Rock me Amadeus à la Nimsgern
Märchen konnte der saarländische Musical-Komponist Frank Nimsgern von jeher gut, man denke nur an sein Rock-Schneewittchen „SnoWhite“. Doch jetzt hat er sich in München an das berühmteste Märchen der Oper gewagt; die „Zauberflöte“wird zum Musical. Und man
Kino und Fernsehen wärmen ja gern Bewährtes auf – wie Erbsensuppe. Motto: Beim zweiten Mal schmeckt's noch besser. Kann sein. Kaum etwas lässt die Kassen jedenfalls süßer klingeln als Remakes. Manchmal sind die aber auch bloß fad. In Rock & Pop haben sich Coverversionen sogar zum eigenen Genre gemausert. Das Musiktheater ziert sich da schon mehr, recycelt nicht gar so dreist.
Frank Nimsgern allerdings greift gerne mit beiden Komponistenpranken zu. Richard Wagners „Ring“hat er sich längst zu eigen gemacht. Und nun auch noch Mozarts' „Zauberflöte“? Schon kühn, was der 54-jährige Saarländer da treibt. Schließlich rettet Mozarts Spätwerk nicht umsonst jedem Theater die Auslastungsbilanz. So krude das Freimaurer-Fantasyund-Weltverbesserer-Libretto von Emanuel Schikaneder auch sein mag, Mozarts Musik tönt so grandios wie sie flugs ins Ohr geht. Was will man da noch anders machen – oder gar besser? Geht eigentlich nicht.
Darum zauderte Frank Nimsgern wohl auch so lange, bis er seinen Namen unter den Vertrag setzte. Mit dem Füssener Festspielhaus, wo die „Zauberflöte – das Musical“im Mai und September laufen wird und dem Deutschen Theater in München. Letzteres ist einer der Musicalpaläste Deutschlands. Hier wird vom Austropop-Gedächtnis-Singspiel „Falco“über Ralph Siegels Schlagerzweitverwertung „Ein bisschen Frieden“bis zu Mireille Mathieus Abschiedsgala so einiges durchgereicht. Im Klartext: Man muss richtig was bieten können, will man dort bestehen..
Und Nimsgern kann es. Darauf muss man nicht lange warten. Spätestens mit Papagenos erstem Auftritt hat er das Publikum. Gerade weil Nimsgern sich mit dieser Nummer – prophylaktisch – tief vor Mozart verneigt, mehr als Arrangeur, denn als Komponist virtuos mit Mozart'schem Material spielt und dem Tim Wilhelm reichlich Zucker gibt für dessen Vogelfänger-Punk. Bei der „Münchener Freiheit“singt der sonst vor allem Gute-Laune-Pop, doch im Deutschen Theater jubelt er, als habe er schon ewig auf diesen Vogelfänger gewartet, bringt die Partie zum Schillern. Ein Buffo hoch zwei. Zumal ihn auch das Buch- und Liedtext-Autoren-Doppel Benjamin Sahler und Aino Laos quasi potenziert hat, dank eines Pointenplappernden Kakadus an seiner Seite. Mario Mariano plustert den Vogel zur Drag-Queen auf, eine Folies-BergèreTanzreihe in einer Person. So piept's bei Papageno permanent. Ohne Frage die beste Idee, die Sahler und Laos hatten, um das über 230 Jahre alte Schikaneder-Libretto zu vitalisieren.
Ansonsten aber wundert man sich, wie wenig Modernität Einzug hielt. Der Versuch, mit einem Orakel – Mu
sical-Legende Anna Maria Kaufmann müht sich in einer öfters schwer verständlichen Sprechrolle – eine erläuternde Instanz zu installieren, wirkt eher hemmend. Zwar werden zentrale Figuren wie die Königin der Nacht oder Sarastro (Christian Schöne) eindeutiger schwarz oder weiß positioniert. Doch wehe, wehe, wenn man auf das Ende sieht: ein grob zusammengezimmertes Finale! Pamina erkennt urplötzlich in den Antipoden Königin der Nacht und Sarastro Mama und Papa. Diagnose: Wer sich ständig so fetzt wie diese beiden, muss vorher wohl schwer verliebt gewesen sein. Die Zauberflöte als Szenen einer gescheiterten Ehe. Inklusive unmotivierter Versöhnung. Das ginge dramaturgisch garantiert gewitzter.
