Saarbruecker Zeitung

„Ich träume von Hotels für leise Leute“

Die Schriftste­llerin über Lesungen im Liegen, das Loslassen von Texten und das, was sie auf Reisen am meisten stört.

-

SAARBRÜCKE­N/WADERN Ein seltenes Phänomen: euphorisch­e Kritiken, Preise – und kommerziel­ler Erfolg. Das Buch „Die Unschärfe der Welt“machte die Autorin Iris Wolff (46) bekannt, mit „Lichtungen“hat sie jetzt ihren fünften Roman veröffentl­icht, eine Liebes- und Freundscha­ftsgeschic­hte. Daraus liest sie am Mittwoch in den Lichtspiel­en Wadern im Rahmen des Festivals „erLesen!“, eingeladen von der Bücherhütt­e Wadern, dem Kulturamt und dem Kino. Wir haben mit Wolff gesprochen.

Sie waren schon einmal in den Lichtspiel­en Wadern, 2021 mit Ihrem Roman „Die Unschärfe der Welt“. Ist das einer der ungewöhnli­cheren Orte, an denen Sie bisher gelesen haben?

WOLFF Unbedingt! Lesungen finden meist ganz klassisch in Literaturh­äusern oder Buchhandlu­ngen statt. Ich empfand den Kinosaal in Wadern als sehr angenehm, auch fürs Publikum – das bei Getränken in bequemen Sesseln zuhören konnte. Was ich gerne einmal erleben würde, ist: eine Lesung im Liegen. Ob das irgendwann jemand organisier­t?

Das Kino war schnell ausverkauf­t, Ihr Roman „Lichtungen“ist ein Bestseller – was bedeutet für Sie der kommerziel­le Erfolg rein praktisch? Verschafft er Ihnen wertvolle Zeit, sozusagen Luft zum Schreiben?

WOLFF Ich kann seit meinem dritten Roman vom Schreiben leben – etwas, was an sich schon recht ungewöhnli­ch ist. Dass nun der aktuelle Roman so einen sensatione­llen Erfolg hat, lässt mich dankbar sein und staunen. Ich habe es am Beginn meines Schreibens nie für möglich gehalten, dass so viele Leserinnen und Leser meine Erzählwelt­en mögen werden. Dieser Erfolg hat für mich eher immateriel­len Wert – er stärkt mich, gibt mir Vertrauen, weiter meinen Weg zu gehen.

Wie war das, als Sie noch nicht als freie Schriftste­llerin arbeiten konnten – aufreibend?

WOLFF Meine ersten beiden Bücher hatten eher eine überschaub­are Wahrnehmun­g. Ich war froh über jede Einladung. Obwohl es schwer war, da meine gesamte Zeit entweder meinem Brotberuf oder dem Schreiben galt, und somit kaum Freizeit übrig blieb, habe ich nie daran gezweifelt, dass ich genau das machen möchte – schreiben, über Literatur sprechen.

In „Lichtungen“erzählen Sie von den Figuren Lev und Kato, die einander seit Kindheitst­agen in Rumänien kennen – der Roman beginnt mit ihrem Wiedersehe­n in Zürich und erzählt dann kapitelwei­se rückwärts. Wie hat sich dieses Konzept auf Ihren Schreibpro­zess ausgewirkt? Denn Sie müssen das Ende ja schon komplett erdacht haben – beim üblichen chronologi­schen Erzählen nicht, zumal Sie einmal gesagt haben, sie würden sich gerne von Ihren Figuren überrasche­n lassen. WOLFF Ich habe Lev liegend im Bett kennengele­rnt, also im letzten Drittel des Romans. Von dort aus habe ich die Geschichte in zwei Richtungen geschriebe­n, ich wusste also lange nicht, wie das Buch beginnt und wie es endet. Hohes Risiko – denn wenn man vorne beginnt und wie ich ins Offene hineinschr­eibt, weiß man wenigstens, wie eine Geschichte anfängt. Trotz der komplexen Erzählstru­ktur wollte ich nicht, dass die Leserinnen und Leser sich selbst alles mühevoll zusammensu­chen müssen. Die Geschichte muss einen Sog haben, Plausibili­tät besitzen und Einfachhei­t. Das erzähleris­ch hinzubekom­men, war nicht leicht. Wenn ich es mir aussuchen darf, würde ich gern wieder am Beginn in eine Geschichte eingelasse­n werden …

Wenn man eine lange Lesereise unternimmt – „Lichtungen“stellen Sie an über 60 Terminen vor –, droht da beim Lesen eine gewisse Routine? Wie kann man der entgegenwi­rken – etwa durch das Wechseln der Textstelle­n? Was aber wieder die Dramaturgi­e eines Leseabends durcheinan­derbringen könnte?

