Warum die Abtreibung wieder diskutiert wird
Die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission zur Regelung von Abtreibungen außerhalb des Strafgesetzbuches legt nach einem Jahr ihre Arbeitsergebnisse vor.
Vor etwa einem Jahr hat die Bundesregierung 18 Sachverständige aus Universitäten und Hochschulen – 15 Frauen und drei Männer aus Medizin, Psychologie, Soziologie, Ethik und Recht – gebeten, Möglichkeiten zu finden, wie der Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches geregelt werden könnte. An diesem Montag will die „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ihren Abschlussbericht mit Empfehlungen vorlegen. Ein Teil davon ist schon an die Öffentlichkeit gedrungen und sorgt für heftige Diskussionen.
Zu welchem Ergebnis kommt die Kommission?
Sie empfiehlt, dass Abtreibungen zumindest für die ersten Wochen einer Schwangerschaft entkriminalisiert werden. Im Kurzbericht des Abschlussdokuments heißt es: „Die grundsätzliche Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs in der Frühphase der Schwangerschaft ist nicht haltbar.“Anders sehen die Sachverständigen das in der Spätphase der Schwangerschaft. Ab dem Zeitpunkt der Lebensfähigkeit des
Fötus außerhalb des Uterus, „sollte der Gesetzgeber den Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich nicht erlauben“, heißt es weiter. In der mittleren Phase sieht die Kommission einen Gestaltungsspielraum, bei dem zumindest Abbrüche aus medizinischen Gründen oder nach Vergewaltigungen erlaubt sein sollten.
Was ist das geltende Recht?
Es gibt den Paragrafen 218 im Strafgesetzbuch, wonach eine Abtreibung grundsätzlich strafbar ist, es sei denn, sie erfolgt in den ersten zwölf Wochen und nachdem die Frau sich beraten hat lassen. Ausdrücklich nicht rechtswidrig ist eine Abtreibung nach einer Vergewaltigung, bei Gefahr für das Leben oder die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren. Die geltende Regelung war ein Kompromiss, der nach der Wiedervereinigung und einem vom Verfassungsgericht in Karlsruhe kassierten liberaleren Bundestagsbeschluss 1995 erarbeitet wurde.
Wie äußert sich die Bundesregierung?
Zurückhaltend. Die Vize-Regierungssprecherin Christiane Hoffmann sagte jüngst vage: „Dem Bundeskanzler ist sehr daran gelegen, dass das Thema mit der nötigen Sensibilität und dem nötigen Respekt diskutiert wird.“Die Regierung hat bereits ein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag zu dem Thema erfüllt: Als eines der ersten Gesetze wurde der Paragraf 219a gestrichen, das sogenannte Werbeverbot für Abtreibungen. Jener Paragraf hatte immer wieder
dazu geführt, dass Ärzte sich strafbar machten, wenn sie öffentlich über Schwangerschaftsabbrüche informierten. Derzeit wird zudem im Bundestag ein Regelwerk zur Gehsteigbelästigung beraten: Aggressive Protestaktionen von Abtreibungsgegnern vor Beratungsstellen, bei denen Schwangere bedrängt werden, sollen als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld geahndet werden können.
Was sagt die Union zu den Empfehlungen?
CDU und CSU zweifeln an der Unabhängigkeit der Kommission und erwägen vorm Bundesverfassungs
gericht zu klagen, sollte es zu einer Gesetzesreform kommen. Der CDUBundestagsabgeordnete Thomas Rachel sagte unserer Redaktion: „Wir haben es mit einem unauflösbaren ethischen Konflikt zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren und dem Lebensrecht des Ungeborenen zu tun. Der Schwangerschaftskonfliktfall ist eine extreme Notsituation, in der beide Grundrechte schmerzlich miteinander abgewogen werden müssen.“Am Ende entscheide die schwangere Frau. Rachel, der auch Bundesvorsitzender des Evangelischen Arbeitskreises der CDU und CSU ist,
fügte hinzu: „Wenn die Ampel-Bundesregierung die bisherige Regelung ohne Not aufkündigt, polarisiert und spaltet das die Gesellschaft. Ich kann davor nur dringend warnen.“
Was wollen die Kirchen?
Die beiden großen Kirchen positionieren sich erstmals unterschiedlich in der Frage: Bei einer Anhörung der Kommission erklärte die evangelische Kirche, sie könne sich unter bestimmten Bedingungen eine Regelung außerhalb des Strafrechts – abhängig etwa vom Stadium der Schwangerschaft – vorstellen. Die katholische Kirche tritt für die Beibe
haltung der bisherigen Regelung ein. Eva-Maria Welskop-Deffaa, Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, sagte: „Menschliches Leben beginnt nicht erst mit der Geburt, und das ungeborene Kind genießt kein abgestuftes Menschenrecht in verschiedenen Phasen der Schwangerschaft.“Den anderslautenden Standpunkt, den die Kommission stark mache, empfinde sie als „lebensfremd und irritierend“. Der Kommissionsbericht könne nur der Anfang einer Debatte sein, an der sich „auch diejenigen beteiligen, die bisher kaum gefragt wurden“– etwa die Verbände der Eltern von Kindern mit Behinderung.