Von Seekrankheiten und anderen Ängsten auf dem Theaterschiff
Ein illustres Saarbrücker Ensemble ist der Angst auf der Spur. Am Wochenende hatte die Theaterperformance „ Angstitüde“Premiere.
Eine laut geäußerte Überlegung lässt eine Besucherin erbleichen. Was, wenn das Schiff tatsächlich den Anker lichten würde? Das böte sich doch an bei einer „theatralen Installation“mit dem beruhigenden Namen „Angstitüde“, die einen spüren lassen will, wie es sich anfühlt, keinen festen Boden mehr unter den Füßen zu haben.
Schreckgeweitete Augen. „Hoffentlich nicht. Ich bin seekrank!“Na prima. Passt doch. Schließlich sind fünf Leute ausgezogen, uns auf dem Theaterschiff Maria-Helena das Fürchten zu lehren: die Autorin und Regisseurin Eveline Sebaa, die Musiker Charlotte Kaiser (Mandoline) und Manuel Krass (Klavier), der Projektions- und Medienkünstler François Schwamborn und die Tänzerin Luiza Braz-Batista.
Wann kippt ein angenehmer Grusel um in Beklemmung? Das wollen bei dieser Aufführung verschiedene Generationen am eigenen Leib erfahren: Die Premiere ist ausverkauft. Um uns visuell und akustisch zu verunsichern, operiert das Ensemble mit
Umbauten im Schiffsbauch, mit Tonkonserven, stationärer Live-Kamera, Beamer und szenischer Aktion – und es lässt uns bisweilen arg schmoren.
Schnell wird klar, dass der Verlauf dieser interdisziplinären Etüde außerdem von der Souveränität und Forschheit des Publikums abhängt – zumindest im ersten, interaktiven Teil, der einem sozialen Experiment gleicht. Beim Einlass kriegt jede(r) eine Postkarten-große Eintrittskarte, auf einigen davon stehen Anweisungen. Wir betreten einen kleinen Raum; in der Mitte steht eine stattliche Vase auf einem illuminierten Podest, in einer Ecke ein analoges Telefon. Aus versteckten Lautsprechern dringt Stimmengewirr. Die einzige Sitzgelegenheit ist blitzschnell gekapert.
Plötzlich vibriert der Boden, ein dumpfes Brummen ist zu vernehmen. Der Schiffsmotor? Verstohlene Blicke zur Decke – nein, die Laterne hängt ruhig, wir haben nicht abgelegt. Das Telefon klingelt. Eine Zuschauerin hebt ab, gemäß der Instruktion auf ihrer Karte. „Ja, ich habe eine Haftpflichtversicherung“, antwortet sie. Erneuter Anruf. Ob sie sich schä
me, früher nicht mutig genug gewesen zu sein? Und noch einer, diesmal eine Info: Das Schiff sei sehr alt. Baujahr 1911, präzisiert Schiff-Chef Frank Lion auf Nachfrage. Betretenes Schweigen.
Nun setzt ein nicht enden wollender, unangenehmer Ton ein, der stetig anzuschwellen scheint und von einigen als Sirene interpretiert wird.
Langsam werden die Anwesenden unruhig beziehungsweise neugierig: Eine ältere Dame lugt hinter einen Vorhang und entdeckt dahinter einen zweiten Raum; der Zugang ist von Kartons versperrt. Endlich traut sich einer, diese Wand zu durchbrechen. Die purzelnden Kartons entpuppen sich als Papphocker, auf denen wir nebenan vor einer Leinwand Platz nehmen.
Eine Zuschauerin muss sich auf einen roten Würfel ins Scheinwerferlicht setzen, eine unangenehm exponierte Position. Prompt wird sie angetanzt von Luiza Braz-Batista, die einen Putzanfall kriegt: Wie manisch schrubbt und wischt sie den Boden und kontrolliert die Hände der Zuschauer. Derweil wird ihr bei ihrem Ringen mit sich selbst von einem Stimmenkanon ständig „Angst!“suggeriert – das hätt's nicht gebraucht; dass sie eine Frau mit Phobie darstellt, teilt sich mit.
Als auf der Leinwand eine Spiegelversion ihrer selbst erscheint, versucht sie eine Annäherung; dabei findet sie aus synchronen Bewegungen zu zögerlicher Autonomie. Dann der endgültige Zusammenbruch, untermalt von Henry Purcells „Cold Genius“: Die Arie, Ausdruck emotionaler Ausnahmesituationen, erklingt hier rein vokal und wirkt umso eindringlicher.
In die jetzt einsetzende Stille wabern auf der Leinwand in unmerklicher Mikrobewegung dreidimensional wirkende Strukturen; untermalt von einem Geräusch – es klingt, als ob sich etwas durch die Wand hindurchfresse. Langsam nehmen Schlagzeugklänge Kontur an, parallel wächst auf dem Screen ein Flokati aus Fasern mit Eigendynamik. Braz-Battista interagiert auch damit; als das Telefon klingelt, nimmt sie nicht ab – entweder ist der Kontakt zur Außenwelt nun völlig gestört, oder sie verwahrt sich gegen Panik schürende Einflüsterungen, darüber lässt sich spekulieren.
Einigkeit herrscht jedoch darüber, dass die nun einsetzende, beruhigende Musik eine Phase des Stillstands orchestriert und diese als Zumutung empfunden wird – gefühlt zieht sie sich ewig. Als eine Frau entnervt fragt, ob vielleicht noch jemand eine Karte mit Anweisungen hat, ertönt das erlösende Telefonklingeln: Ende. Derweil ist die Vase im Vorraum geschrumpft – ein witziges Bild für selektive Wahrnehmung.
Weitere Vorstellungen von „Angstitüde“am 18., 19. und 20. April, jeweils 19.30 Uhr auf dem Theaterschiff Maria Helena, Liegeplatz am Saarufer bei der Alten Brücke. Karten zu 15/10 Euro über http://www. manuelkrass.de/angstitüde