Die grünste Hochschule ist gleich um die Ecke
Ludger Santen, neuer Präsident der Universität des Saarlandes, plant dort einen neuen Nachhaltigkeitsschwerpunkt einzurichten. Wie viel Nachholbedarf die Saarbrücker Uni dabei hat, zeigt ein Besuch am Umweltcampus Birkenfeld, der regelmäßig international
Der grüne Pullover, den Klaus Helling an diesem Tag trägt, ist wohl nicht ganz zufällig gewählt. Der BWL-Professor ist seit gut zwei Jahrzehnten Dekan des Fachbereichs Umweltwirtschaft und -recht am Umweltcampus Birkenfeld und auch dessen Nachhaltigkeitsbeauftragter.
Am besten redet man also mit Helling, um zu verstehen, weshalb sich ausgerechnet hier in der tiefsten rheinland-pfälzischen Provinz – in einem Ort namens Hoppstädten-Weiersbach, jeweils sechs Kilometer vom pfälzischen Birkenfeld und vom saarländischen Nohfelden entfernt – ein Hochschulstandort profilieren konnte, der in Sachen Nachhaltigkeit inzwischen international Vorbildfunktion genießt. Der Umweltcampus gilt seit Jahren als „grünste Hochschule Deutschlands“.
Wobei es Helling viel lieber sähe, wenn sich als Marketing-Slogan „Deutschlands nachhaltigste Hochschule“einbürgerte. Erstens, weil dies zutreffender und zweitens, weil es als Anspruch auch ungleich schwerer einzulösen ist. Besonders grün wirkt der Hochschulstandort (Gesamtfläche: 166 240 m2) auf den ersten Blick eher wegen seines Umfeldes: der Außenanlagen und der Wälder drumherum. Was man mit „grüner Hochschule“vielleicht verbindet – Hochbeete, Wildwiesen, viel Baumbestand und ein Minimum an Parkplätzen und versiegelten Flächen – all das gibt es nicht unbedingt im Übermaß. Der Campus Birkenfeld ist da insoweit eher unauffällig, sieht man von den vielen Solarpaneelen ab. Dafür ist das Konzept des UCB ohne Wenn und Aber grün.
Der ehemalige Birkenfelder Landrat Ernst Theil, erzählt Helling, sei spiritus rector des Ganzen gewesen. Theil hatte die Idee, in dem nach dem Ende des Kalten Krieges ausgemusterten Reservelazarett der US-Army (als Ausweichquartier bei einer Vollbelegung des Landstuhler US-Militärkrankenhauses gedacht) eine Dependance der Fachhoch
schule Trier zu errichten – orientiert am amerikanischen Collegesystem. 1996 ging es mit 550 Studierenden los, mittlerweile sind es gut dreimal so viele. 600 Wohnheimplätze entstanden bis heute in den alten Kasernen und damit so etwas wie ein „akademisches Dorf“(Helling). Insbesondere die 400 internationalen Studierenden aus 80 Ländern sind dort untergebracht. Fragt man sich, weshalb es junge Leute aus China, Mexiko oder Marokko freiwillig nach Hoppstädten-Weiersbach verschlägt, ist die Antwort: Weil es hier eine „Zero Emission University“gibt, die sich mit ihrem Green-CampusKonzept international profiliert hat.
Strom und Wärme werden komplett aus CO2-neutralen Quellen gedeckt. Die Wärme wird maßgeblich über ein Holzhackschnitzelheizkraftwerk, das mit regionalen Althölzern bestückt wird, und mittels Geothermie erzeugt. Und der Strom über diverse PV-Anlagen. Rechnet man die PV-Einspeiseanlagen auf sämtlichen Kasernendächern hinzu, könnte 60 Prozent des gesamten Strombedarfs auf dem Campus mit Photovoltaik gedeckt werden. Im Gegenzug für den ins Netz eingespeisten Solarstrom bezieht der Campus ( Jahresbedarf in 2022: 862 Megawattstunden) über
einen Energieversorger zertifizierten Ökostrom. Vorbildlich ist auch das Wassermanagement vor Ort, zu dem neben einem Rückhaltebecken und einer Zisterne die Nutzung des Regenwassers als Toilettenspülung sowie ein Versickerungskonzept gehört. Bis zu 1000 Kubikmeter Frischwasser werden so im Jahr eingespart – ein Drittel des gesamten Wasserverbrauchs des Campus. „Hier geht kein Wasser in den Kanal“, versichert Helling. Und weil er natürlich weiß, dass im Saarland die Wasserstofftechnologie gerade hoch gehandelt wird, lässt er gleich auch noch fallen, dass der UCB perspektivisch zum „Wasserstoffcampus“ausgebaut und mittels weiterer geplanter Solar-Carports grüner Wasserstoff erzeugt werden soll, der teils rückverstromt, teils im hochschuleigenen Brennstoffzellenlabor sowie für eine Wasserstofftankstelle genutzt werden soll.
Im Technikum der Hochschule demontieren an diesem Vormittag Studierende Autobatterien, um deren Brennstoffzellen wiederzugewinnen. Ein dort werkelnder Student erzählt, dass die Autoindustrie die Wiederverwertung künftig leider noch schwerer machen werde, weil die Batterien der Elektromobile, um längere Reichweiten zu erreichen,
künftig so mit Brennstoffzellen verdichtet und verklebt würden, dass man sie gar nicht mehr auseinanderbauen könne.
