Im Haus mit dem blauen Hirsch gab’s Humor und Weiblichkeit
Am Wochenende war in der Baker Street das erste „SaarLorLux Burlesque“-Festival. Zu sehen waren Frauen-Power, tolle Kostüme, nackte Haut – und ein Monster.
Burlesque – schon das Wort klingt irgendwie opulent. Samtig, satt und schwer liegt es im Mund, bevor es sich fast in ein Schnalzen verwandelt, in ein Gefühl von Aufregung, wohliger Spannung, in Lust auf mehr. Wer am Freitagabend den großen Festsaal der „Baker Street“im Hirsch in St. Arnual betrat, konnte all das förmlich in der Luft spüren. Dorthin hatten die Saarland Burlesque Society und die Agentur Erlebnisraum geladen, um „Queen“und „Princess“, Königin und Prinzessin, des erstmalig stattfindenden „SaarLorLux Burlesque“Festivals zu küren.
Noch bevor die erste Teilnehmerin die Bühne betreten hatte, waren Glanz und Glamour in den Saal eingekehrt. Mit den Gästen nämlich. Die trugen tiefen Ausschnitt, hohen Beinschlitz, Feder-Kopfschmuck und viele Pailletten. Manche auch Zylinder und Anzug.
„Die ziehen sich für euch aus. Und ihr zieht euch für sie an“, stellte Julian Blomann, der als „Impresario“durch den Abend führte, fest. Und merkte zugleich an, dass es mit der schicken Garderobe noch nicht getan ist. Dass die Hüllen bei den Menschen auf der
Bühne fallen, muss sich das Publikum bei einer Burlesque-Show erst verdienen. Die Künstlerinnen wollen angefeuert werden: mit Pfeifen, mit Schnalzen, mit Trillern. Burlesque ist eben ein Spiel mit Stereotypen.
Als der rote Samtvorhang sich dann erstmals an jenem Abend öffnete – was für ein Bild! – wurde es also laut im Saal. Und schnell auf der Bühne: Mit zackigem Tempo wirbelt Miss Rose Renée aus London in einem rosa-blauen Rüschenumhang über die Bühne. Die Posen? Erotische Stereotype bis ins Skurrile überspitzt. Eine implizite Kritik an Sehgewohnheiten, die gleichzeitig unendlich viel Spaß macht.
Ausziehen, das macht schon diese erste Showeinlage klar, steht überhaupt nicht im Mittelpunkt des Burlesque. Es ist vielmehr Werkzeug. Zum Geschichten erzählen.
Zum Persönlichkeit vermitteln. Zum Sich-inszenieren. Und während die Mehrheitsgesellschaft ihr Verständnis von dem, was schön, was sexy ist, immer weiter verengt, scheint im Burlesque alles möglich zu sein.
Burlesque ist in Saarbrücken mal grazil, mal humorvoll.
Da ist Platz für die eleganten Bewegungen von Madame Midnight, die mit Fächern aus Federn tanzt, die an Flügel erinnern, und sich nur ganz langsam aus ihrer Korsage schält, nur um darunter ein noch kleineres Kleidungsstück zu offenbaren. Da ist Platz für Miss Kiannah, die als Mädel vom Hof die Bühne betritt, das Publikum zum Hahnenschrei animiert und es zum Dank mit Körnern bewirft und keck die Bluse aufknöpft. Und da ist Platz für Anja Keister, die in die Rolle eines strippenden Monsters schlüpft. Von der New York Times wurde die gebürtige US-Amerikanerin wegen ihrer freakigen Burlesque-Shows schon als „The Sexiest Nerd in NYC“
(deutsch: der sexieste Nerd in New York) bezeichnet.
Die Teilnehmerinnen am ersten „SaarLorLux Burlesque“-Festival kamen aus ganz Europa: aus Spanien und Frankreich, Tschechien und Großbritannien. Mit Sin Salute war sogar eine Performerin aus Australien mit dabei. Miss Kiannah wurde für ihre Hühnerhof-Show von der Jury aus internationalen Burlesque-Stars als „Queen“ausgezeichnet. Und auch der Titel „Princess“ging nach Spanien: an Sissi Della Rose nämlich. Die stürmte im Stierkampf-Dress die Bühne, engagierte einen Zuschauer als Bullen und begann, als eine Stimme aus dem Off ihr erklärte, dass der Stierkampf eine in die Tage gekommene und abzuschaffende Tradition sei, sich aus
zuziehen. Widerwillig, zunächst. Dann immer forscher, immer selbstbewusster. Bis sie schließlich, fast völlig entblößt, stolz den Arm in die Luft zu einem „Olé“reckte.
„Weiblichkeit in your face“(deutsch: Weiblichkeit in dein Gesicht), wie Gastgeber Julian Blomann in einer seiner Moderationen feststellte. Überhaupt war die Show ein Abend von Frauen für Frauen. Die dominierten nämlich auch das Publikum. Männer waren auf der Bühne und im Publikum allenfalls Beiwerk. So war der Abend auch ein Feiern des Frau-Seins. Ein Abgesang auf überholte Weiblichkeitsbilder. Ein Sich-Widersetzen, Dagegenwettern, Ausbrechen. Und auch ein Beweis dafür, wie vielgestaltig die Kunst des Ausziehens sein kann.
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