Saarbruecker Zeitung

Die grünste Hochschule ist gleich um die Ecke

Ludger Santen, neuer Präsident der Universitä­t des Saarlandes, plant dort einen neuen Nachhaltig­keitsschwe­rpunkt einzuricht­en. Wie viel Nachholbed­arf die Saarbrücke­r Uni dabei hat, zeigt ein Besuch am Umweltcamp­us Birkenfeld, der regelmäßig internatio­nal

- VON CHRISTOPH SCHREINER

Der grüne Pullover, den Klaus Helling an diesem Tag trägt, ist wohl nicht ganz zufällig gewählt. Der BWL-Professor ist seit gut zwei Jahrzehnte­n Dekan des Fachbereic­hs Umweltwirt­schaft und -recht am Umweltcamp­us Birkenfeld und auch dessen Nachhaltig­keitsbeauf­tragter.

Am besten redet man also mit Helling, um zu verstehen, weshalb sich ausgerechn­et hier in der tiefsten rheinland-pfälzische­n Provinz – in einem Ort namens Hoppstädte­n-Weiersbach, jeweils sechs Kilometer vom pfälzische­n Birkenfeld und vom saarländis­chen Nohfelden entfernt – ein Hochschuls­tandort profiliere­n konnte, der in Sachen Nachhaltig­keit inzwischen internatio­nal Vorbildfun­ktion genießt. Der Umweltcamp­us gilt seit Jahren als „grünste Hochschule Deutschlan­ds“.

Wobei es Helling viel lieber sähe, wenn sich als Marketing-Slogan „Deutschlan­ds nachhaltig­ste Hochschule“einbürgert­e. Erstens, weil dies zutreffend­er und zweitens, weil es als Anspruch auch ungleich schwerer einzulösen ist. Besonders grün wirkt der Hochschuls­tandort (Gesamtfläc­he: 166 240 m2) auf den ersten Blick eher wegen seines Umfeldes: der Außenanlag­en und der Wälder drumherum. Was man mit „grüner Hochschule“vielleicht verbindet – Hochbeete, Wildwiesen, viel Baumbestan­d und ein Minimum an Parkplätze­n und versiegelt­en Flächen – all das gibt es nicht unbedingt im Übermaß. Der Campus Birkenfeld ist da insoweit eher unauffälli­g, sieht man von den vielen Solarpanee­len ab. Dafür ist das Konzept des UCB ohne Wenn und Aber grün.

Der ehemalige Birkenfeld­er Landrat Ernst Theil, erzählt Helling, sei spiritus rector des Ganzen gewesen. Theil hatte die Idee, in dem nach dem Ende des Kalten Krieges ausgemuste­rten Reservelaz­arett der US-Army (als Ausweichqu­artier bei einer Vollbelegu­ng des Landstuhle­r US-Militärkra­nkenhauses gedacht) eine Dependance der Fachhoch

schule Trier zu errichten – orientiert am amerikanis­chen Collegesys­tem. 1996 ging es mit 550 Studierend­en los, mittlerwei­le sind es gut dreimal so viele. 600 Wohnheimpl­ätze entstanden bis heute in den alten Kasernen und damit so etwas wie ein „akademisch­es Dorf“(Helling). Insbesonde­re die 400 internatio­nalen Studierend­en aus 80 Ländern sind dort untergebra­cht. Fragt man sich, weshalb es junge Leute aus China, Mexiko oder Marokko freiwillig nach Hoppstädte­n-Weiersbach verschlägt, ist die Antwort: Weil es hier eine „Zero Emission University“gibt, die sich mit ihrem Green-CampusKonz­ept internatio­nal profiliert hat.

Strom und Wärme werden komplett aus CO2-neutralen Quellen gedeckt. Die Wärme wird maßgeblich über ein Holzhacksc­hnitzelhei­zkraftwerk, das mit regionalen Althölzern bestückt wird, und mittels Geothermie erzeugt. Und der Strom über diverse PV-Anlagen. Rechnet man die PV-Einspeisea­nlagen auf sämtlichen Kasernendä­chern hinzu, könnte 60 Prozent des gesamten Strombedar­fs auf dem Campus mit Photovolta­ik gedeckt werden. Im Gegenzug für den ins Netz eingespeis­ten Solarstrom bezieht der Campus ( Jahresbeda­rf in 2022: 862 Megawattst­unden) über

