„Es kommen nicht mehr so viele junge Frauen“
Brauchen wir ein Sexkaufverbot? Ein Diplom-Sozialarbeiter beim Gesundheitsamt des Regionalverbandes hält nichts davon.
SAARBRÜCKEN In Teil 3 der Prostitutions-Serie sprechen wir mit einem Sozialarbeiter, bei dem Prostituierte eine Arbeiterlaubnis beantragen.
Sie sehen alle Frauen, die im Saarland einen Prostitutionspass beantragen. Können Sie das Spektrum ein wenig beschreiben?
BALZERT Es gibt durchaus Frauen, die haben einen Anwalt, einen Steuerberater. Die kommen dann schon mit Gucci-Tasche hierher. Das gibt`s wirklich. Und die sind auf keinen Fall selten. Ich finde, wir haben in der gesellschaftlichen Wahrnehmung der Prostitution eh ein Zerrbild.
Was meinen Sie damit?
BALZERT Natürlich gibt`s die Opfer von Menschenhandel, natürlich gibt`s in dem Bereich sehr schlimme Probleme, schlimme Machenschaften, Vergewaltigungen, sexualisierte Gewalt. Ich sehe auch solche Mädchen, die vielleicht intellektuell nicht so gut aufgestellt sind, die erst 18 Jahre alt sind, oder vielleicht 19. Die hat sich doch nicht allein in Bukarest in den Zug gesetzt und ist hierher gekommen. Wohl eher nicht. Wenn sie mir gegenüber sitzt, sagt sie das aber.
Stehen dann im Flur die Hintermänner?
BALZERTDas kommt vor, manchmal sehe ich sie auch vor ihrem Auto mit rumänischer Nummer vor der Tür stehen. In Jogginganzügen, rauchend. Da kann ich mir natürlich relativ gut vorstellen, was da womöglich dahinter steckt. Ich kann aber nicht sagen, ich habe ein ganz schlechtes Bauchgefühl, die kriegt von mir jetzt kein Anmeldepapier. Das geht nicht.
Ab wann können Sie eingreifen?
BALZERT Wenn wir konkrete Hinweise feststellen oder wenn sie selbst sagen, dass sie in der Klemme stecken.
Passiert das?
BALZERTDas habe ich alles schon gehabt. Ich gebe dann den Sozialarbeiterinnen von Aldona Bescheid. Auch der Polizei, dann muss man aber mit Klarnamen der Frauen arbeiten – und an der Stelle hört es bei den Frauen meist auf. Sie wollen auf keinen Fall, dass die Familie davon erfährt.
Wie oft haben Sie ein schlechtes Gefühl?
BALZERT Ich mache das jetzt – mit ein zwei kleinen Unterbrechungen – seit 2017. In meiner Wahrnehmung ist es seit Mitte vergangenen Jahres besser geworden. Ich habe gar nicht mehr so viele von den jungen Frauen, wo ich denke, Ach Gott, Mädchen: Was willst du hier?
Wie viel Prozent sind unter 21 Jahre?
BALZERT Wie gesagt, die Zahlen sind rückläufig. Derzeit sind drei Prozent der 723 Frauen unter 21 Jahre alt.
Warum gibt es einen Rückgang?
BALZERT Ich weiß es nicht, ich kann da nur spekulieren. Aber ich finde, es ist eine gute Entwicklung. Ich finde es besser, wenn Frauen kommen, die Mitte 20, Mitte 30 sind. Die gut Deutsch sprechen, die gut Englisch sprechen. Die im eigenen Auto hier sind, die das hier ein paar Wochen im Jahr machen, um in ihrer Heimat Immobilien zu finanzieren oder in Gran Canaria ein Café, oder sie finanzieren ihre Familie, die sind intellektuell auf der Höhe. Die sind mir lieber. Und das ist Gott sei Dank keine verschwindend geringe Zahl.
Können Sie das zahlenmäßig einschätzen?
BALZERT Mehr als die Hälfte der Frauen, die hierherkommen, sind gut aufgestellt. Noch mal: So unterschiedlich wie die Frauen außerhalb der Prostitution sind, sind sie auch in der Prostitution. Vom Habitus, von der sozialen Herkunft her, das ist eine Riesenspanne.
Auch bei den Betreibern?
BALZERT Ja, natürlich haben wir Leute, die sind eher ein Schlitzohr. Ich würde aber sagen, dass die Mehrzahl dieser Leute seriös ihr Geschäft betreiben, die zahlen einen mittleren vierstelligen Betrag, damit sie ihre Betriebserlaubnis bekommen. Die Läden müssen Auflagen erfüllen, wir prüfen das ständig. Das sind Leute, die teilweise schon seit 20, 30 Jahren
in dem Geschäft sind.
Ex-Polizist Manfred Paulus sagt im SZ-Interview, 95 bis 100 Prozent der Frauen, die in der Prostitution arbeiten, seien Opfer von Menschenhandel, das schlimmste Leid würden sie in Bordellen erleben?
