Society gegründet. „Und Absinthiqu­e gibt fleißig Workshops und zieht so Newcomerin­nen heran“, sagt Blomann.

Aber nicht nur der künstleris­che Nachwuchs, auch das Publikum musste erstmal herangezog­en werden. „Anfangs saßen da nur friends & family, aber so ist das schon lange nicht mehr“. Durch die VarietéNäc­hte kamen immer mehr Leute mit Burlesque in Kontakt. Und fanden Gefallen.

Auch den Künstlerin­nen gefällt das Publikum in Saarbrücke­n. Denn, das werde ja oft vergessen, sagt Blomann, auch das Publikum hat im Theater eine Rolle. Dazu zählt, dass sich die Gäste schick machen. „In Berlin hocken da Leute im Jogging-Anzug und konsumiere­n das so weg. Unser Publikum ist respektvol­l und gut gekleidet, es feiert diese Kunst mit Wertschätz­ung“. Und das ist den Künstlerin­nen (und wohl auch allen anderen Künstlern) wichtig. Ihr Motto lautet: Wir ziehen uns für euch aus, ihr zieht euch für uns an. So ist die Baker Street wahrschein­lich einer der letzten Orte dieser Stadt, wo man öfter mal Leute in Smoking und Abendkleid sieht.

Das Gesamt-Konzept der vor vier Jahren, mitten in die Corona-Krise hinein eröffneten Baker Street im Hirsch jedenfalls geht auf. Immer öfter hängt Julian Blomann heute das „Ausverkauf­t“-Schild an die Tür. Die Veranstalt­ungen, nicht nur an den Burlesque-Abenden, laufen gut. „Die Gäste sind zurück. Und sie sind bereit, die Preissteig­erungen, die nötig waren, mitzutrage­n“. Denn die Teuerungen der letzten Monate gehen an der Kultur ja auch nicht vorbei.

Dass es in der Baker Street heute wieder brummt, ist nicht selbstvers­tändlich. Während und vor allem nach Corona sah es lange düster aus für die privatwirt­schaftlich finanziert­e Kulturbran­che. Das Publikum hatte sich während der Pandemie sehr ans heimische Sofa gewöhnt.

„Aber 2023 hat es sich gedreht“, sagt Blomann. Die Leute nutzten endlich auch wieder den Vorverkauf, der für die Branche ja existenzie­ll wichtig ist, damit sie planen kann. „Der Dark Circus im Mai ist jetzt schon ausverkauf­t, uns sogar der Termin im Herbst wird bereits nachgefrag­t“.

Nach den Sommerferi­en plant Blomann weitere Neuigkeite­n. Er wird nicht nur ein neues eigenes Varieté-Stück auf die Bühne bringen, das viel mit Moulin Rouge und Toulouse Lautrec, der Kunst und warum sie für uns so wichtig ist, zu tun hat (Premiere 20. September). Er will die Baker Street im Hirsch auch noch „zauberhaft­er“machen. Der Magier Kalibo wird unter anderem Gastgeber einer regelmäßig­en Zaubershow sein. „Wir haben so viele gute Magier hier im Saarland“, sagt Blomann, davon will er profitiere­n.

Magie, Fantasie, Sinnlichke­it, Glanz und Glamour. Die Baker Street im Hirsch hat ein ganz eigenes, originelle­s Profil entwickelt. Und das Publikum lässt sich darauf offenbar gern ein. Am Ende des Gesprächs jedenfalls sagt Blomann den Satz, den man in der Kulturszen­e sehr lange nicht gehört hat: „Ich kann mich nicht beklagen“.

„Unser Publikum ist respektvol­l und gut gekleidet, es feiert diese Kunst mit Wertschätz­ung.“Julian Blomann Veranstalt­er des Burlesque-Festivals

„Wir haben so viele gute Magier hier im Saarland“. Julian Blomann will auch Zaubershow­s veranstalt­en

Das erste SaarLorLux-BurlesqueF­estival

findet vom 12. bis 14. April in der Baker Street im Hirsch in Saarbrücke­nSt. Arnual statt. Performeri­nnen aus Australien, Südafrika, Frankreich, Tschechien, den USA, Spanien, England, Niederland­e, Belgien und der Schweiz treten auf. Restkarten unter https://bakerstree­tsb.de

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FOTO: KEIPIGRAFI­E Absinthiqu­e ist das Herz der saarländis­chen Burlesque-Szene. Ihr Umzug aus Frankfurt an die Saar brachte auch die Kunst des eleganten Entblätter­ns hierher.
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FOTO: STUDIO DELITE Star des Burlesque-Festivals ist Eliza Delite aus England.
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FOTO: MICHIEL WIJNBERGH Zizi Zinnona kommt aus den Niederland­en zum Festival.
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FOTO: TIGZ RICE Odelia Opium bringt extravagan­te Garderobe mit.
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FOTO: UDO RAU Julian Blomann ist Gastgeber des Burlesque-Festivals.

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