Mit Populisten reden
Seit mehr als 20 Jahren lehrt der Politikwissenschaftler Klaus-Peter Hufer, wie man sich mit Stammtischparolen auseinandersetzt und die richtigen Antworten findet. Ein Besuch in einem seiner Kurse an der Volkshochschule.
Hilfe, ein Rollenspiel. Die Dame in der vorletzten Reihe hat sich weit hinten platziert, um der Gefahr solcher Experimente zu entgehen. Klaus-Peter Hufer aber ist hartnäckig, vier Leute wären toll, sagt er. Na los. Kirsten steht auf, Ruth auch. Dann, es ist schon ein bisschen unangenehm, Andrea und Juliane. Puh, vier! Aufatmen.
Andrea und Juliane verwandeln sich umgehend in Populistinnen. Sie koffern los: „Für unsere Schulen ist kein Geld da, für die aber schon.“„Die arbeiten ja gar nicht.“„Von denen kann keiner Deutsch.“„Die lassen sich hier schön die Zähne sanieren.“„Die nehmen uns die ganzen Wohnungen weg.“„Nur noch schwarze junge Männer am Bahnhof.“Die, die, die.
Ruth und Kirsten sehen irritiert aus. Wo kommt das plötzlich her? Sie versuchen gemeinsam, dagegenzuhalten. „Also, das weiß ich ganz genau, das stimmt nicht!“, sagt Ruth über die Sache mit den Zähnen. Ihre Schwiegertochter sei Zahnärztin, es gebe nur die nötigsten Behandlungen. „Und arbeiten dürfen die ja gar nicht“, sagt Kirsten.
Am Rande der Oelder Innenstadt, südöstliches Münsterland, Kreis Warendorf, befindet sich die ortsansässige Volkshochschule.
Auf dem
Weg dorthin läuft man an ein paar netten
Häusern, einigem
Leerstand und einem hübschen Café vorbei, in dem es Hafermilch gibt. An einem frühen Donnerstagabend sind hier nur wenige Menschen unterwegs. Im Raum mit der Nummer 1, in der Volkshochschule einmal die Treppe rauf, warten 40 Leute darauf, dass KlausPeter Hufer beginnt.
Er ist ein Mann Mitte 70, an den Seiten längeres graues Haar, der gerade Schwierigkeiten hat, seine Power-Point-Präsentation zu starten. Es ist bloß die Startfolie zu sehen: „Argumente gegen Stammtischparolen: Populismus aus der Mitte der Gesellschaft – wie kann man kontern?“
Tja, gute Frage. Im Land tut sich etwas. Erstmals seit Gründung der Bundesrepublik erscheint es möglich, dass eine rechtsextreme Partei aus Landtagswahlen als Sieger hervorgeht. Eine Partei, die darüber fabuliert, deutsche Staatsbürger ins Ausland abzuschieben oder Schüler mit Behinderung aus den Schulen zu werfen. Das Klima hat sich dergestalt gewandelt, dass Menschen ihre menschenverachtenden Einstellungen ganz offen äußern, schamlos.
Im Land tut sich aber noch etwas anderes. Seit Beginn des Jahres sind an vielen Orten, großen und kleinen, Hunderttausende auf die Straßen gegangen, um gegen diese Partei zu demonstrieren. Es ist ein Ruck durch die Gesellschaft gegangen, jedenfalls ein kleiner. Denn die Demos waren ein bequemer Ort, die Adressaten des Protests waren nämlich nicht da. Man konnte lustige Schilder in die Luft halten und auf der richtigen Seite stehen, ohne diskutieren zu müssen.
Über die Frage, ob man mit Rechtsextremen reden sollte, ist lange gestritten worden. Die einen fanden, das bringe doch nichts. Die anderen fanden, man müsse wenigstens in Kontakt bleiben. Klaus-Peter Hufer findet die Frage überflüssig. Selbstverständlich sollte man mit denen reden, sagt er. Die eigentliche Frage sei: Wie?
Vor mehr als 20 Jahren hat der Politikwissenschaftler Hufer seine Argumentationstrainings gegen Stammtischparolen entwickelt. Er und von ihm angelernte Trainer touren damit durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Anfragen, ob sie nicht mal kommen könnten, erhält er aus Frankreich, Italien, der Türkei. Dass Klaus-Peter Hufer der Mann der Stunde ist, findet er ein wenig verrückt. Der Aufstieg der Rechtsextremen hat schließlich nicht im Januar begonnen.
