Eine Theater-Wundertüte macht die Welt bunt
Was ist normal? Und wer entscheidet das eigentlich? Und ist die Welt nicht viel schöner, wenn es mehr als Schwarz und Weiß gibt? Die letzte Frage beantwortet das neue Stück des Kinderund Jugendtheaters Überzwerg mit einem fröhlichen Ja. „ Der fabelhafte D
Als alles anfängt mit diesem „fabelhaften Die“, steht da erstmal nur ein einsames Mikrofon im schwarzen Raum. Bis im Hintergrund ein Gewusel beginnt und drei übereinander stolpernde Damenherren in Lila und mit dicken, schwarzen Jahrmarkt-Schnurrbärten herbeieilen und mit großem Getöse „Köttelspeiers Rülpskompott“anpreisen: „Kaum gerochen, schon erbrochen“. Jedes Varieté braucht halt Sponsoren. Und auch „Matschis süßen KribbelSchleim“würde man ja vielleicht durchaus mal versuchen, würde der im Überzwerg-Foyer angeboten.
Damit ist das Tempo gesetzt, die Klangfarbe klar. Hier wird es laut, schrill und wunderbar, fantastisch und ein bisschen seltsam. Dieses Stück ist wie eine dieser spitzen Papiertüten voll verschiedenfarbiger Zuckerbonbons, wie man sie manchmal auf Jahrmärkten und bei Taufen bekommt. Man lässt sich die bunten Dinger auf der Zunge zergehen, freut sich über den süßen Geschmack – und beißt im Inneren auf eine harte Nuss.
Sergej Gößners „Der fabelhafte Die“, das am Sonntag im Theater Überzwerg eine bejubelte Premiere feierte, ist ein Wunderhorn, aus dem
der Autor lauter rührende, komische, manchmal verwirrende Geschichten schüttet. Lustig und friedlich – bis auf die Ente Klaus, die hin und wieder ausrastet, aber dazu später.
Der Ludwigshafener Autor hat das gesellschaftliche Erhitzungs-Thema Geschlechteridentität, die Frage nach Norm und Normalität, für Kinder ab neun Jahren bearbeitet. Aber wie er das gemacht hat. Einfach herrlich. Sein Anders ist das Normalste der Welt. Und sein Stück ein absurder Jahrmarkt des Lebens, weise – und sagenhaft witzig. Dabei ist dieser, als Auftragsarbeit fürs Theater Konstanz entstandene Text, auch ein Genuss
für Erwachsene. Denn Gößner lässt tatsächlich durchgehend in Reimen sprechen. Seine punktgenau gesetzten Satzenden fliegen dabei schneller als die Keulen eines Zirkus-Jongleurs.
Regisseurin Stefanie Rolser und ihr wunderbares Ensemble aus VollblutKomödianten und -innen stellen sich da nicht in den Weg. Rolser vertraut ganz dem Text und ihren tollen Leuten. Damit fährt sie goldrichtig. Gemeinsam lassen sie das Stück leuchten. Die Bühne von Dorota Wünsch (auch Kostüme) kommt dabei ohne großes Zirkus-Brimborium aus, steckt aber voller Überraschungen. Da werden auch ein paar bunte Würfel mal flugs zum Regenbogen, gleich darauf zeigen sie ihre graue Seite und wie öd das Leben wäre, gäbe es wirklich nur zwei „normale“erlaubte Formen. Genau darum geht es ja hier.
Nach den lustigen Werbespots zum Auftakt, richten sich dann auch erstmal aller Augen auf einen großen, silbrigen Kasten, der im Bühnenhintergrund steht und zu wackeln und zu zwackeln beginnt. Schließlich öffnet er sich, wird zum Spielfeld, zur Manege. Mit lila Show-Teppich. Auftritt „Der fabelhafte Die“. Der Die sieht aus wie aus einem besonders herrlichen Bilderbuch entsprungen. Lila Locken, lila Zylinder und ein königlich gerüschter Mantel. Ein überaus dekoratives Kostüm. Und vor allem eines, das sich schnell wechseln lässt. Anna Bernstein, Reinhold Rolser und Gerrit Bernstein dürfen nämlich alle mal „Der fabelhafte Die“sein. Und noch jede Menge andere Rollen spielen. Denn eigentlich werden hier ja viele Geschichten erzählt. Zum Beispiel die Geschichte von der Ente namens Klaus, die eigentlich ein Schwan ist. Aber was heißt das schon? „Nur weil ich für dich irgendwas von außen bin, bin ich das noch lange nicht hier drin“. Man sieht: Klaus kann ganz schön „Ente süß, aber sauer“werden, wenn das jemand nicht kapieren will.
Auch vom stärksten Mann der Welt wird erzählt, der eine heimliche Sehnsucht nach blonden Perücken und Gospelchor hat und davon träumt, zur Fashion Week zu fahren. Zwischendurch streiten zwei Babys in Rosa und Hellblau über ihre farblich zementierten Geschlechter-Identitäten (Mädchen mögen „Pferde, Glitzer, Lillifee“... ). Und immer wieder tauchen die zwei grauen Herrschaften vom „Verein für Maß und Norm, für Tradition in Farb und Form“auf und wollen ihre Regeln durchsetzen.
Das ist alles unterhaltsam, man fällt von einem Lachen ins andere. Die Botschaft ist natürlich klar: Niemand hat das Recht, Klaus zu verbieten, sich als Ente zu fühlen, egal wie sehr er nach Schwan aussieht. Und der stärkste Mann der Welt ist nicht weniger stark, wenn er mit blonder Perücke zur Fashion Week fährt. Deshalb ist es auch nur folgerichtig, dass Klaus und der stärkste Mann am Ende eine Show mit Gospelchor und blonden Perücken planen. Dass dabei auch Spinnen mitsingen ist nur eine von sehr vielen Verrücktheiten, die „Die fabelhafte Die“so fabelhaft machen.