Zeuge: Keine Ekel-Strafen durch Pflegeltern erlebt
Im Prozess um schwere Misshandlung und Missbrauch von Pflegekindern hat vor dem Saarbrücker Landgericht am Dienstag erstmals ein Ex-Pflegekind ausgesagt, das den Schilderungen seiner Geschwister von den mutmaßlichen Taten in weiten Teilen widerspricht. Da
Die Aussage des heute 25-Jährigen Jonas ( Name geändert) widerspricht in weiten Teilen dem, was seine vier Pflegegeschwister seit Mitte Februar vor dem Saarbrücker Landgericht berichten. Letztere treten im Prozess auch als Nebenkläger auf und werfen ihren ehemaligen Pflegeeltern, Sabine und Patrick D., tägliche Schläge, sklaverei-ähnliche Lebensumstände und ekelerregende Bestrafungen vor – wie Katzenkot in den Mund zu nehmen oder eigenes Erbrochenes zu essen.
Im Zeugenstand bestätigte nun das fünfte ehemalige Pflegekind Jonas keine dieser Aussagen seiner früheren Pflegegeschwister. Zusammenfassend beschreibt er das Zusammenleben mit der Familie D: „Es war nicht perfekt, aber auch nicht die Hölle“. „Kam es vor, dass sie als Strafe Katzenkot in den Mund nehmen mussten?“, fragt ihn beispielsweise der Richter Thomas Emanuel. „Nein!“, antwortet Jonas. Richter Emanuel: „Kam das bei ihren Geschwistern vor?“Jonas: „Nicht, dass ich wüsste.“
Während die anderen vier Pflegekinder zuvor ausgesagt hatten, sie hätten täglich viel Zeit damit verbringen müssen, das große Bauernhaus der Pflegeeltern in Mettlach-Tünsdorf nackt oder in Unterwäsche zu putzen, sagte Jonas im Zeugenstand: „Ja wir mussten am Mittag und am Abend putzen. In meinem Fall etwa 20 Minuten am Tag.“Dabei sei er immer angezogen gewesen.
Ex-Pflegekind Jonas sagt aus, dass er fast täglich geschlagen worden sei. Er nennt das „Nachdenk-Klapse auf den Hinterkopf“. Immer wenn die Pflegekinder „Scheiße gebaut“hätten, seien sie entweder von den Pflegeeltern „mit der flachen Hand auf den Hinterkopf geschlagen“worden oder die Pflegeeltern hätten eines der anderen Pflegekinder mit den Schlägen beauftragt. Manchmal hätten die Pflegegeschwister Jonas auch ohne Aufforderung durch die Pflegeeltern geschlagen. Die „Nachdenk-Klapse“hätten aber nicht weh getan, so der Zeuge.
Schwerer gewalttätig seien die Pflegeeltern ihm gegenüber nur in Ausnahmefällen geworden. Jonas erinnert sich an zwei Fälle. Einmal im Kindergarten- oder Grundschulalter habe Pflegemutter Sabine D. ihn mit einem Teil der Verblendung eines Wäschetrockners, aus Blech oder Plastik, den „Arsch versohlt“. Er habe einige Tage Schmerzen gehabt. Ein anderes Mal soll Pflege
vater Patrick D. (ein Karatesportler) ihm den Arm auf dem Rücken verdreht haben. Dies seien aber beides Einzelfälle gewesen. „Wurden denn ihre Geschwister schwer geschlagen?“, fragt der Richter. „Ich erinnere mich an nichts“, sagt Zeuge Jonas. „Haben Sie denn mal Verletzungen an den anderen Kindern gesehen?“, fragt die Staatsanwältin. „Nein, darauf habe ich nicht geachtet“, sagt Jonas. Auch von sexuellen Übergriffen des Pflegevaters auf das Pflegekind Marina (Name geändert) weiß Jonas nichts zu berichten.
Seine ehemaligen Pflegegeschwister hatten im Zeugenstand auch von schwerer Gewalt der
Pflegeeltern gegen Jonas berichtet. Pflegebruder Lars hatte ausgesagt, Sabine D. habe auf Jonas eingeprügelt, nachdem der sich eine Genick
starre zugezogen habe und den Kopf nicht mehr drehen konnte. Lars gab an, die Pflegemutter sei ausgerastet und habe geschlagen, weil sie (laut Lars) dachte, Jonas würde die Genickstarre nur simulieren. Jonas schilderte den Vorfall am Dienstag anders. Er habe sich die Genickstarre zugezogen, als er auf der Couch ein Comic-Heft las. Sabine D. habe ihn in diesem Zusammenhang nicht geschlagen.
Jonas kam als jüngstes Kind im Alter von drei Jahren in die Pflegefamilie D. und lebte fast 20 Jahre mit dieser zusammen. Seit etwa zwei Jahren habe er keinen Kontakt mehr zu seinen ehemaligen Pflegeeltern. Zuvor habe er mietfrei (nur die Nebenkosten habe er gezahlt) mit seiner Freundin, in einem der Häuser der Pflegeeltern gewohnt. Im Zeugenstand antwortet er ruhig auf die Fragen der Richter und Anwälte. Auch wenn er in Bezug auf seine Aussage vor Gericht sagt: „Ich habe hierauf keine Lust!“. Er antwortet meist sehr knapp, mit „Ja“, „Nein“, und sehr häufig „Ich erinnere mich nicht“oder „Keine Ahnung“.
Wird er gebeten, aus seinem Alltag mit der Familie D. frei zu berichten, bleibt er wortkarg und antwortet mit einem oder zwei kurzen Sätzen. Nach dem Charakter seiner Pflegeeltern gefragt, beschreibt er diese mit wenigen Worten: „Sie sind streng, aber nett“.
Nach der Aussage des Zeugen gibt die Verteidigung der angeklagten Pflegeeltern eine Erklärung ab. „Heute sind eklatante Widersprüche deutlich geworden“, sagt Rechtsanwalt Jens Schmidt. Erneut wirft er den mutmaßlichen Misshandlungsopfern „massive Falschaussagen“vor und droht wie schon zuvor mit Strafanzeigen gegen diese. Sein Verteidiger-Kollege Christian Schmitt sieht das auch so und beschreibt den Zeugen Jonas als „neutral“. Es gebe keinerlei „Zuwendungen“von Seiten der Pflegeeltern an den Zeugen.
Anders sehen das die Anwältinnen der vier Nebenkläger. Sie sehen keinen Anlass davon auszugehen, dass die vier Pflegegeschwister falsch aussagten. Es gebe daher auch keinen Grund, ihre Mandanten ständig mit Klagen zu bedrohen, betont Rechtsanwältin Ursula Trappe.
Das Ex-Pflegekind sagt vor Gericht aus, dass es fast täglich von den Pflegeeltern geschlagen worden sei.