Hufer erinnert an das meistverkaufte
Sachbuch der 2010er-Jahre: „Deutschland schafft sich ab“, von Tilo Sarrazin. „Ein eindeutig rassistisches Buch“, sagt Hufer. Und er zeigt eine Titelseite der „Bild“(einem sehr großen Stammtisch), auf der sehr viele Parolen stehen, die man ja wohl noch sagen darf, etwa: „Zu viele junge Ausländer sind kriminell.“Daneben liest man: „Klasse, Klose!“Die deutschen Fußballer gewinnen 1:0 gegen Belgien. In der Tat, lange her.
In Oelde ist es mittlerweile dunkel. Erstmal spricht Hufer jetzt den Stammtisch frei. Es gehe nicht darum, diesen zu diskreditieren, er jedenfalls wolle ihn nicht in Verruf bringen. Besser, die Leute streiten sich an einem Tisch und schauen sich dabei in die Augen, als in den anonymen Weiten des Internets als „heimatfreund73“.
Die VHS-Besucher, überwiegend Frauen, überlegen, was Stammtischparolen für sie sind: verallgemeinernd, diskriminierend, aggressiv, rigoros, ausgrenzend, selbstgerecht, menschenverachtend. Und wie sie lauten: „Wär ganz gut, wenn mal wieder einer wie Hitler aufräumt.“„Ist nicht alles falsch, was die AfD sagt.“„Die Sozialschmarotzer bekommen hier alles in den Arsch geschoben.“„Die Regierung baut lieber Radwege in Peru.“„Oh, Sie kommen in Fahrt“, sagt Hufer.
Was antwortet man da, ohne einen Bachelor in Politikwissenschaft oder den Deutschlandfunk auf Dauerschleife? Hufer erzählt von drei Beispielen aus dem sogenannten echten Leben. Im ersten fährt ein befreundeter Professor, der übrigens zu Rechtsextremismus forscht, Straßenbahn. Er hört, wie sich zwei Frauen unterhalten und dabei rassistische Stereotype bedienen. Bevor der Professor aussteigt, sagt er zu den Frauen, dass sie einen Preis gewonnen hätten: für den größten erzählten Blödsinn in kürzester Zeit.
Und, fragt Klaus-Peter Hufer, war das richtig? Hm. Ja, das finde ich gut, ruft eine Frau. Ein bisschen aggressiv, sagt ein Mann. Kein eindeutiges Meinungsbild. Hufer fragt mit dem ihm eigenen Hufer-Humor: „Hätte er hingehen sollen und sagen: Mein Name ist XY, ich möchte mit Ihnen den herrschaftsfreien Diskurs nach Habermas führen?“In der Straßenbahn jedenfalls bekam der Professor Applaus.
Beispiel zwei. Die Großmutter einer Journalistin wird an Weihnachten nach zwei Schnäpsen regelmäßig ausfällig und rassistisch. Was tun, wenn die Parolen nicht aus einem fremden Mund kommen, dessen Inhaber man im Zweifel nie wieder sieht, sondern von einem geliebten Mitmenschen stammen?
Nicken in Raum 1. Das Familienfest ist als heikles Terrain gefürchtet. Hufer kennt das. Bei ihm zu Hause habe die Mutter immer ermahnt, nur nicht über Politik zu sprechen. Aber, fragt er in die Runde, worüber soll man bitte unpolitisch sprechen, wenn sogar das Wetter nach zwei, drei Sätzen zu Verschwörungsmythen führen kann?
Der Journalistin mit der Oma hat Hufer geraten, dies zu sagen: Oma, ich mag dich, und weil ich dich so mag, bitte ich dich, deine Position zu überdenken. Das folgt der Logik: Person annehmen, Inhalt ablehnen. Hufer hält das für wichtig, sagt er, dass man dem Gegenüber signalisiert, nicht ihn als Menschen zu kritisieren, sondern nur die Aussage. So bleibe das Tischtuch vorerst ganz.
Im dritten Beispiel wird eine Frau im Rollstuhl an einem Bahnsteig von zwei Männern angesprochen. Sie sagen: „Dich hat man in Auschwitz vergessen.“Noch zwei Jahre nach dem Vorfall, so schildert Hufer es, habe die Frau an Bahnhöfen gezittert. Warum? Weil damals niemand der umstehenden Fahrgäste reagiert hat.
In der Volkshochschule Oelde sagt eine Frau, dass sie nicht wisse, ob sie sich getraut hätte, den Mund aufzumachen. Sie alleine gegen zwei Männer, die solche ekelhaften Sätze sagen. Klar, sagt Hufer, die Situation sei gefährlicher als die in der Straßenbahn.
