Wo Zugschienen aus grünem Stahl entstehen
Wer schon mal in Frankreich Zug gefahren ist, war ohne es zu wissen höchstwahrscheinlich auf Schienen „made in Lothringen“unterwegs. Zu Besuch im Schienenwerk von Hayange, das von einer Saarländerin geführt wird und Kunden weltweit beliefert.
durch Frankreich rast der Schnellzug TGV, seine Normalgeschwindigkeit: um die 300 km/h. Auf vielen der Schienen, über die er flitzt, steht „HY“. Diese Initialen sind, zusammen mit der Chargennummer, das Kennzeichen einer Schiene. Dadurch kann immer nachverfolgt werden, woher sie kommen, egal in welchem Gleis sie mal landen. „HY“steht für Hayange, in Lothringen. Dort befindet sich das Schienenwerk Saarstahl Rail.
Es ist die einzige Anlage Europas, wo Schienen aus „grünem Stahl“gewalzt werden. Dieser wird im Werk Ascoval in Nordfrankreich, das ebenfalls zu Saarstahl gehört, in einem Elektro-Ofen produziert. In Hayange angekommen, werden die Blooms (Stahlknüppel) draußen gelagert, bevor sie zu Schienen verarbeitet werden. Durchschnittlich wiegt ein Bloom rund 6,5 Tonnen. „Im Durchschnitt bekommen wir 7000 Tonnen Blooms aus Ascoval pro Woche geliefert“, erklärt Nadine Artelt, CEO von Saarstahl Ascoval und Saarstahl Rail. Als erstes kommen die Blooms in den Ofen. Sie werden mit einem Kran auf ein Förderband gehievt. Von dort geht es Richtung
Ofen. In Hayange wird mit zwei Öfen gleichzeitig gearbeitet. Vier bis fünf Stunden verbringen die Blooms dort, bis sie für die Walzung bereit sind. Das ist der längste Prozess der Verarbeitung. „Der Ofen ist in unterschiedliche Zonen gegliedert. Die Mitarbeiter in der Steuerungskabine haben alles im Blick, wann welcher Bloom wohin geschoben wird und gewährleisten so ein homogenes Ergebnis“, sagt Artelt. Wenn er aus dem Ofen kommt, hat der Bloom eine Temperatur zwischen 1100 und 1200 Grad erreicht und ist für die Walzung bereit.
Jeder Bloom geht durch verschiedene Walzgerüste. Manche durchläuft ein Bloom nur einmal, wenn
es sich um sogenannte „Universalgerüste“handelt, die den Bloom in zwei Richtungen drücken können. Bei anderen Gerüsten sind zwei Gänge nötig, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen. In Hayange gibt es die Möglichkeit, um die 100 verschiedenen Profile zu walzen und das in verschiedenen Güteklassen. Welche Teile wie verarbeitet werden, wird von den Mitarbeitern in den Kabinen eingestellt und gesteuert.
Obwohl die Blooms insgesamt sechs Walzgerüste durchlaufen, geht der Vorgang sehr schnell. Gerade mal acht Minuten. Als letztes wird die „Identität“der Schiene geprägt, damit für jeden nachvollziehbar ist, wann diese wo hergestellt wurde.
Ist das Walzverfahren abgeschlossen, wird die Schiene gründlich geprüft. Es finden mehrere Checks statt, zunächst durch eine 3-DMaschine, die die Dimensionen der Schiene überprüft. Die Abweichungstoleranz ist 0,3 Millimeter auf ein Meter. „Nur durch diese strengen Normen kann gewährleistet werden, dass ein Schnellzug ohne leichte Rucke unterwegs ist. Bei der Geschwindigkeit, die zum Beispiel der TGV fährt, ist das sehr wichtig“, betont Werkleiterin Nadine Artelt. Die französische Bahn SNCF ist der größte Kunde von Saarstahl Rail. Sie nimmt rund die Hälfte der Schienen, die in Hayange produziert werden, ab. Doch immer mehr Kunden wünschen sich Produkte aus „grünem Stahl“. „Im Schienenbereich spüren wir diesen Trend sehr stark“, sagt Artelt. Im Gesamtproduktionsverfahren der Schienen, die von Hayange aus zu den Kunden weltweit gehen, werden 70 Prozent weniger CO2 ausgestoßen als bei konventionellen Schienen.
Sind Länge und Breite geprüft, wird die Geradheit der Schienen untersucht. Als letztes kommen diese in eine Kabine, in der 3-D-Sensoren das Profil der Schiene rekonstruieren. Außerdem werden Ultraschalle und Magnetfelder eingesetzt, damit Fehler wie millimetergroße Risse in der Innenstruktur der Schiene festgestellt werden können. Ist ein Fehler entdeckt, wird die Stelle von der Maschine mit einem Farbtupfer markiert, sodass die Mitarbeiter im Anschluss wissen, wo sie überprüfen müssen.
Für rund 20 Prozent der Schienen ist die Fertigung zu diesem Zeitpunkt noch nicht beendet. Sie werden noch in einem Induktionsofen wärmebehandelt. Diese Schienen werden überwiegend nach Südafrika oder in die Ukraine geliefert, wo noch viele Schwertransporte zum Beispiel im Bereich der Minen über die Schienen laufen.
Die weiteren Schienen müssen nun rund vier Stunden abkühlen, denn deren Temperatur beträgt nach dem ganzen Verfahren immer noch um die 880 Grad. Die Teile, bei denen ein Fehler festgestellt wurde, nehmen den Weg in die ReparaturWerkstatt. Die Schienen, die alle Prüfungen bestanden haben, werden noch einmal von Mitarbeitern unter die Lupe genommen und im Lager für den jeweiligen Kunden etikettiert und weltweit verschickt. In diesem Jahr will Saarstahl Rail rund 320 000 Tonnen in Hayange produzieren.