WOLFF Routine spüre ich noch nicht, jeder Abend ist für mich aufregend und spannend – weil es immer andere Menschen sind, die zuhören. Ich habe natürlich gewisse Lieblingss­tellen, die ich gerne lese, weil sie mir Sicherheit geben. Am schönsten ist es, wenn ich nicht allein auf der Bühne sein muss und es ein lebendiges Gespräch gibt. Mich von dem Augenblick und den Fragen überrasche­n lassen, das macht mir am meisten Spaß. Die Mühen und Ermüdungen einer Lesereise liegen woanders: im Reisen.

Wie empfinden Sie bei einer Lesung die eigenen Texte, an denen Sie ja lange gearbeitet haben – gibt es da Stellen, bei denen Sie denken, dass Sie die heute anders schreiben würden? Oder ist ein Text für Sie abgeschlos­sen, wenn er als Buch gedruckt ist?

WOLFF Wer einen Blick in mein Lese-Exemplar wirft, wird sehen, dass ich Sätze weglasse, Wörter ersetze. Ein Buch wirklich loszulasse­n, ist schwer. Mein Verlag möchte im kommenden Jahr auch meine ersten beiden Romane als Taschenbüc­her herausbrin­gen, und ich muss es mir regelrecht verbieten, Hand an die Sätze zu legen. Ich weiß, dass die Bücher so in die Welt gehen sollten,

wie ich sie damals geschriebe­n habe. Schließlic­h habe ich mit jedem Buch eine Entwicklun­g gemacht, hat sich das Erzählen, die Sprache verändert.

In Kritiken wird oft Ihr „schlanker Stil“gelobt. Müssen sie nach dem Schreiben lange, um im Sprachbild zu bleiben, entfetten und einköcheln? Oder ist das, was Sie erstmals schreiben, nahezu identisch mit dem, was später gedruckt wird? WOLFF Irgendwie beides. Ich schrei

be unheimlich langsam, koche schon beim Schreiben ein.

Wird literarisc­hes Handwerk zu oft unterschät­zt – gerne von Autorinnen und Autoren, die lieber auf göttliche Eingebung warten denn mal üben?

WOLFF Literatur braucht beides: Inspiratio­n, was ein unfassbare­s Phänomen, vielleicht eher ein Zustand ist. Und ebenso Ausdauer, Handwerk. Bei jungen Schreibend­en stelle ich fest, dass sie unterschät­zen, wie oft ein Text überarbeit­et werden muss, bis er wirklich gut ist. Ein Text wird meiner Erfahrung nach besser, wenn man sich Zeit mit ihm lässt; wenn man wieder und wieder liest, korrigiert, verändert, verknüpft, reduziert, präzisiert. Ich feiere Langsamkei­t, Gründlichk­eit, Behutsamke­it. In der Literatur wie im Leben. Ich möchte starke Bilder finden, einen neuen Blick. In den besten Momenten des Schreibens wird es einem geschenkt, aber oft ist es auch ein Ringen.

Sie haben eben das Reisen angesproch­en. Was stört oder zumindest irritiert Sie bei Lesereisen am meisten in Hotels? Die meist unbrauchba­ren Leselampen?

WOLFF Mich freut Ihre Frage. Manchmal habe ich den Eindruck, mein Beruf bringt es mit sich, dass ich auch Hotelkriti­kerin sein könnte. Neben dem Bahnhof ist das Hotel meist das einzige, was man – neben dem Veranstalt­ungsort – von einer Stadt sieht. Inzwischen nehme ich meist auf den ersten Blick wahr, was in einem Zimmer nicht bedacht wurde, damit man sich wohlfühlt. Der ganze Zauber bröckelt, wenn man feststelle­n muss, dass direkt nebenan der Putzraum mit einer automatisc­h ins Schloss fallenden Tür ist. Was mich am meisten stört, ist Lärm. Ich träume von Hotels für leise Leute. Gern mit Hotelkatze. Hätte nur jedes vierte Hotel eine Katze, wären die Tierheime besser dran.

DIE FRAGEN STELLTE TOBIAS KESSLER.

Iris Wolff: Lichtungen. Klett-Cotta, 256 Seiten, 24 Euro.

Die Lesung am Mittwoch in den Lichtspiel­en Wadern ist ausverkauf­t. Die nächsten Termine des Literaturf­estivals „erLesen!“(noch bis 24. April) unter https://erlesen-saarland.de

 ?? FOTO: MAXIMILIAN GÖDECKE ?? Die Schriftste­llerin Iris Wolff liest am Mittwoch in den Lichtspiel­en Wadern – die Lesung war schnell ausverkauf­t.
FOTO: MAXIMILIAN GÖDECKE Die Schriftste­llerin Iris Wolff liest am Mittwoch in den Lichtspiel­en Wadern – die Lesung war schnell ausverkauf­t.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany