Burlesque: Die Kunst des schönen Ausziehens
Es ist eine sinnliche Welt voller Glamour. Und Saarbrücken ist still und heimlich einer ihrer Mittelpunkte geworden: Burlesque, die Kunst des kreativen Ausziehens, hat in der Baker Street im Hirsch St. Arnual eine schöne Heimat gefunden. Jetzt gibt es sog
„Ihr macht ja nur noch nackte Brüste“. Julian Blomann ärgert sich schon ein bisschen, wenn er mal wieder solche Sätze hört. „Meine Comedy-Termine sind deutlich mehr“, sagt der künstlerische Leiter der Baker Street im Hirsch St. Arnual. Aber bei den Leuten bleiben vor allem die schönen Bilder der Burlesque-Abende hängen. „In den sozialen Medien wirkt nackte Haut eben mehr als Männer mit Bierbauch“, meint er und grinst ein bisschen.
Natürlich gibt es in der Baker Street, im schön renovierten einstigen Gasthaus Hirsch, viele andere Angebote. Es gibt Jazz-Sessions, originelle Lesungen und wirklich viel Comedy. Auch die hauseigenen Krimi-Dinner sind hier öfter zu Gast, es gibt das Pub-Quiz und allerlei Spirituosen-Tastings. Aber tatsächlich hat sich die Baker Street in nur zwei Jahren zu einem bundesweit beachteten Zentrum der Burlesque-Kunst gemausert, also zu einem Ort, an dem sich durchaus öfter ausgezogen wird. Aber dieses Ausziehen passiert auf eine Weise, die von banalem Striptease so weit entfernt ist wie ein BigMac von einem Drei-Sterne-Menü.
Burlesque ist eine eigene Kunstform. Es ist Tanz, es ist Show, es ist Storytelling, es kann magisch sein und sogar clownesk. Und die Kostüme, die ausgezogen werden, sind meist atemberaubend opulent. „Es hat auch viel mit Body-Positivity und feministischem Anspruch zu tun“, sagt Blomann. „Unser Publikum ist zu 70 Prozent weiblich, die Männer sind meistens mitgeschleppt worden“. Burlesque-Tänzerinnen müssen auch – zumindest in Europa – nicht den üblichen Schönheits- und Jugendlichkeitsidealen entsprechen. Es geht um Ausstrahlung und Kunstfertigkeit. Übrigens gibt es auch Burlesque-Tänzer, aber sehr wenige, „und die meisten sind schlecht“, sagt Blomann.
Deshalb treten jetzt vom 12. bis 14. April, beim ersten Burlesque-Festival im Südwesten, ausschließlich Tänzerinnen auf. Aber die kommen teilweise von sehr weit her. Denn das kleine Saarbrücken hat in der großen, bunten Burlesque-Welt tatsächlich schon einen so guten Namen, dass es Julian Blomann und seine Mitveranstalterin, die Burlesque-Tänzerin Absinthique, regelrecht umgehauen hat. „Wir dachten einfach nur: Was?!!“. 165 Bewerbungen aus Australien, Südafrika, USA, ganz Europa flatterten den beiden ins Haus. Alle wollten dabei sein. „Wir haben ein absolut beeindruckendes internationales Line-up“, schwärmt
Blomann. Beim Publikum der Baker Street sprach sich das auch schnell rum. Das Festival ist quasi ausverkauft.
Aber wie kam es überhaupt dazu, dass hier, im normalerweise ja nicht so glamourösen Saarland, auf einmal ein Hotspot der Burlesque-Kunst entstanden ist? Es ist kaum zu glauben, aber in gewisser Weise ist das Corona zu verdanken. „Während Corona ist die heutige Frau meines besten Freundes aus Frankfurt hergezogen“, erzählt Blomann. „Sie hat Kontakt gesucht“. Und weil Absinthique, so ihr Künstlername, bereits in Frankfurt Burlesque getanzt hatte, suchte sie Frauen, die darauf auch Lust hatten, und fand sie.
„Sie fingen an, in unserem Keller zu tanzen“. Im Keller der Baker Street nämlich gab es noch aus früheren Tagen große Ballettspiegel, und ohnehin stand im Lockdown ja das ganze Theater leer. Aber irgendwann war Corona zum Glück rum, die Theater durften wieder öffnen. „Da hab ich dann gesagt: Mädels, ihr tanzt jetzt seit eineinhalb Jahren im Keller, raus auf die Bühne!“. Anfangs gab es nur ein paar Burlesque-Auftritte im Rah
men der 20er-Jahre-Abende, die die Baker Street regelmäßig veranstaltet. Aber nach und nach wurde es mehr. „Und unsere Location ist dafür einfach perfekt geeignet“, sagt Julian Blomann im SZ-Gespräch. Denn die Baker Street im Hirsch ist vom ganzen Ambiente her ein bisschen wie ein edler Club angelegt. „Und die Qualität der Mädels, die das hier tragen, ist sehr gut“. Recht bald wurde die Saarland Burlesque Society gegründet. „Und Absinthique gibt fleißig Workshops und zieht so Newcomerinnen heran“, sagt Blomann.
