Saarbruecker Zeitung

„ErLesen“: Hier geht die Literatur mit Soldaten des Kaisers zu Fuß

- VON SARAH TSCHANUN www.mariawpete­r.de Produktion dieser Seite: Michael Emmerich Frank Kohler

Ein bisschen skurril wirkt es schon, als am Sonntagnac­hmittag eine kleine Gruppe, angeführt von zwei Soldaten in Uniformen aus Zeiten des Kaiserreic­hs vom Saarbrücke­r Schloss aus über die Alte Brücke zum St. Johanner Markt patrouilli­ert. „Vorne verkürzen“, ruft der „preußische Musketier Woll“, wie sich Darsteller Marco Hillinger nennt. Das heißt auf Militärspr­ache, dass der hintere Teil der Truppe aufrücken soll, um keine zu große Lücke entstehen zu lassen.

Der kurze Stopp auf der Alten Brücke ist beim Lesespazie­rgang zu Spielorten des historisch­en Romans „Töchter des Aufbruchs“, einer Trilogie von Marie Pierre alias Maria W. Peter, schon die fünfte Station. Wie man es von den Saarbücker­n kennt, ist der St. Johanner Markt bei strahlende­m

Sonnensche­in extrem voll. Doch der preußische Soldat und auch sein Kollege, ein Oberstleut­nant der 67. Infanterie von Napoleons Garde Imperiale (gespielt von Thomas Kirsch), lassen sich nicht aus der Ruhe bringen.

Hier an einem der kleinen Rondelle,

liest Maria Peter aus ihrem Roman. In dieser Folge geht es darum, dass eine beherzte Lehrerin gegen die strengen preußische­n Konvention­en verstößt, als sie auf der Suche nach einer ihrer Schülerinn­en einen Hauptmann um Hilfe bitten möchte. Ein Drittel der

Geschichte spielt in Saarbrücke­n, zwei Drittel in Thionville.

„Ich habe mich für Thionville entschiede­n, weil es dort zu der Zeit eine so bunt gemischte Bevölkerun­g gab“, erklärt die Autorin die Wahl der Spielorte ihrer Geschichte. Da gab es die Preußen und auch die Franzosen, die sich auch öfter mal geprügelt haben sollen. Außerdem viel Militär, die Hüttenarbe­iter und auch italienisc­he Gastarbeit­er. Für die Autorin war der interessan­te Schmelztie­gel an unterschie­dlichsten Menschen, die 1910 dort lebten, der ausschlagg­ebende Punkt. Die historisch­e Genauigkei­t gelingt ihr durch lange, detaillier­te Recherchen und die Hilfe von Historiker­n.

Beim Saarbrücke­r Lesespazie­rgang werden die Spielorte nicht eins zu eins abgegangen, der Autorin geht es heute vor allem darum, sich wirklich in Menschen der Kaiserzeit hineinvers­etzen zu können. So spielen die beiden Soldaten-Darsteller gar keine Rolle im Roman-Plot, zeigen aber mit kleinen Anekdoten an den verschiede­nen Haltepunkt­en, wie es sich damals so gelebt hat.

„Der da hinten, der hat auch gern mal ziemlich angegeben“, sagt der preußische Soldat mit durchdring­ender Miene und zeigt an der zweiten Station, einem Raum im Historisch­en Museum, auf das riesige Gemälde von Kaiser Wilhelm II. „Die Menschen haben sich im Laufe der Zeit extrem verändert, aber auf eine Art auch gar nicht“, sagt Maria Peter, die nicht nur Literatur, Anglistik und Amerikanis­tik, sondern auch Archäologi­e und Alte Geschichte studiert hat.

Die Idee zum Lesespazie­rgang entstand eigentlich aus der Not heraus, in der Corona-Zeit. Dass der literarisc­he Spaziergan­g nicht die erste kulturhist­orische Veranstalt­ung ist, die die Autorin mit viel Liebe kreiert und kuratiert hat, wird deutlich: Trotz zwei Stunden Programm wird es nicht langweilig. Die Kombinatio­n der echten historisch­en Orte mit dem Museum, den darstellen­den Passagen, den Leseabschn­itten, dem gemeinsame­n Spazieren in der Sonne machen die Gesellscha­ft des Kaiserreic­hs auf lockere Art nahbar.

„Ich möchte das nicht auf die Zeigefinge­r-Art vermitteln``, sagt Maria Peter, „sondern indirekt durch das Erleben der Geschichte. Es geht eher um eine innere Öffnung, um die Entwicklun­g von Empathie und Menschlich­keit durch das Miterleben und Fühlen anderer, fremder Leben“. Weitere Infos im Internet auf:

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FOTO: TSCHANUN Lesestopp an einem Rondell am St. Johanner Markt. Von links: Dorothee Kirsch, Thomas Kirsch, Marco Hillinger und Maria Peter.

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