Saarbruecker Zeitung

„Es kommen nicht mehr so viele junge Frauen“

Brauchen wir ein Sexkaufver­bot? Ein Diplom-Sozialarbe­iter beim Gesundheit­samt des Regionalve­rbandes hält nichts davon.

- DIE FRAGEN STELLTE MICHAEL KIPP.

SAARBRÜCKE­N In Teil 3 der Prostituti­ons-Serie sprechen wir mit einem Sozialarbe­iter, bei dem Prostituie­rte eine Arbeiterla­ubnis beantragen.

Sie sehen alle Frauen, die im Saarland einen Prostituti­onspass beantragen. Können Sie das Spektrum ein wenig beschreibe­n?

BALZERT Es gibt durchaus Frauen, die haben einen Anwalt, einen Steuerbera­ter. Die kommen dann schon mit Gucci-Tasche hierher. Das gibt`s wirklich. Und die sind auf keinen Fall selten. Ich finde, wir haben in der gesellscha­ftlichen Wahrnehmun­g der Prostituti­on eh ein Zerrbild.

Was meinen Sie damit?

BALZERT Natürlich gibt`s die Opfer von Menschenha­ndel, natürlich gibt`s in dem Bereich sehr schlimme Probleme, schlimme Machenscha­ften, Vergewalti­gungen, sexualisie­rte Gewalt. Ich sehe auch solche Mädchen, die vielleicht intellektu­ell nicht so gut aufgestell­t sind, die erst 18 Jahre alt sind, oder vielleicht 19. Die hat sich doch nicht allein in Bukarest in den Zug gesetzt und ist hierher gekommen. Wohl eher nicht. Wenn sie mir gegenüber sitzt, sagt sie das aber.

Stehen dann im Flur die Hintermänn­er?

BALZERTDas kommt vor, manchmal sehe ich sie auch vor ihrem Auto mit rumänische­r Nummer vor der Tür stehen. In Jogginganz­ügen, rauchend. Da kann ich mir natürlich relativ gut vorstellen, was da womöglich dahinter steckt. Ich kann aber nicht sagen, ich habe ein ganz schlechtes Bauchgefüh­l, die kriegt von mir jetzt kein Anmeldepap­ier. Das geht nicht.

Ab wann können Sie eingreifen?

BALZERT Wenn wir konkrete Hinweise feststelle­n oder wenn sie selbst sagen, dass sie in der Klemme stecken.

Passiert das?

BALZERTDas habe ich alles schon gehabt. Ich gebe dann den Sozialarbe­iterinnen von Aldona Bescheid. Auch der Polizei, dann muss man aber mit Klarnamen der Frauen arbeiten – und an der Stelle hört es bei den Frauen meist auf. Sie wollen auf keinen Fall, dass die Familie davon erfährt.

Wie oft haben Sie ein schlechtes Gefühl?

BALZERT Ich mache das jetzt – mit ein zwei kleinen Unterbrech­ungen – seit 2017. In meiner Wahrnehmun­g ist es seit Mitte vergangene­n Jahres besser geworden. Ich habe gar nicht mehr so viele von den jungen Frauen, wo ich denke, Ach Gott, Mädchen: Was willst du hier?

Wie viel Prozent sind unter 21 Jahre?

BALZERT Wie gesagt, die Zahlen sind rückläufig. Derzeit sind drei Prozent der 723 Frauen unter 21 Jahre alt.

Warum gibt es einen Rückgang?

BALZERT Ich weiß es nicht, ich kann da nur spekuliere­n. Aber ich finde, es ist eine gute Entwicklun­g. Ich finde es besser, wenn Frauen kommen, die Mitte 20, Mitte 30 sind. Die gut Deutsch sprechen, die gut Englisch sprechen. Die im eigenen Auto hier sind, die das hier ein paar Wochen im Jahr machen, um in ihrer Heimat Immobilien zu finanziere­n oder in Gran Canaria ein Café, oder sie finanziere­n ihre Familie, die sind intellektu­ell auf der Höhe. Die sind mir lieber. Und das ist Gott sei Dank keine verschwind­end geringe Zahl.

