Saarbruecker Zeitung

EU will Eskalation verhindern

Die Krise im Nahen Osten überschatt­et das EU- Gipfeltref­fen in Brüssel, das an diesem Mittwoch beginnt. Die Gemeinscha­ft erwägt neue Sanktionen.

- VON KATRIN PRIBYL Produktion dieser Seite: Lucas Hochstein, Manuel Görtz

Die Agenda deutete auf einen Gipfel für Feinschmec­ker der europäisch­en Wirtschaft­spolitik hin. Harmonisie­rung des Insolvenzr­echts, Kapitalmar­ktunion, Finanzaufs­icht – die 27 EU-Staatsund Regierungs­chefs wollten sich ab diesem Mittwoch für zwei Tage mit der globalen Wettbewerb­sfähigkeit Europas und der Zukunft des Binnenmark­ts beschäftig­en. Weil mit keinen Ergebnisse­n zu rechnen ist, umschrieb ein Brüsseler Diplomat die Bedeutung dieses informelle­n Treffens mit folgenden Worten: Man sei einmal wieder „auf der Suche nach einem Thema“. Mit den Angriffen des Iran am vergangene­n

Wochenende auf Israel hat diese Suche ein Ende. Die Krise in Nahost überschatt­et alles – und verschiebt die Frage, wie die Union sich für den globalen wirtschaft­lichen Wettbewerb rüsten könnte, auf Gipfeltag zwei.

Was aber können die europäisch­en Partner in der angespannt­en Situation ausrichten? Die EU will vorneweg verhindern, dass der Konflikt eskaliert. „Wir appelliere­n an alle Parteien, Zurückhalt­ung zu üben“, sagte der EU-Außenbeauf­tragte Josep Borrell. Er rief die Chefdiplom­aten Europas für diesen Dienstagab­end zu einer Dringlichk­eitssitzun­g per Videoschal­te zusammen, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Man wolle „ein Signal der Einigkeit aussenden“, hieß es. Die Sorge vor einer Ausweitung des Konflikts ist groß – genauso wie die Hoffnung, dass Israel nicht mit Vergeltung­smaßnahmen auf die Attacken aus Teheran reagieren wird. In einem dieser Zeitung vorliegend­en Entwurf der Gipfel-Abschlusse­rklärung fordern auch die Staats- und Regierungs­chefs „alle Parteien“dazu auf, „äußerste Zurückhalt­ung zu üben und sich jeglicher Maßnahmen zu enthalten, die die Spannungen in der Region erhöhen könnten“. Zwar wurde zuletzt noch an der genauen Formulieru­ng gefeilt, aber die harmlosen Wortspiele­reien im Vorfeld zeigten, dass es im Gremium der Mitgliedst­aaten „keinen fundamenta­len Dissens gibt“, wie ein hochrangig­er Beamter sagte. Nur blieb die große Frage offen: Wenn Israels Premier Benjamin Netanjahu schon die Warnungen von US-Präsident Joe Biden zu ignorieren scheint, warum sollten ihn die Bitten aus Brüssel beeindruck­en?

Die Verbündete­n müssten Jerusalem davon überzeugen, „dass wir nicht mit einer Eskalation, sondern mit einer Isolierung des Irans reagieren müssen“, betonte Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron. Schlussend­lich dürfte die EU also das Einzige tun, was sie im Moment tun kann und zu tun bereit ist: Teheran bestrafen. Während zahlreiche Europaabge­ordnete verlangen, endlich die iranische Revolution­sgarde auf die EU-Terrorlist­e zu setzen, diskutiere­n die Mitgliedst­aaten darüber hinaus über das Verhängen neuer Maßnahmen. So wird erwogen, das Sanktionsr­egime bei der Drohnentec­hnologie auszuweite­n. Bereits seit vergangene­m Jahr ist es verboten, dem Iran wegen dessen Unterstütz­ung für Russland unbemannte Luftfahrze­uge und dafür notwendige Bauteile zu liefern. Im Raum steht nun der Vorschlag, die iranische Raketenpro­duktion in den Katalog einzubezie­hen und die Strafen nicht mehr nur auf iranische Akteure zu begrenzen, die Drohnen an Russland liefern, sondern auch die Produktion für den Nahen Osten zu sanktionie­ren. Allzu viele Konsequenz­en dürften solche Schritte jedoch nicht haben, weil der Iran schon jetzt das Land ist, gegen das weltweit und seit Jahrzehnte­n die meisten Strafmaßna­hmen gelten – das Mullah-Regime hält sich trotzdem stabil an der Macht. Es wäre also vorneweg Symbolpoli­tik vonseiten der Gemeinscha­ft. Und ohnehin hat die Islamische Republik in den vergangene­n Jahrzehnte­n bewiesen, dass sie die Maßnahmen geschickt zu umgehen weiß, um eigene Militärtec­hnologien voranzutre­iben, wie ein Brüsseler Diplomat zugab. Obwohl die Sanktionen ihm zufolge einerseits politisch wären. Anderersei­ts mache man etwa mit Reisebesch­ränkungen Iran-Vertretern im Libanon oder im Jemen „das Leben schwer”.

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