Wenig beflügelnd überdies, dass Sahler, hauptamtlich Chef des Füssener Festspielhauses (in Neunkirchen inszenierte er übrigens 2017 „Die Päpstin“), diese Zauberflöte als Regisseur robust wie Tourneetheater aufsetzt, bei dem man sich Extravaganzen kaum leisten kann. Der Zauberwald, in dem sich Papageno und die drei Damen (stimmstarkes Trio: Luzia Sahler, Madeleine Haipt und Elisa Rehlinger) tummeln, wirkt wie mit Restbeständen der Truppe dekoriert, grün übersprühte BundeswehrTarnmetze. Das wirkt doch ärmlich.
Wobei: Sahler kann auch anders, Legt Stefanie Gröning als Papagena ihren Dirty-Birdie-Auftritt hin und verführt Pagageno fast um Kopf und Kragen, zeigt Sahler, dass er auch gro
ße Revue kann. Tanz, Licht, Kostümrauschen – da protzt das Theater mit seiner magischen Urkraft.
Frank Nimsgern befeuert den dramaturgischen Mühen zum Trotz alles mit Songs und Sounds, die für ihn so auch so etwas wie back to the roots bedeuten. Wie einst bei „SnoWhite“dominieren Rock, Funk und Gitarrenfeuerwerk. Dem zum eigentlichen Oberfiesling avancierten Monastatos serviert er etwa eine schwarze, rattenscharfe Metal-Hymne, in der sich Chris Murry austoben kann. Papageno schafft er mit springenden Folk-Rhythmen einen typgerecht flotten Auftritt. Und Prinz Tamino, den Patrick Stanke eher als pragmatischen Antihelden anlegt, schenkt er Balladen vom Feinsten für die Goldkehle.
Anders als bei seinem stilistisch unsteten „Jack the Ripper“, bettet Nimsgern in der „Zauberflöte“die Figuren passgenau musikalisch. Aber kreiert dennoch etwas Eigenes, OriginalMozart zitiert er genau so viel, wie es für den Wiedererkennungseffekt braucht.. Ein paar Takte Ouvertüre, mal ein Aufblitzen von Motiven und – das aber fast eins zu eins in Melodie und Arientext – die Rachearie der Königin der Nacht. Eine süffige Rockvariation, bei der sich die exzellente Katja Berg auch zu höchsten Klippen der Koloratur aufschwingt, rudimentär nur mit Hall und Gitarrensounds abgesichert. Was für ein Bravourstück – und dieser Wucht-Auftritt bohrt sich auch sofort in den Gehörgang wie einst die Opernliebelei von Queen: A night at the opera.
Zu keinem Zeitpunkt aber wird es bei diesem neuen Musical auch brenzliger. Das Publikum applaudiert sich bei diesem Rock-me-Amadeus à la Nimsgern schier aus dem Häuschen. Was soll und kann Nimsgern Eigenes danach noch setzen, wo Mozarts melodiöses Genie alles überstrahlt? Nun, Nimsgern komponiert Pamina eine schlichte Ballade, pures Gefühl, mit dem Misha Kovar zutiefst die Herzen rührt. Gewaltige Fallhöhe drohte hier, doch der Könner Frank Nimsgern weiß damit umzugehen. Das muss ihm erstmal einer nachmachen.
Bis 21. April im Deutschen Theater München. www.deutsches-theater,de. Vom 4. bis 12. Mai und am 13. und 14. September im Festspielhaus Neuschwanstein in Füssen.