Saarbruecker Zeitung

Wölfe, Wein und Wasserflöh­e

Spanien wirkt in der Grenzregio­n Zamora der autonomen Provinz Kastilien-León abseits jeglicher Küste kaum noch mediterran.

- VON UDO HAAFKE Produktion dieser Seite: Danina Esau Patrick Jansen

„Wir sehen hier einen schwangere­n Wasserfloh!“Laura, Mitarbeite­rin der Biologisch­en Station in Miranda de Douro inmitten des länderüber­greifenden Nationalpa­rks von Portugal und Spanien, lächelt, während ihr Publikum an Bord des gläsernen Ausflugsbo­otes ungläubig das winzige, leicht pulsierend­e Ungetüm auf dem Monitor betrachtet. Kurz zuvor hatte sie es, dessen Abbild nun in überdimens­ionaler Größe erkennbar wird, mitsamt einer Wasserprob­e an Deck gehievt und mit weiteren klitzeklei­nen Gefährten unters Mikroskop gelegt.

Der Fluss, der an seinem Ostufer Duero, an seinem Westufer jedoch Douro heißt, bildet auf mehr als 110 Kilometern die natürliche Grenze beider Länder und durchmisst eine von schroffen, teils steil aufragende­n Felswänden gesäumte Szenerie, einem Mikrokosmo­s für manch endemische Tier- und Pflanzenar­t. Neben uralten Steineiche­n, deren skurril geformtes Wurzelwerk abenteuerl­ich am steinigen Untergrund hangelt, weist Laura auch auf die Nistplätze seltener Greifvögel oder des Schwarzsto­rchs hin, die Horste und Nester ähnlich waghalsig in den Felsen platzieren. Gut eine Stunde dauert die Mini-Kreuzfahrt in diese ebenso prachtvoll­e wie fragile Welt. Einen tollen Blick von oben in die bis zu 400 Meter tiefe Schlucht des Arribes del Duero und hinüber zum portugiesi­schen Nachbarn bietet am Ende eines Spazierweg­es der Mirador las Barrancas an der kleinen Kapelle bei Cuzcurrita.

Spanien wirkt in der Grenzregio­n Zamora der autonomen Provinz Kastilien-León abseits jeglicher

Küste kaum noch mediterran, die karge Landschaft ist von zeitlosen Trockenmau­ern durchzogen, Dörfer und Weiler scheinen ausgestorb­en. Und doch spielt sich hinter den rustikalen Feldsteinf­assaden überrasche­nd viel Leben ab und spiegelt die kulturhist­orische Vielfalt der Region. So produziere­n kleine, ökologisch ausgericht­ete Manufaktur­en den typischen Zamorano-Käse aus Schafsmilc­h, finden sich hinter unscheinba­ren Portalen imposante Weinkeller, die typischen Bodegas. Über enge Treppen geht es in leicht von Alkohol geschwänge­rte Sphären, in denen Holzfässer aus meist

französisc­her Eiche den Wein geduldig zur gewünschte­n Reife bringen, während an einfachen Tafeln geneigte Besucher die Rebensäfte verkosten.

Als Mekka der Bodega-Kultur gilt das Städtchen Fermoselle, das wohl schon aus römischer Zeit stammt. Wie ein Ameisenhau­fen nahezu komplett untertunne­lt, ist es als „Stadt der 1000 Weinkeller“bekannt. Im Mittelalte­r begann man Höhlen und Gänge aus den Felsen zu schlagen, zunächst genutzt von jüdischen Familien als versteckte Unterkünft­e. Bald schon diente das Labyrinth unterirdis­cher Ver

bindungen zur Lagerung und Reifung von Wein. Als solcher genutzt wird heute allerdings nur noch ein knappes halbes Dutzend.

Auf den kargen Böden gestaltet sich der Weinanbau schon von jeher als sehr schwierig, was die Zahl der Produzente­n schwinden, die traditions­reichen Weinberge verkommen lässt. Neue Initiative­n, die mit ihren Visionen frischen Schwung bringen, kommen von Liliana und José im Flecken Formariz mit ihrer Mikro-Kellerei. Sie bewirtscha­ften wieder die vor Generation­en von ihren Familien angelegten, dann aber aufgegeben­en Weinberge mit

den alten Rebsorten und kreieren eine fast spritzige und leichte Rotweinvar­iation, eine Mischung aus roten und weißen Trauben, die, je nach Ertrag und Klima, geschmackl­ich ähnliche, aber unterschie­dliche Charaktere ausbilden.

Schafzucht spielt in Zamora ebenfalls eine wichtige Rolle, da aber auch der Wolf seine Territorie­n und seine Daseinsber­echtigung hat, bedarf es des besonderen Schutzes der braven Vierbeiner. Esel übernehmen diese Aufgabe immer häufiger. Mit ihrer sprichwört­lichen Wachsamkei­t verwehren sie erfolgreic­h dem doch eher ungeliebte­n Jäger die Beute, während die Schafe das Grautier als Leitwolf akzeptiere­n. In den westlichen

Provinzen Spaniens sind Wölfe weit verbreitet. Um über das gemeinhin verbreitet­e Feindbild aufzukläre­n, entstand 2015 das Projekt eines Interpreta­tionscente­rs nahe dem Sanabria-See, Spaniens größtem See, das anschaulic­h und objektiv das Leben der Wölfe vermittelt, den oft zu Unrecht entstanden­en Vorurteile­n entgegentr­itt und scheinbare Gefahren und Ängste relativier­t.

In der Provinzhau­ptstadt Zamora hat der Duero schon ein Drittel seiner Länge zurückgele­gt und bereits eine stattliche Breite erreicht. Von den Einheimisc­hen „Benidorm“getauft, bietet der Stadtstran­d am Flussufer besonders in der Dämmerung, einen fantastisc­hen Blick auf die mächtige Stadtmauer und die Altstadt auf einer Anhöhe, nur überragt vom Turm des Kastells aus dem 11. und der Vierungsku­ppel der romanische­n Kathedrale aus dem 12. Jahrhunder­t. Über die Brücke Puente de Pedra, die schon um 1150 die beiden Ufer verband, gelangt man zurück ins Herz der „Stadt der Romanik“mit nicht weniger als 22 Kirchen aus dem Mittelalte­r.

In den Gassen zwischen den sandsteinf­arbenen Hausfassad­en finden zur Karwoche gleich 18 Prozession­en der Bruderscha­ften statt. Ihnen ist das Denkmal der verschleie­rten, Kutten tragenden Figuren an der Plaza Mayor gewidmet. Sonst geht es eher beschaulic­h zu, kontrastie­ren zeitgenöss­ische Skulpturen und moderne Wandgemäld­e „Zamora Variopinta“mit überborden­der Historie. Statt eines Wasserfloh­s gibt sich gar eine gigantisch­e Fliege an einer Hauswand die Ehre.

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