Hier geht es um Zivilcourage. Man müsse explizit andere Menschen in der Umgebung ansprechen und konkret die betroffene Person, also hier die Frau im Rollstuhl ansprechen, nicht die Männer. „Es sind meistens noch andere dabei, beziehen Sie die ein“, sagt Hufer.
Sein Training in Oelde ist, so nennt er das, eine Espresso-Variante. Wie man gegen Stammtischparolen argumentiert in gut 90 Minuten. Üblich seien mehrere Stunden, auch mal mehrere Tage. Da geht es dann richtig in die Tiefe. Der Bedarf an Hufers Trainings scheint unerschöpflich zu sein. Zurzeit, sagt er, bekommt er jeden Tag mindestens eine neue Anfrage.
Eingeladen wird er von fast allen Seiten. Von Feuerwehren, Polizeibehörden, Stadt- und Kreisverwaltungen, Ministerien, Parteien und Fraktionen auf allen Ebenen, Vereinen, Initiativen, karitativen Einrichtungen. Nur Populisten haben irgendwie kein Interesse.
Manchmal kommen aber doch ein paar zu Hufers Auftritten. Sie versuchen zu stören, gelegentlich auch, ihn einzuschüchtern. Klaus-Peter Hufer hat sich den Kampf gegen Rechtsextremismus zur Lebensaufgabe gemacht und sich damit nicht nur Freunde. An seiner Universität Duisburg-Essen musste er einmal eine Vorlesung unter Polizeischutz halten, er war bedroht worden.
Hufer ist ein heiterer Mann, der sich ein schweres Thema ausgesucht hat. Er tritt aber trotzdem nicht moralinsauer auf, sondern fröhlich, leicht. Er erzählt, dass er als Zivildienstleistender gegen den damaligen NPD-Vorsitzenden Adolf von Thadden demonstriert hat, und zwar mit den Worten: Ein Adolf war genug.
Zurück zu Andrea und Juliane, Ruth und Kirsten. Sie haben sich für die Gruppe geopfert und beim Rollenspiel mitgemacht, hier die zwei Populistinnen, da die zwei Gegenrednerinnen. Zum Dank bekommen sie nun auch noch Haltungsnoten.
Ein Herr mit Pullunder sagt, er hätte die Populistinnen totgefragt, weiter, immer weiter gebohrt. Eine Frau bemerkt, dass das Team Populismus schnell das Thema gewechselt hat, wenn es entkräftet wurde. Und ein weiterer Herr mit weißem Haar sagt: „Das Problem ist die Verteidigungsposition. Die Populisten wirken so einfach stärker.“
Es gibt Menschen, die sehen die Meinungsfreiheit im Land bedroht. Die haben das Gefühl, dass man nicht mehr alles sagen kann. Dabei darf man alles sagen, was man will, solange man nicht gegen das Strafgesetzbuch verstößt. Nur muss man eben mit Gegenrede leben können. Man wird ja wohl noch widersprechen dürfen!
Was also gibt Klaus-Peter Hufer den Oelderinnen und Oeldern mit auf den Weg? Eine ganze Menge: 1.) Tappen Sie nicht in die Komplexitätsfalle. Vermeiden Sie eine Argumentationsflut. 2.) Lehnen Sie Kategorisierungen ab. Es gibt kein „die“. 3.) Fordern Sie Ihren Gesprächspartner auf, beim Thema zu bleiben. Bleiben Sie auch selbst dabei. 4.) Suchen Sie in größeren Gesprächsrunden nach Verbündeten. 5.) Fragen Sie immer weiter – bis zur letzten Konsequenz. 6.) Lassen Sie sich nicht in endlose Diskussionen verwickeln. 7.) Seien Sie sich dessen bewusst, dass ein Gespräch nie wirklich zu Ende ist, wenn es formal beendet wurde. Also: anbieten, im Gespräch zu bleiben. 8.) Seien Sie gelassen: Sie alleine können zwar die Welt nicht ändern, aber Sie sind nicht alleine – viele denken so wie Sie.
Ein bisschen Humor kann am Ende auch nicht schaden, sagt Hufer. Wenn ihm jemand erzählen würde, dass die Ausländer uns die ganzen Arbeitsplätze wegnehmen, würde er antworten: „Stimmt. Ich, Klaus-Peter Hufer, will Mittelstürmer bei Bayern München sein. Aber die haben sich ja lieber für einen Briten entschieden.“