Die meisten Studierenden, mit denen man spricht, schreiben sich selbst ein gewachsenes Umweltbewusstsein zu. Das Nachhaltigkeitsbüro des Umwelt-Campus, das Green Office, versucht das Thema immer wieder in den Hochschulalltag einfließen zu lassen. Es gibt nicht nur Kleidertauschpartys, eine Gebrauchtmöbelbörse, eine Foodsharing-Gruppe sowie Leihräder für Studierende und E-Mobile für Dienstfahrten der Angestellten, sondern auch wasserlose Urinale, einen Wertstoffsammelplatz und sogar einen „Brotaufstrich-Zirkel“, in dem vegane Aufstriche kreiert und gegenseitig ausprobiert werden.
Zuletzt kam der UCB in einem weltweiten Nachhaltigkeitsranking, an dem fast 1200 Hochschulen aus 85 Ländern teilnahmen, auf Platz drei. Das UI GreenMetric Ranking, erzählt Prof. Helling nicht ohne das verständliche Quäntchen Stolz, sei „vergleichbar mit einer Weltmeisterschaft im Sport“. Nur zwei deutsche Universitäten schafften es ansonsten noch in die Spitzengruppe: die Uni Bremen (Platz 10) und die Leuphana Universität in Lüneburg (21). Helling betont, dass dem Ranking eine umfangreiche Begutachtung vorausgeht, für die von den beteiligten Hochschulen alleine 60 detaillierte Nachweisdokumentationen vorzulegen sind – vom jeweiligen Abfall- und Wasser-Management über Klimaschutzmaßnahmen bis hin zu in Forschung und Lehre fest implementierten Nachhaltigkeitskriterien. 80 Prozent der eingeworbenen Drittmittelgelder entfallen denn auch im Schnitt in Sustainability-Projekte.
Schaut man sich das Birkenfelder Studienangebot an, stößt man auf Bachelorstudiengänge wie „Erneuerbare Energien“oder „Nachhaltige Betriebswirtschaft“. Auch findet sich darunter – progressiver geht es wohl kaum – ein Studiengang unter dem Titel „Nonprofit und NGO-Management“, der gezielt auf die nicht-profitorientierte Arbeit in Non-Government-Organisationen hin ausbildet. Auch im Master gibt es der CampusGrundausrichtung entsprechend einschlägige Studiengänge wie etwa „Umweltorientierte Energietechnik“oder „Sustainable Change“.
All das heißt nun nicht, dass das gesamte Lehrangebot in Birkenfeld komplett im Zeichen ökologischer oder klimabezogener Fragen stünde. „Aber es ist schon so, dass wir in jedem einzelnen Studiengang nachhaltigkeitsbezogene Module integrieren“, meint Helling. Nur eben in unterschiedlicher Gewichtung. Während die Modulabdeckung bei einem Studium wie „Erneuerbare Energien“100 Prozent erreiche, liege sie „bei nachhaltiger BWL bei etwa 60 Prozent und in Informatik bei 20“, überschlägt der Nachhaltigkeitsbeauftragte. Letztlich macht vor allem dies das Profil der Hochschule aus: Was auch immer man hier studiert, in jeden Studiengang sind verpflichtende Module eingearbeitet, die ökologische oder klimaschutzrelevante Fragen thematisieren. Kurzum: Wer Birkenfeld als Studienort wählt, tut es – sofern man nicht sowieso der am Rand des Nationalparks Hunsrück-Hochwald gelegenen Region entstammt – aus Überzeugung.
Das muss man wohl auch: Das Ablenkungsangebot in und um Hoppstädten-Weiersbach ist äußerst überschaubar. Aber erstens sei der Bahnhof nur 200 Meter weg und Saarbrücken dann einer der Fluchtpunkte, beruhigen Studierende den Gast. Und zweitens sei das Campusleben zumindest während des Semesters ziemlich rege. Nicht zuletzt deshalb, weil ein Drittel der Studierenden auf dem Campus wohnt und es dort neben einer modernen Sporthalle und einem Fußballplatz etwa auch Tennisplätze gibt. Und im sogenannten Kommunikationsgebäude von 2012, einem Nullemissionsgebäude, außerdem auch Proben- und Fitnessräume.
Bei allem Bemühen um Vorbildlichkeit, Profilschärfung, Internationalität und Vernetzung: Die Studierendenzahlen in Birkenfeld sind rückläufig. Vor drei Jahren zählte man noch fast 2400 Studierende, was laut Helling aber eher ein Ausreißer nach oben war. Derzeit sind es noch gut 1800. Deutschlandweit seien die Nachhaltigkeitsstudiengänge gerade im Abwind. So recht weiß er auch nicht, woran es liegt. Sind das Vorboten einer gewissen Öko-Resignation à la „es ändert sich ja doch nichts“? Hat sich der Fokus auf die Sorge vor einem Rechtsruck der Politik verlagert? Oder fehlt es den Nachwachsenden an der nötigen Überzeugung in ihre MINT-Fähigkeiten? Oder begünstigt die veränderte Work-LifeBalance ein Hineingehen in softere, vielleicht auch weniger Engagement abverlangende Studienbereiche?
Kürzlich ist der Umweltcampus Mitglied im Sustainable Development Solutions Network (SDSN) der Vereinten Nationen (UN) geworden. 1800 internationale Institutionen aus Wissenschaft und Praxis aus 145 Nationen kommen dort zusammen. Dass der Umwelt-Campus in der deutschen Sektion des SDSN die saarländischen Interessen hinsichtlich einer Fortschreibung der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie mit vertritt, spricht für sich: Es zeigt, wie viel die Universität des Saarlandes auf diesem Feld noch nachzuholen, aber auch zu gewinnen hat.