Vor der Europawahl ist „viel Absurdes“im Umlauf
Die Bundeswahlleiterin warnt vor Desinformation: Viele Falschinformationen zur Wahl in der EU gibt es in sozialen Netzwerken.
9. Juni findet die Europawahl statt. Bundeswahlleiterin Ruth Brand mit Sitz im Statistischen Bundesamt in Wiesbaden hofft, dass möglichst viele Bürger ihre Stimme abgeben. Zugleich warnt sie vor Desinformation rund um den Urnengang – „die Europawahl ist sicher“, betont Brand allerdings.
Frau Brand, die Europawahl rückt näher. Unterscheiden sich die Vorbereitungen von einer Bundestagswahl?
BRAND Das Wahlverfahren ist ein anderes. Jede Wählerin und jeder Wähler hat nur eine Stimme, die Auszählung ist damit einfacher. Auch können die Bürgerinnen und Bürger der EU-Mitgliedstaaten in Deutschland an der Wahl selbstverständlich teilnehmen, sodass wir zur Vermeidung von doppelten Stimmabgaben im engen Austausch mit anderen Ländern sind. Kurzum: Es gibt Dinge, die sind einfacher, und es gibt Dinge, die sind aufwendiger.
Um 18 Uhr weiß man aber, wie die Wahl ausgegangen ist?
BRAND Nein. Zwar werden die Meinungsforschungsinstitute ihre Prognosen abgeben. Die ersten Ergebnisse dürfen wir aber erst veröffentlichen, wenn die Wahl in allen EU-Mitgliedstaaten abgeschlossen ist. Das Land, das als letztes die Wahllokale schließt, ist Italien um 23 Uhr.
Rechnen Sie mit einer eher hohen oder einer eher geringen Wahlbeteiligung? BRAND
Ich hoffe immer auf eine hohe Wahlbeteiligung. Ich appelliere an alle Bürgerinnen und Bürger, ihr demokratisches Grundrecht aktiv wahrzunehmen und wählen zu gehen. Das ist ein wichtiger Faktor für eine lebendige und starke Demokratie.
Bei der jüngsten Bundestagswahl gab es großes Chaos in Berlin. So etwas können Sie bei der Europawahl ausschließen?
BRAND Ich gehe fest davon aus, dass die Wahlorganisatoren vor Ort alles tun werden, um dies auszuschließen. Wir haben in den Vorbesprechungen mit den Landeswahlleitern auch darauf hingewirkt. Ich rechne in keinem Bundesland und in keiner Kommune mit einem nur annähernd ähnlichen Chaos wie bei der Bundestagswahl 2021 in Berlin.
Gibt es denn genug Wahlhelfer?
BRAND Ich weiß, dass es eine große Anstrengung für die Kommunen und Gemeinden ist, ehrenamtliche Wahlhelferinnen und Wahlhelfer zu finden. Bisher habe ich nicht gehört, dass es Schwierigkeiten gibt, genügend Ehrenamtliche zu finden. Nichtsdestotrotz ermutige ich die Menschen, sich als Wahlhelferin oder Wahlhelfer zu engagieren. Vom Umfang her benötigen wir ähnlich wie bei der Bundestagswahl rund 650 000 Wahlhelferinnen und Wahlhelfer.
Wie sicher ist die Europawahl denn, zumal bei der Übermittlung der Ergebnisse auch Informationstechnik zum Einsatz kommen?
BRAND Die Europawahl ist sicher. Wir wählen in Deutschland nicht elektronisch, jeder füllt seinen Stimmzettel aus und wirft ihn in die Urne. Eine Manipulation ist diesbezüglich unmöglich. Bei der Übermittlung der Ergebnisse wird in der Tat Technik eingesetzt. Wir haben vielfältige Maßnahmen mit Unterstützung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik umgesetzt, um die sichere Übermittlung zu gewährleisten. Das endgültige Ergebnis wird anhand der Niederschriften ermittelt, also ohne IT und elektronische Manipulationsmöglichkeit.
Treibt es Sie um, dass auch hierzulande immer öfter Zweifel an einer Wahl geschürt werden?
BRAND Desinformation ist ein Problem. Auch im Vorfeld der Europawahl. Wir halten dagegen, indem wir aufklären und auf Falschinformationen hinweisen. Egal, wo sie herkommen. Viel davon wird über die sozialen Netzwerke verbreitet. Es wird etwa immer wieder behauptet, dass die Briefwahl nicht sicher ist, was nicht stimmt. Das taucht bei jeder Wahl auf. Der Gesetzgeber hat dafür Vorkehrungen getroffen, wie zum Beispiel die Versicherung an Eides statt. Auch hat das Bundesverfassungsgericht das Verfahren mehrfach geprüft und für verfassungskonform erklärt.
Inwieweit fürchten Sie Einflussnahme von russischer Seite? BRAND Wir können nicht sagen, ob und von wem Desinformationen gestreut werden.
Was raten Sie dem Bürger?
BRAND Ich rate dazu, das zu machen, was man immer machen sollte, wenn man in den sozialen Netzwerken unterwegs ist: Die Bürgerinnen und Bürger sollten Nachrichten grundsätzlich prüfen, zum Beispiel, indem sie sich auch auf unserer Internetseite informieren. Der kritische Umgang ist wichtig. Wer sich umfassend und aus verschiedenen Quellen informiert, stellt schnell fest, dass viel Absurdes im Umlauf ist.
Ist denn die händische Abstimmung eigentlich überhaupt noch zeitgemäß in Zeiten der Digitalisierung?
Für mich ist das ein wesentliches Element der Sicherheit. Wer das ändern will, muss dafür Sorge tragen, dass die Wahlrechtsgrundsätze weiter gelten. Also, dass etwa die Stimmauszählung öffentlich und transparent ist. Außerdem braucht es für eine elektronische Abstimmung eine hohe Nachvollziehbarkeit. Wir kennen zurzeit kein technisches System, das für politische Wahlen diese Voraussetzungen erfüllt. Außerdem stellt sich die Frage der Sicherheitsarchitektur dahinter. Zurzeit ist es aus meiner
BRAND
Sicht am besten, bei Papier und Stift zu bleiben.
Bei der anstehenden Europawahl darf ja schon mit einem Alter von 16 Jahren abgestimmt werden. Wie stehen Sie denn in dieser Hinsicht zu einer Absenkung des Wahlalters ebenfalls generell bei der Bundestagswahl?
BRAND Das Wahlalter wird durch den Gesetzgeber bestimmt. Für die Europawahl hat der Bundestag sich für eine Absenkung entschieden. Diese Entscheidung setzen wir um. Wir verfolgen da keine eigene Positionierung.