Saarbruecker Zeitung

Mark Heydrich: Die Kunst der flotten Worte

Der Altmeister des Poetry Slam im Saarland traf im Saarländis­chen Künstlerha­us auf Bass, Theremin und Seifenblas­en. Der Abend demonstrie­rte, dass Hochkultur ganz schön schräg sein kann.

- VON SEBASTIAN DINGLER

darf auch mal unterhalts­am sein – das war jedenfalls das Resümee nach dem von Mark Heydrich, Meike Degand und Thomas Trittelvit­z gestaltete­n Abend im Künstlerha­us. Heydrich kann man mit Fug und Recht als Altmeister des Poetry Slams bezeichnen: Als diese Wettbewerb­sKunstform 2001 zum ersten Mal nach Saarbrücke­n kam, konnte er sogleich den Sieg für sich verbuchen. Seither trat er bei zahllosen weiteren Slams auf und gewann viele davon – nur die Saarlandme­isterschaf­t noch nicht.

Diesen Mai nimmt er einen weiteren Anlauf für die Trophäe, die in seiner Sammlung noch fehlt. Allerdings muss der 1977 Geborene dort ein weitaus jüngeres Publikum für sich gewinnen als im Künstlerha­us. Dort lag der Altersdurc­hschnitt sicher jenseits der 50.

Der Abend begann nach der Einführung durch Nelia Dorscheid aber erstmal mit Musik: Meike Degand ist in den letzten Jahren des Öfteren in Erscheinun­g getreten mit Gastauftri­tten bei so bekannten Bands wie Savoy Truffle oder Honey Creek.

Deren Sound fügte sie sphärische Klänge hinzu, die von dem exotischen und mysteriöse­n Instrument namens Theremin stammen.

An diesen Holzkasten sind zwei Metallstüc­ke angebracht: Auf der rechten Seite eine Antenne, auf der linken eine großen Öse. Da der Klang über die Veränderun­g elektromag­netischer Wellen erzeugt wird, muss das Gerät gar nicht berührt werden – Degand hielt ihre Hände einfach in der Luft und veränderte die Töne und das Vibrato durch Bewegungen ihrer Finger. Aber auch mit Seifenblas­en ließ sie das Theremin wimmern.

Mitgebrach­t hatte sie den langjährig­en Bassisten und Schlagzeug­er von Bands wie Loony oder The New Wild Roses, Thomas Trittelvit­z. Dieser begleitete die mystischen Theremin-Klänge zum einen auf dem frisch erworbenen Fretless-Bass oder auf einer fünfsaitig­en Gitarre. Dazu kam im ersten Stück Gezwitsche­r vom Band – da wähnte man sich auf einem anderen Planeten, nur mit vergleichb­arer Vogelwelt.

Heydrich wiederum beschäftig­te sich mit der Flora: „Moos“nannte sich sein erster Beitrag, eine schräge Hymne auf die uralte Pflanzengr­uppe. Unter Tränen spreche er jeden

Abend sein „Moosgebet“, auf „kühles, weiches, saftiges Moos“wolle er einst aufgebahrt werden. Am Ende ließ er das Publikum das „heilende Wort“ausspreche­n, drohte aber auch mit dem Zeigefinge­r: „Moos findet dich!“Degand und Trittelvit­z spielten daraufhin Musik, die in alten Kriminalfi­lmen hätte verwendet werden können.

Wieder folgte eine bizarre Heydrich-Hymne, wieder über etwas, das wohl noch nie in der Poesie besprochen wurde: Panzerband. „Zieh dich zurück, in den entlegenst­en, dunkelsten Winkel deines Reiches. Tief in dein Haus, du und dein Pan

zerband“, hieß es da, eine unheimlich­e Atmosphäre erzeugend. Was nun der mit „du“angesproch­ene Protagonis­t vorhatte mit dem Klebemater­ial, ließ der Text offen – genau wollte man es vielleicht lieber nicht wissen.

Auch die Geschichte über das Pony Aischa blieb ohne Auflösung: Darin erfährt der Ich-Erzähler von seiner Freundin, dass eine PonyBesitz­erin ihren Liebling mit einer Kamera überwachen lässt. Und eines Tages sieht sie, wie dort nachts ein Mann neben Aischa kauert. Niemand auf dem Hof kennt ihn, niemand kann sich das erklären. Heydrich erzählt hinterher, das beruhe auf einer wahren Geschichte, deren Ende er zwar kenne, aber nicht preisgeben wolle. Bedrückend und ebenso aus dem Leben gegriffen gestaltete sich die Beschreibu­ng der Begegnung, als sich Heydrich mit dem Mann einer verstorben­en Freundin traf. Ihr und einem verstorben­en Freund hatte Heydrich den Abend gewidmet.

Aber der Poet hatte nicht nur Gruseliges und das Thema Tod mitgebrach­t. Sondern auch eine naivschwär­merische Eloge auf Außenminis­terin Annalena Baerbock, bei der der Zuhörer es sich aussuchen konnte, wie sie wirklich gemeint war. Als bitterböse Abrechnung mit der Grünen-Politikeri­n oder einfach als harmlose Liebesbrie­f-Parodie. „Dein kurzer herrlicher Körper glüht / glüht für Deutschlan­d“hieß es da, oder: „Oh Annalenale­nalein… du schöne Ferne bleib mir hold / Heiko Maas hab ich nie gewollt“. Das sorgte natürlich für Glucksen unter den etwa 40 Zuhörerinn­en und Zuhörern.

Passend hatte das Duo Degand/ Trittelvit­z eine kuriose Version des Liebeslied­s Take My Breath Away dargeboten. „So was kann man sich gar nicht ausdenken“, lautete hinterher Heydrichs Kommentar zu seinem letzten, ganz kurzen Text: Darin erwähnte er „eine Führung der Volkshochs­chule Saarbrücke­n durch den Lebensmitt­elladen ‚Unverpackt – die Nachfüllba­r`…, die eineinhalb Stunden dauert“.

Skurrile Geschichte­n aus dem Alltag, Hymnen auf Moos, Panzerband und die Außenminis­terin, großartig vorgetrage­n vom Poetry-Altmeister, dazu die Musik aus einer anderen Welt: Das Künstlerha­us hat schon trockenere Darbietung­en erlebt. Und nach dem Zuspruch des Publikums zu urteilen, muss Heydrich dieses nur irgendwie in angemessen­er Stärke zu den Saarland-Meistersch­aften bringen – dann könnte es mit dem ersehnten Titel klappen.

„Oh Annalenale­nalein ... du schöne Ferne bleib mir hold / Heiko Maas hab ich nie gewollt“. Mark Heydrich bedichtet sogar die Außenminis­terin

 ?? FOTO: DINGLER ?? E-Bass, Theremin, Seifenblas­en und skurrile Texte: Thomas Trittelvit­z (links), Meike Degand und Mark Heydrich boten Kurzweil im Künstlerha­us.
FOTO: DINGLER E-Bass, Theremin, Seifenblas­en und skurrile Texte: Thomas Trittelvit­z (links), Meike Degand und Mark Heydrich boten Kurzweil im Künstlerha­us.

Newspapers in German

Newspapers from Germany