BALZERT Nein. Das deckt sich nicht mit unseren Erfahrungen, die wir in sieben Jahren machen konnten. Ich weiß auch nicht, welchen Zugang er zu den Frauen hat. Wir sehen hier alle, er vielleicht nur die, die aussteigen wollen, oder die tatsächlich Opfer von Gewalt geworden sind. Er war ja schließlich bei der Polizei. Das erleben wir leider oft, dass die Menschen nur aus ihrem Blickwinkel die Prostitution bewerten.
Paulus sagt auch, nur in Saarbrücken arbeiten 1200 Prostituierte?
BALZERT Nein, wo sollen die denn sein? Wir kennen uns echt gut in der Szene aus. Nein.
Wie viele sind es?
BALZERT Ich weiß es nicht, die Frauen reisen viel herum. Wenn sie sich hier anmelden, heißt das nicht, dass
sie auch im Saarland arbeiten. Dazu weiß ich nicht, wie viel illegal in Saarbrücken arbeiten. Aber insgesamt 1200? Nein.
Corona war ein Einschnitt für die Branche, offenbar sind da viele Frauen in nicht angemeldete Wohnungen und Hotels gewechselt, dort sind die Frauen natürlich weniger geschützt. Können Sie das bestätigen?
BALZERT Wir sehen hier bei uns im Amt nur das Hellfeld. Dass es diesen illegalen Komplex gibt, das ist klar, dass der in Coronazeiten gewachsen ist, davon muss man ausgehen.
Diese illegalen Wohnungen sind ein Problem?
BALZERT Das Problem dort ist, die sind heute hier, morgen dort, da gibt`s starke Bewegungen. Außerdem: Wenn du so ein Ding platt machst, dann ist das vielleicht nicht zielführend, vor allem wenn man die Hintermänner nicht bekommt. Dann ist klar, die werden ein paar Wochen später woanders neu eröffnen.
Die Evaluierung des Prostituiertenschutz-Gesetzes steht an: Was sollte
am Gesetz verändert werden?
BALZERT Das ProstituiertenschutzGesetz ist eine gute Sache. Ich halte es für sehr sinnvoll, die Frauen über all die Dinge aufzuklären, die zu berücksichtigen sind, wenn man selbstständig in Deutschland arbeitet. Natürlich hat das Gesetz auch Schwachstellen.
Welche? BALZERT
Es gibt zum Beispiel die Möglichkeit der Anmeldung, es gibt aber nicht die Möglichkeit der Abmeldung. Was zu Problemen mit dem Finanzamt führen kann, wenn sie sich nicht selbst dort abmeldet. Das Finanzamt wird immer wieder versuchen, zu besteuern, wird sie irgendwann schätzen, Schulden laufen auf. Irgendwann kommt vielleicht Post heim nach Rumänien, das wollen die Frauen nicht. Das ist ein Riesenproblem. Die Art der Besteuerung könnte man vereinfachen.
Was noch? BALZERT
Die Taktung der Beratungen. Warum muss jetzt eine Frau, die 55 Jahre alt ist, warum muss die alle zwei Jahre vor mir sitzen, ich kann der nichts mehr erzählen. Wenn sie Anfang 20 ist, macht diese Taktung Sinn, man kann es halt schlecht individuell anpassen.
Wie kommt man Menschenhandel besser bei?
BALZERT Da müsste es wahrscheinlich europaweit extrem intensive Anstrengungen geben und Kooperationen. Ich glaube, es gibt da auch einige Anstrengungen und es gibt wahrscheinlich auch Nachholbedarf. Hauptsächlich scheitert die Polizei daran, dass die Frauen nichts sagen wollen oder bei der Verhandlung wieder in ihrem Heimatland und für Gerichte unerreichbar sind.
Wie stehen sie zum nordischen Modell, die CDU würde es gerne wie in Frankreich, oder Schweden in Deutschland einführen? Ein Sexkaufverbot.
BALZERT Ich halte das nordische Modell für einen Irrweg. Diese Bestrebungen kommen meistens aus Ecken, in denen die Leute nicht wirklich firm in Sachen Prostitution sind. Das ist irgendwie wie Lieschen Müller, die in der Zeitung Schlechtes über die Prostitution liest und sagt: Gott, das sollte jetzt endlich mal verboten werden, die böse Prostitution, nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn.
Wo sehen Sie Probleme?
„Die Polizei sagt, seit es uns gibt, haben sie einen besseren Überblick über das Gewerbe.“Michael Balzert
BALZERT Erstens würde das ganz vielen Leuten, die hier auf dem Boden des Gesetzes unterwegs sind und ein seriöses Geschäft betreiben, die wirtschaftliche Existenzgrundlage entziehen. Das darf aus meiner Sicht nicht sein. So schütze ich doch keine selbstbewusste, selbstständige Frau in diesem Gewerbe. Das ist für mich eher eine Art von Pseudo-Feminismus: Ich schütze dich jetzt, indem ich dir deine wirtschaftliche Existenzgrundlage entziehe. Außerdem hätten wir noch wesentlich weniger Einblicke in das, was illegal läuft: Das illegale Geschäft würde erst recht blühen. Diese Entwicklung kann man nicht wollen.
Sie befürworten den Status quo?
BALZERT Ja, seit wir das Gesetz haben, haben wir erst ein Hellfeld. Das sagt auch die Polizei. Seit es uns gibt, haben sie einen besseren Überblick über das Gewerbe.