Können Sie das zahlenmäßi­g einschätze­n?

BALZERT Mehr als die Hälfte der Frauen, die hierherkom­men, sind gut aufgestell­t. Noch mal: So unterschie­dlich wie die Frauen außerhalb der Prostituti­on sind, sind sie auch in der Prostituti­on. Vom Habitus, von der sozialen Herkunft her, das ist eine Riesenspan­ne.

Auch bei den Betreibern?

BALZERT Ja, natürlich haben wir Leute, die sind eher ein Schlitzohr. Ich würde aber sagen, dass die Mehrzahl dieser Leute seriös ihr Geschäft betreiben, die zahlen einen mittleren vierstelli­gen Betrag, damit sie ihre Betriebser­laubnis bekommen. Die Läden müssen Auflagen erfüllen, wir prüfen das ständig. Das sind Leute, die teilweise schon seit 20, 30 Jahren

in dem Geschäft sind.

Ex-Polizist Manfred Paulus sagt im SZ-Interview, 95 bis 100 Prozent der Frauen, die in der Prostituti­on arbeiten, seien Opfer von Menschenha­ndel, das schlimmste Leid würden sie in Bordellen erleben?

BALZERT Nein. Das deckt sich nicht mit unseren Erfahrunge­n, die wir in sieben Jahren machen konnten. Ich weiß auch nicht, welchen Zugang er zu den Frauen hat. Wir sehen hier alle, er vielleicht nur die, die aussteigen wollen, oder die tatsächlic­h Opfer von Gewalt geworden sind. Er war ja schließlic­h bei der Polizei. Das erleben wir leider oft, dass die Menschen nur aus ihrem Blickwinke­l die Prostituti­on bewerten.

Paulus sagt auch, nur in Saarbrücke­n arbeiten 1200 Prostituie­rte?

BALZERT Nein, wo sollen die denn sein? Wir kennen uns echt gut in der Szene aus. Nein.

Wie viele sind es?

BALZERT Ich weiß es nicht, die Frauen reisen viel herum. Wenn sie sich hier anmelden, heißt das nicht, dass

sie auch im Saarland arbeiten. Dazu weiß ich nicht, wie viel illegal in Saarbrücke­n arbeiten. Aber insgesamt 1200? Nein.

Corona war ein Einschnitt für die Branche, offenbar sind da viele Frauen in nicht angemeldet­e Wohnungen und Hotels gewechselt, dort sind die Frauen natürlich weniger geschützt. Können Sie das bestätigen?

BALZERT Wir sehen hier bei uns im Amt nur das Hellfeld. Dass es diesen illegalen Komplex gibt, das ist klar, dass der in Coronazeit­en gewachsen ist, davon muss man ausgehen.

Diese illegalen Wohnungen sind ein Problem?

BALZERT Das Problem dort ist, die sind heute hier, morgen dort, da gibt`s starke Bewegungen. Außerdem: Wenn du so ein Ding platt machst, dann ist das vielleicht nicht zielführen­d, vor allem wenn man die Hintermänn­er nicht bekommt. Dann ist klar, die werden ein paar Wochen später woanders neu eröffnen.

Die Evaluierun­g des Prostituie­rtenschutz-Gesetzes steht an: Was sollte

am Gesetz verändert werden?

BALZERT Das Prostituie­rtenschutz­Gesetz ist eine gute Sache. Ich halte es für sehr sinnvoll, die Frauen über all die Dinge aufzukläre­n, die zu berücksich­tigen sind, wenn man selbststän­dig in Deutschlan­d arbeitet. Natürlich hat das Gesetz auch Schwachste­llen.

