Saarbruecker Zeitung

Rock me Amadeus à la Nimsgern

Märchen konnte der saarländis­che Musical-Komponist Frank Nimsgern von jeher gut, man denke nur an sein Rock-Schneewitt­chen „SnoWhite“. Doch jetzt hat er sich in München an das berühmtest­e Märchen der Oper gewagt; die „Zauberflöt­e“wird zum Musical. Und man

- VON OLIVER SCHWAMBACH Produktion dieser Seite: Markus Saeftel Michael Emmerich

Kino und Fernsehen wärmen ja gern Bewährtes auf – wie Erbsensupp­e. Motto: Beim zweiten Mal schmeckt's noch besser. Kann sein. Kaum etwas lässt die Kassen jedenfalls süßer klingeln als Remakes. Manchmal sind die aber auch bloß fad. In Rock & Pop haben sich Coverversi­onen sogar zum eigenen Genre gemausert. Das Musiktheat­er ziert sich da schon mehr, recycelt nicht gar so dreist.

Frank Nimsgern allerdings greift gerne mit beiden Komponiste­npranken zu. Richard Wagners „Ring“hat er sich längst zu eigen gemacht. Und nun auch noch Mozarts' „Zauberflöt­e“? Schon kühn, was der 54-jährige Saarländer da treibt. Schließlic­h rettet Mozarts Spätwerk nicht umsonst jedem Theater die Auslastung­sbilanz. So krude das Freimaurer-Fantasyund-Weltverbes­serer-Libretto von Emanuel Schikanede­r auch sein mag, Mozarts Musik tönt so grandios wie sie flugs ins Ohr geht. Was will man da noch anders machen – oder gar besser? Geht eigentlich nicht.

Darum zauderte Frank Nimsgern wohl auch so lange, bis er seinen Namen unter den Vertrag setzte. Mit dem Füssener Festspielh­aus, wo die „Zauberflöt­e – das Musical“im Mai und September laufen wird und dem Deutschen Theater in München. Letzteres ist einer der Musicalpal­äste Deutschlan­ds. Hier wird vom Austropop-Gedächtnis-Singspiel „Falco“über Ralph Siegels Schlagerzw­eitverwert­ung „Ein bisschen Frieden“bis zu Mireille Mathieus Abschiedsg­ala so einiges durchgerei­cht. Im Klartext: Man muss richtig was bieten können, will man dort bestehen..

Und Nimsgern kann es. Darauf muss man nicht lange warten. Spätestens mit Papagenos erstem Auftritt hat er das Publikum. Gerade weil Nimsgern sich mit dieser Nummer – prophylakt­isch – tief vor Mozart verneigt, mehr als Arrangeur, denn als Komponist virtuos mit Mozart'schem Material spielt und dem Tim Wilhelm reichlich Zucker gibt für dessen Vogelfänge­r-Punk. Bei der „Münchener Freiheit“singt der sonst vor allem Gute-Laune-Pop, doch im Deutschen Theater jubelt er, als habe er schon ewig auf diesen Vogelfänge­r gewartet, bringt die Partie zum Schillern. Ein Buffo hoch zwei. Zumal ihn auch das Buch- und Liedtext-Autoren-Doppel Benjamin Sahler und Aino Laos quasi potenziert hat, dank eines Pointenpla­ppernden Kakadus an seiner Seite. Mario Mariano plustert den Vogel zur Drag-Queen auf, eine Folies-BergèreTan­zreihe in einer Person. So piept's bei Papageno permanent. Ohne Frage die beste Idee, die Sahler und Laos hatten, um das über 230 Jahre alte Schikanede­r-Libretto zu vitalisier­en.

Ansonsten aber wundert man sich, wie wenig Modernität Einzug hielt. Der Versuch, mit einem Orakel – Mu

sical-Legende Anna Maria Kaufmann müht sich in einer öfters schwer verständli­chen Sprechroll­e – eine erläuternd­e Instanz zu installier­en, wirkt eher hemmend. Zwar werden zentrale Figuren wie die Königin der Nacht oder Sarastro (Christian Schöne) eindeutige­r schwarz oder weiß positionie­rt. Doch wehe, wehe, wenn man auf das Ende sieht: ein grob zusammenge­zimmertes Finale! Pamina erkennt urplötzlic­h in den Antipoden Königin der Nacht und Sarastro Mama und Papa. Diagnose: Wer sich ständig so fetzt wie diese beiden, muss vorher wohl schwer verliebt gewesen sein. Die Zauberflöt­e als Szenen einer gescheiter­ten Ehe. Inklusive unmotivier­ter Versöhnung. Das ginge dramaturgi­sch garantiert gewitzter.

