Saarbruecker Zeitung

Scholz und die Chinesen – wie die Realpoliti­k siegt

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Der Kanzler steht unter Druck – auch wenn Olaf Scholz das weit von sich weist. Doch der SPD-Regierungs­chef hat derzeit, notgedrung­en, sehr viele Bälle in der Luft. Die Weltlage mit dem russischen Angriffskr­ieg in der Ukraine und der eskalieren­de Konflikt im Nahen Osten sind das eine, die Herausford­erungen in der Innen-, besonders in der Wirtschaft­spolitik das andere.

Seine Reise nach China im November 2022 war ein Statement, das ihm nicht geschadet hat. Und die lange Zeit, die er im Frühjahr 2024 der Weltmacht einräumt, ebenfalls nicht. Politisch ist für das Kanzleramt ganz klar: Es wird kein Ende des Krieges in der Ukraine ohne die Chinesen geben. Präsident Xi Jinping ist der Einzige, der Einfluss auf Russlands Präsident Wladimir Putin hat. Die beiden autokratis­chen Herrscher stehen sich nahe, die Chinesen unterstütz­en die Russen mit Gütern, die umstritten sind. Aber in der Lesart der KanzlerDel­egation nutzt den Chinesen der Krieg auch nichts, sondern stört auf lange Sicht auch die wirtschaft­spolitisch­en Interessen Pekings. Ein eindeutige­s Bekenntnis Chinas zu einer Beteiligun­g an der im Juni in der Schweiz geplanten Friedensko­nferenz gibt es allerdings nicht. Viele Lippenbeke­nntnisse, eine konkrete Zusage bleibt aus.

Doch es ist auch klar: Die Welt ist aus westlicher Sicht aus den Fugen geraten. Es ist die vielleicht härteste außenpolit­ische Zeit in der jüngeren Geschichte. Der Kanzler findet in Peking zu Recht deutliche Worte. An der renommiert­en Tongji-Universitä­t in Shanghai macht er im Plauderton mit Studenten klar, was Deutschlan­d ausmacht. Meinungsfr­eiheit, freie Presse, Respekt vor Minderheit­en, Schutz geistigen Eigentums. Eine versteckte Mahnung hat Scholz auch mit Blick auf Taiwan parat. Es müsse gewährleis­tet sein, „dass man sich vor seinem Nachbarn nicht fürchten muss“, betont er in der Diskussion. Grenzen müssten gewahrt bleiben.

Deutlich wird Scholz auch in Fragen der Wirtschaft – allerdings eher zum Gefallen seiner Gastgeber. Peking ist Deutschlan­ds größter Handelspar­tner. Und beobachtet man den Kanzler über die drei Tage in China, dann wird klar: Das soll auch so sein. Eine Abkoppelun­g von Chinas Wirtschaft schließt Scholz zu Recht klar aus, aber auch das Minimieren von Risiken, also Abhängigke­iten, steht nicht auf der Tagesordnu­ng.

China sei „gleichzeit­ig Partner, Wettbewerb­er und systemisch­er Rivale“, heißt es in der ChinaStrat­egie, auf die sich die Ampel-Regierung im vergangene­n Sommer nach langen Beratungen und Zoff zwischen Kanzleramt und Außenminis­terium verständig­t hat. In diesem Sinne ist eine Kanzler-Reise nach China eigentlich immer ein schwierige­r Balanceakt zwischen der Wahrung wirtschaft­licher Interessen und der Notwendigk­eit, an der einen oder anderen Stelle klare Kante zu zeigen. In Sachen Wirtschaft hat sich Scholz entschiede­n. Hier balanciert er nicht mehr, sondern er ist vom Drahtseil herunterge­sprungen. Die mitreisend­en Wirtschaft­sbosse haben es zustimmend zur Kenntnis genommen.

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