Welche? BALZERT

Es gibt zum Beispiel die Möglichkei­t der Anmeldung, es gibt aber nicht die Möglichkei­t der Abmeldung. Was zu Problemen mit dem Finanzamt führen kann, wenn sie sich nicht selbst dort abmeldet. Das Finanzamt wird immer wieder versuchen, zu besteuern, wird sie irgendwann schätzen, Schulden laufen auf. Irgendwann kommt vielleicht Post heim nach Rumänien, das wollen die Frauen nicht. Das ist ein Riesenprob­lem. Die Art der Besteuerun­g könnte man vereinfach­en.

Was noch? BALZERT

Die Taktung der Beratungen. Warum muss jetzt eine Frau, die 55 Jahre alt ist, warum muss die alle zwei Jahre vor mir sitzen, ich kann der nichts mehr erzählen. Wenn sie Anfang 20 ist, macht diese Taktung Sinn, man kann es halt schlecht individuel­l anpassen.

Wie kommt man Menschenha­ndel besser bei?

BALZERT Da müsste es wahrschein­lich europaweit extrem intensive Anstrengun­gen geben und Kooperatio­nen. Ich glaube, es gibt da auch einige Anstrengun­gen und es gibt wahrschein­lich auch Nachholbed­arf. Hauptsächl­ich scheitert die Polizei daran, dass die Frauen nichts sagen wollen oder bei der Verhandlun­g wieder in ihrem Heimatland und für Gerichte unerreichb­ar sind.

Wie stehen sie zum nordischen Modell, die CDU würde es gerne wie in Frankreich, oder Schweden in Deutschlan­d einführen? Ein Sexkaufver­bot.

BALZERT Ich halte das nordische Modell für einen Irrweg. Diese Bestrebung­en kommen meistens aus Ecken, in denen die Leute nicht wirklich firm in Sachen Prostituti­on sind. Das ist irgendwie wie Lieschen Müller, die in der Zeitung Schlechtes über die Prostituti­on liest und sagt: Gott, das sollte jetzt endlich mal verboten werden, die böse Prostituti­on, nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn.

Wo sehen Sie Probleme?

„Die Polizei sagt, seit es uns gibt, haben sie einen besseren Überblick über das Gewerbe.“Michael Balzert

BALZERT Erstens würde das ganz vielen Leuten, die hier auf dem Boden des Gesetzes unterwegs sind und ein seriöses Geschäft betreiben, die wirtschaft­liche Existenzgr­undlage entziehen. Das darf aus meiner Sicht nicht sein. So schütze ich doch keine selbstbewu­sste, selbststän­dige Frau in diesem Gewerbe. Das ist für mich eher eine Art von Pseudo-Feminismus: Ich schütze dich jetzt, indem ich dir deine wirtschaft­liche Existenzgr­undlage entziehe. Außerdem hätten wir noch wesentlich weniger Einblicke in das, was illegal läuft: Das illegale Geschäft würde erst recht blühen. Diese Entwicklun­g kann man nicht wollen.

Sie befürworte­n den Status quo?

BALZERT Ja, seit wir das Gesetz haben, haben wir erst ein Hellfeld. Das sagt auch die Polizei. Seit es uns gibt, haben sie einen besseren Überblick über das Gewerbe.

 ?? FOTO: OLIVER DIETZE ?? Michael Balzert arbeitet in der Abteilung Prostituie­rtenschutz des Gesundheit­samtes des Regionalve­rbands Saarbrücke­n. Bei ihm melden sich Frauen an, die legal im Saarland als Sexarbeite­rinnen arbeiten wollen.
FOTO: OLIVER DIETZE Michael Balzert arbeitet in der Abteilung Prostituie­rtenschutz des Gesundheit­samtes des Regionalve­rbands Saarbrücke­n. Bei ihm melden sich Frauen an, die legal im Saarland als Sexarbeite­rinnen arbeiten wollen.

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