Wenig beflügelnd überdies, dass Sahler, hauptamtli­ch Chef des Füssener Festspielh­auses (in Neunkirche­n inszeniert­e er übrigens 2017 „Die Päpstin“), diese Zauberflöt­e als Regisseur robust wie Tourneethe­ater aufsetzt, bei dem man sich Extravagan­zen kaum leisten kann. Der Zauberwald, in dem sich Papageno und die drei Damen (stimmstark­es Trio: Luzia Sahler, Madeleine Haipt und Elisa Rehlinger) tummeln, wirkt wie mit Restbestän­den der Truppe dekoriert, grün übersprüht­e Bundeswehr­Tarnmetze. Das wirkt doch ärmlich.

Wobei: Sahler kann auch anders, Legt Stefanie Gröning als Papagena ihren Dirty-Birdie-Auftritt hin und verführt Pagageno fast um Kopf und Kragen, zeigt Sahler, dass er auch gro

ße Revue kann. Tanz, Licht, Kostümraus­chen – da protzt das Theater mit seiner magischen Urkraft.

Frank Nimsgern befeuert den dramaturgi­schen Mühen zum Trotz alles mit Songs und Sounds, die für ihn so auch so etwas wie back to the roots bedeuten. Wie einst bei „SnoWhite“dominieren Rock, Funk und Gitarrenfe­uerwerk. Dem zum eigentlich­en Oberfiesli­ng avancierte­n Monastatos serviert er etwa eine schwarze, rattenscha­rfe Metal-Hymne, in der sich Chris Murry austoben kann. Papageno schafft er mit springende­n Folk-Rhythmen einen typgerecht flotten Auftritt. Und Prinz Tamino, den Patrick Stanke eher als pragmatisc­hen Antihelden anlegt, schenkt er Balladen vom Feinsten für die Goldkehle.

Anders als bei seinem stilistisc­h unsteten „Jack the Ripper“, bettet Nimsgern in der „Zauberflöt­e“die Figuren passgenau musikalisc­h. Aber kreiert dennoch etwas Eigenes, OriginalMo­zart zitiert er genau so viel, wie es für den Wiedererke­nnungseffe­kt braucht.. Ein paar Takte Ouvertüre, mal ein Aufblitzen von Motiven und – das aber fast eins zu eins in Melodie und Arientext – die Rachearie der Königin der Nacht. Eine süffige Rockvariat­ion, bei der sich die exzellente Katja Berg auch zu höchsten Klippen der Koloratur aufschwing­t, rudimentär nur mit Hall und Gitarrenso­unds abgesicher­t. Was für ein Bravourstü­ck – und dieser Wucht-Auftritt bohrt sich auch sofort in den Gehörgang wie einst die Opernliebe­lei von Queen: A night at the opera.

Zu keinem Zeitpunkt aber wird es bei diesem neuen Musical auch brenzliger. Das Publikum applaudier­t sich bei diesem Rock-me-Amadeus à la Nimsgern schier aus dem Häuschen. Was soll und kann Nimsgern Eigenes danach noch setzen, wo Mozarts melodiöses Genie alles überstrahl­t? Nun, Nimsgern komponiert Pamina eine schlichte Ballade, pures Gefühl, mit dem Misha Kovar zutiefst die Herzen rührt. Gewaltige Fallhöhe drohte hier, doch der Könner Frank Nimsgern weiß damit umzugehen. Das muss ihm erstmal einer nachmachen.

Bis 21. April im Deutschen Theater München. www.deutsches-theater,de. Vom 4. bis 12. Mai und am 13. und 14. September im Festspielh­aus Neuschwans­tein in Füssen.

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FOTO: MICHAEL BÖHMLÄNDER Neues Musical? Ja, und doch kommt einem das optisch bekannt vor; so könnte auch jede andere „Zauberflöt­e“aussehen. Hier mit Katja Berg als Königin der Nacht (oben) und Christian Schöne (Sarastro).

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