Aber nicht nur der künstlerische Nachwuchs, auch das Publikum musste erstmal herangezogen werden. „Anfangs saßen da nur friends & family, aber so ist das schon lange nicht mehr“. Durch die VarietéNächte kamen immer mehr Leute mit Burlesque in Kontakt. Und fanden Gefallen.
Auch den Künstlerinnen gefällt das Publikum in Saarbrücken. Denn, das werde ja oft vergessen, sagt Blomann, auch das Publikum hat im Theater eine Rolle. Dazu zählt, dass sich die Gäste schick machen. „In Berlin hocken da Leute im Jogging-Anzug und konsumieren das so weg. Unser Publikum ist respektvoll und gut gekleidet, es feiert diese Kunst mit Wertschätzung“. Und das ist den Künstlerinnen (und wohl auch allen anderen Künstlern) wichtig. Ihr Motto lautet: Wir ziehen uns für euch aus, ihr zieht euch für uns an. So ist die Baker Street wahrscheinlich einer der letzten Orte dieser Stadt, wo man öfter mal Leute in Smoking und Abendkleid sieht.
Das Gesamt-Konzept der vor vier Jahren, mitten in die Corona-Krise hinein eröffneten Baker Street im Hirsch jedenfalls geht auf. Immer öfter hängt Julian Blomann heute das „Ausverkauft“-Schild an die Tür. Die Veranstaltungen, nicht nur an den Burlesque-Abenden, laufen gut. „Die Gäste sind zurück. Und sie sind bereit, die Preissteigerungen, die nötig waren, mitzutragen“. Denn die Teuerungen der letzten Monate gehen an der Kultur ja auch nicht vorbei.
Dass es in der Baker Street heute wieder brummt, ist nicht selbstverständlich. Während und vor allem nach Corona sah es lange düster aus für die privatwirtschaftlich finanzierte Kulturbranche. Das Publikum hatte sich während der Pandemie sehr ans heimische Sofa gewöhnt.
„Aber 2023 hat es sich gedreht“, sagt Blomann. Die Leute nutzten endlich auch wieder den Vorverkauf, der für die Branche ja existenziell wichtig ist, damit sie planen kann. „Der Dark Circus im Mai ist jetzt schon ausverkauft, uns sogar der Termin im Herbst wird bereits nachgefragt“.
Nach den Sommerferien plant Blomann weitere Neuigkeiten. Er wird nicht nur ein neues eigenes Varieté-Stück auf die Bühne bringen, das viel mit Moulin Rouge und Toulouse Lautrec, der Kunst und warum sie für uns so wichtig ist, zu tun hat (Premiere 20. September). Er will die Baker Street im Hirsch auch noch „zauberhafter“machen. Der Magier Kalibo wird unter anderem Gastgeber einer regelmäßigen Zaubershow sein. „Wir haben so viele gute Magier hier im Saarland“, sagt Blomann, davon will er profitieren.
Magie, Fantasie, Sinnlichkeit, Glanz und Glamour. Die Baker Street im Hirsch hat ein ganz eigenes, originelles Profil entwickelt. Und das Publikum lässt sich darauf offenbar gern ein. Am Ende des Gesprächs jedenfalls sagt Blomann den Satz, den man in der Kulturszene sehr lange nicht gehört hat: „Ich kann mich nicht beklagen“.
„Unser Publikum ist respektvoll und gut gekleidet, es feiert diese Kunst mit Wertschätzung.“Julian Blomann Veranstalter des Burlesque-Festivals
„Wir haben so viele gute Magier hier im Saarland“. Julian Blomann will auch Zaubershows veranstalten
Das erste SaarLorLux-BurlesqueFestival
findet vom 12. bis 14. April in der Baker Street im Hirsch in SaarbrückenSt. Arnual statt. Performerinnen aus Australien, Südafrika, Frankreich, Tschechien, den USA, Spanien, England, Niederlande, Belgien und der Schweiz treten auf. Restkarten unter https://bakerstreetsb.de