Wölfe, Wein und Wasserflöhe
Spanien wirkt in der Grenzregion Zamora der autonomen Provinz Kastilien-León abseits jeglicher Küste kaum noch mediterran.
„Wir sehen hier einen schwangeren Wasserfloh!“Laura, Mitarbeiterin der Biologischen Station in Miranda de Douro inmitten des länderübergreifenden Nationalparks von Portugal und Spanien, lächelt, während ihr Publikum an Bord des gläsernen Ausflugsbootes ungläubig das winzige, leicht pulsierende Ungetüm auf dem Monitor betrachtet. Kurz zuvor hatte sie es, dessen Abbild nun in überdimensionaler Größe erkennbar wird, mitsamt einer Wasserprobe an Deck gehievt und mit weiteren klitzekleinen Gefährten unters Mikroskop gelegt.
Der Fluss, der an seinem Ostufer Duero, an seinem Westufer jedoch Douro heißt, bildet auf mehr als 110 Kilometern die natürliche Grenze beider Länder und durchmisst eine von schroffen, teils steil aufragenden Felswänden gesäumte Szenerie, einem Mikrokosmos für manch endemische Tier- und Pflanzenart. Neben uralten Steineichen, deren skurril geformtes Wurzelwerk abenteuerlich am steinigen Untergrund hangelt, weist Laura auch auf die Nistplätze seltener Greifvögel oder des Schwarzstorchs hin, die Horste und Nester ähnlich waghalsig in den Felsen platzieren. Gut eine Stunde dauert die Mini-Kreuzfahrt in diese ebenso prachtvolle wie fragile Welt. Einen tollen Blick von oben in die bis zu 400 Meter tiefe Schlucht des Arribes del Duero und hinüber zum portugiesischen Nachbarn bietet am Ende eines Spazierweges der Mirador las Barrancas an der kleinen Kapelle bei Cuzcurrita.
Spanien wirkt in der Grenzregion Zamora der autonomen Provinz Kastilien-León abseits jeglicher
Küste kaum noch mediterran, die karge Landschaft ist von zeitlosen Trockenmauern durchzogen, Dörfer und Weiler scheinen ausgestorben. Und doch spielt sich hinter den rustikalen Feldsteinfassaden überraschend viel Leben ab und spiegelt die kulturhistorische Vielfalt der Region. So produzieren kleine, ökologisch ausgerichtete Manufakturen den typischen Zamorano-Käse aus Schafsmilch, finden sich hinter unscheinbaren Portalen imposante Weinkeller, die typischen Bodegas. Über enge Treppen geht es in leicht von Alkohol geschwängerte Sphären, in denen Holzfässer aus meist
französischer Eiche den Wein geduldig zur gewünschten Reife bringen, während an einfachen Tafeln geneigte Besucher die Rebensäfte verkosten.
Als Mekka der Bodega-Kultur gilt das Städtchen Fermoselle, das wohl schon aus römischer Zeit stammt. Wie ein Ameisenhaufen nahezu komplett untertunnelt, ist es als „Stadt der 1000 Weinkeller“bekannt. Im Mittelalter begann man Höhlen und Gänge aus den Felsen zu schlagen, zunächst genutzt von jüdischen Familien als versteckte Unterkünfte. Bald schon diente das Labyrinth unterirdischer Ver
bindungen zur Lagerung und Reifung von Wein. Als solcher genutzt wird heute allerdings nur noch ein knappes halbes Dutzend.
Auf den kargen Böden gestaltet sich der Weinanbau schon von jeher als sehr schwierig, was die Zahl der Produzenten schwinden, die traditionsreichen Weinberge verkommen lässt. Neue Initiativen, die mit ihren Visionen frischen Schwung bringen, kommen von Liliana und José im Flecken Formariz mit ihrer Mikro-Kellerei. Sie bewirtschaften wieder die vor Generationen von ihren Familien angelegten, dann aber aufgegebenen Weinberge mit
den alten Rebsorten und kreieren eine fast spritzige und leichte Rotweinvariation, eine Mischung aus roten und weißen Trauben, die, je nach Ertrag und Klima, geschmacklich ähnliche, aber unterschiedliche Charaktere ausbilden.
Schafzucht spielt in Zamora ebenfalls eine wichtige Rolle, da aber auch der Wolf seine Territorien und seine Daseinsberechtigung hat, bedarf es des besonderen Schutzes der braven Vierbeiner. Esel übernehmen diese Aufgabe immer häufiger. Mit ihrer sprichwörtlichen Wachsamkeit verwehren sie erfolgreich dem doch eher ungeliebten Jäger die Beute, während die Schafe das Grautier als Leitwolf akzeptieren. In den westlichen
Provinzen Spaniens sind Wölfe weit verbreitet. Um über das gemeinhin verbreitete Feindbild aufzuklären, entstand 2015 das Projekt eines Interpretationscenters nahe dem Sanabria-See, Spaniens größtem See, das anschaulich und objektiv das Leben der Wölfe vermittelt, den oft zu Unrecht entstandenen Vorurteilen entgegentritt und scheinbare Gefahren und Ängste relativiert.
In der Provinzhauptstadt Zamora hat der Duero schon ein Drittel seiner Länge zurückgelegt und bereits eine stattliche Breite erreicht. Von den Einheimischen „Benidorm“getauft, bietet der Stadtstrand am Flussufer besonders in der Dämmerung, einen fantastischen Blick auf die mächtige Stadtmauer und die Altstadt auf einer Anhöhe, nur überragt vom Turm des Kastells aus dem 11. und der Vierungskuppel der romanischen Kathedrale aus dem 12. Jahrhundert. Über die Brücke Puente de Pedra, die schon um 1150 die beiden Ufer verband, gelangt man zurück ins Herz der „Stadt der Romanik“mit nicht weniger als 22 Kirchen aus dem Mittelalter.
In den Gassen zwischen den sandsteinfarbenen Hausfassaden finden zur Karwoche gleich 18 Prozessionen der Bruderschaften statt. Ihnen ist das Denkmal der verschleierten, Kutten tragenden Figuren an der Plaza Mayor gewidmet. Sonst geht es eher beschaulich zu, kontrastieren zeitgenössische Skulpturen und moderne Wandgemälde „Zamora Variopinta“mit überbordender Historie. Statt eines Wasserflohs gibt sich gar eine gigantische Fliege an einer Hauswand die Ehre.