einen Energiever­sorger zertifizie­rten Ökostrom. Vorbildlic­h ist auch das Wassermana­gement vor Ort, zu dem neben einem Rückhalteb­ecken und einer Zisterne die Nutzung des Regenwasse­rs als Toilettens­pülung sowie ein Versickeru­ngskonzept gehört. Bis zu 1000 Kubikmeter Frischwass­er werden so im Jahr eingespart – ein Drittel des gesamten Wasserverb­rauchs des Campus. „Hier geht kein Wasser in den Kanal“, versichert Helling. Und weil er natürlich weiß, dass im Saarland die Wasserstof­ftechnolog­ie gerade hoch gehandelt wird, lässt er gleich auch noch fallen, dass der UCB perspektiv­isch zum „Wasserstof­fcampus“ausgebaut und mittels weiterer geplanter Solar-Carports grüner Wasserstof­f erzeugt werden soll, der teils rückverstr­omt, teils im hochschule­igenen Brennstoff­zellenlabo­r sowie für eine Wasserstof­ftankstell­e genutzt werden soll.

Im Technikum der Hochschule demontiere­n an diesem Vormittag Studierend­e Autobatter­ien, um deren Brennstoff­zellen wiederzuge­winnen. Ein dort werkelnder Student erzählt, dass die Autoindust­rie die Wiederverw­ertung künftig leider noch schwerer machen werde, weil die Batterien der Elektromob­ile, um längere Reichweite­n zu erreichen,

künftig so mit Brennstoff­zellen verdichtet und verklebt würden, dass man sie gar nicht mehr auseinande­rbauen könne.

Die meisten Studierend­en, mit denen man spricht, schreiben sich selbst ein gewachsene­s Umweltbewu­sstsein zu. Das Nachhaltig­keitsbüro des Umwelt-Campus, das Green Office, versucht das Thema immer wieder in den Hochschula­lltag einfließen zu lassen. Es gibt nicht nur Kleidertau­schpartys, eine Gebrauchtm­öbelbörse, eine Foodsharin­g-Gruppe sowie Leihräder für Studierend­e und E-Mobile für Dienstfahr­ten der Angestellt­en, sondern auch wasserlose Urinale, einen Wertstoffs­ammelplatz und sogar einen „Brotaufstr­ich-Zirkel“, in dem vegane Aufstriche kreiert und gegenseiti­g ausprobier­t werden.

Zuletzt kam der UCB in einem weltweiten Nachhaltig­keitsranki­ng, an dem fast 1200 Hochschule­n aus 85 Ländern teilnahmen, auf Platz drei. Das UI GreenMetri­c Ranking, erzählt Prof. Helling nicht ohne das verständli­che Quäntchen Stolz, sei „vergleichb­ar mit einer Weltmeiste­rschaft im Sport“. Nur zwei deutsche Universitä­ten schafften es ansonsten noch in die Spitzengru­ppe: die Uni Bremen (Platz 10) und die Leuphana Universitä­t in Lüneburg (21). Helling betont, dass dem Ranking eine umfangreic­he Begutachtu­ng vorausgeht, für die von den beteiligte­n Hochschule­n alleine 60 detaillier­te Nachweisdo­kumentatio­nen vorzulegen sind – vom jeweiligen Abfall- und Wasser-Management über Klimaschut­zmaßnahmen bis hin zu in Forschung und Lehre fest implementi­erten Nachhaltig­keitskrite­rien. 80 Prozent der eingeworbe­nen Drittmitte­lgelder entfallen denn auch im Schnitt in Sustainabi­lity-Projekte.

Schaut man sich das Birkenfeld­er Studienang­ebot an, stößt man auf Bachelorst­udiengänge wie „Erneuerbar­e Energien“oder „Nachhaltig­e Betriebswi­rtschaft“. Auch findet sich darunter – progressiv­er geht es wohl kaum – ein Studiengan­g unter dem Titel „Nonprofit und NGO-Management“, der gezielt auf die nicht-profitorie­ntierte Arbeit in Non-Government-Organisati­onen hin ausbildet. Auch im Master gibt es der CampusGrun­dausrichtu­ng entspreche­nd einschlägi­ge Studiengän­ge wie etwa „Umweltorie­ntierte Energietec­hnik“oder „Sustainabl­e Change“.

All das heißt nun nicht, dass das gesamte Lehrangebo­t in Birkenfeld komplett im Zeichen ökologisch­er oder klimabezog­ener Fragen stünde. „Aber es ist schon so, dass wir in jedem einzelnen Studiengan­g nachhaltig­keitsbezog­ene Module integriere­n“, meint Helling. Nur eben in unterschie­dlicher Gewichtung. Während die Modulabdec­kung bei einem Studium wie „Erneuerbar­e Energien“100 Prozent erreiche, liege sie „bei nachhaltig­er BWL bei etwa 60 Prozent und in Informatik bei 20“, überschläg­t der Nachhaltig­keitsbeauf­tragte. Letztlich macht vor allem dies das Profil der Hochschule aus: Was auch immer man hier studiert, in jeden Studiengan­g sind verpflicht­ende Module eingearbei­tet, die ökologisch­e oder klimaschut­zrelevante Fragen thematisie­ren. Kurzum: Wer Birkenfeld als Studienort wählt, tut es – sofern man nicht sowieso der am Rand des Nationalpa­rks Hunsrück-Hochwald gelegenen Region entstammt – aus Überzeugun­g.

Das muss man wohl auch: Das Ablenkungs­angebot in und um Hoppstädte­n-Weiersbach ist äußerst überschaub­ar. Aber erstens sei der Bahnhof nur 200 Meter weg und Saarbrücke­n dann einer der Fluchtpunk­te, beruhigen Studierend­e den Gast. Und zweitens sei das Campuslebe­n zumindest während des Semesters ziemlich rege. Nicht zuletzt deshalb, weil ein Drittel der Studierend­en auf dem Campus wohnt und es dort neben einer modernen Sporthalle und einem Fußballpla­tz etwa auch Tennisplät­ze gibt. Und im sogenannte­n Kommunikat­ionsgebäud­e von 2012, einem Nullemissi­onsgebäude, außerdem auch Proben- und Fitnessräu­me.

Bei allem Bemühen um Vorbildlic­hkeit, Profilschä­rfung, Internatio­nalität und Vernetzung: Die Studierend­enzahlen in Birkenfeld sind rückläufig. Vor drei Jahren zählte man noch fast 2400 Studierend­e, was laut Helling aber eher ein Ausreißer nach oben war. Derzeit sind es noch gut 1800. Deutschlan­dweit seien die Nachhaltig­keitsstudi­engänge gerade im Abwind. So recht weiß er auch nicht, woran es liegt. Sind das Vorboten einer gewissen Öko-Resignatio­n à la „es ändert sich ja doch nichts“? Hat sich der Fokus auf die Sorge vor einem Rechtsruck der Politik verlagert? Oder fehlt es den Nachwachse­nden an der nötigen Überzeugun­g in ihre MINT-Fähigkeite­n? Oder begünstigt die veränderte Work-LifeBalanc­e ein Hineingehe­n in softere, vielleicht auch weniger Engagement abverlange­nde Studienber­eiche?

Kürzlich ist der Umweltcamp­us Mitglied im Sustainabl­e Developmen­t Solutions Network (SDSN) der Vereinten Nationen (UN) geworden. 1800 internatio­nale Institutio­nen aus Wissenscha­ft und Praxis aus 145 Nationen kommen dort zusammen. Dass der Umwelt-Campus in der deutschen Sektion des SDSN die saarländis­chen Interessen hinsichtli­ch einer Fortschrei­bung der deutschen Nachhaltig­keitsstrat­egie mit vertritt, spricht für sich: Es zeigt, wie viel die Universitä­t des Saarlandes auf diesem Feld noch nachzuhole­n, aber auch zu gewinnen hat.

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FOTOS: SCHEER/BALTZECK/UMWELTCAMP­US BIRKENFELD Luftbildau­fnahme des Umweltcamp­us, dessen frühere Kasernennu­tzung hier gut erkennbar ist.
 ?? ?? Blick auf das „Kommunikat­ionsgebäud­e“des Birkenfeld­er Campus. Das Nullemissi­onsgebäude ist, sein Name sagt es schon, zentraler Campus-Austauschp­unkt.
Blick auf das „Kommunikat­ionsgebäud­e“des Birkenfeld­er Campus. Das Nullemissi­onsgebäude ist, sein Name sagt es schon, zentraler Campus-Austauschp­unkt.
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Solardäche­r prägen das Erscheinun­gsbild und sind Teil des Umweltkonz­epts.
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Prof. Klaus Helling, Nachhaltig­keitsbeauf­tragter des UCB.

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