Saarbruecker Zeitung

Ohne Jugendzent­ren tote Hose auf dem Land

Schlechte ÖPNV-Anbindung, wenig Freizeitan­gebote und auf dem Dorf teilweise nicht mal ein Ort, wo man auch anders als nur unter freiem Himmel zusammenko­mmen kann – einige Probleme, die beim Saartalk zur Sprache kamen. Thema war, was junge Leute auf dem La

- VON CHRISTOPH SCHREINER

Ein Rad oder einen Bus zu zeichnen, ist manchmal gar nicht so leicht. Weshalb die beiden Saartalk-Gastgeber, SR-Chefredakt­eurin Armgard Müller-Adams und SZ-Chefredakt­eur Peter Stefan Herbst, sich kurz gedulden mussten, bis die Antworten ihrer vier Gäste auf die beiden Einstiegsf­ragen, welches ihr Lieblingsv­erkehrsmit­tel und welches ihr am häufigsten genutztes sei, dann auch visualisie­rt waren. Klares Bild: Am liebsten nehmen sie das Rad, im Alltag aber dann doch eher das Auto. Wobei: Junglandwi­rtin Christina Rullof steigt meist auf den Traktor. Auf ihrem Habichtsho­f in Merchweile­r sind gleich sechs im Einsatz.

„Was junge Menschen in saarländis­chen Dörfern bewegt“, lautete diesmal das Thema beim Saartalk. Dass das unter anderem der unzureiche­nde ÖPNV ist, wurde schnell klar. „Abends oder frühmorgen­s“sei die Taktung schlecht, meinte Julius Thieme, der gerade ein freiwillig­es ökologisch­es Jahr im Landkreis Saarlouis absolviert. Am Wochenende fahre der Bus auf dem Land „fast gar nicht“, stimmte der stellvertr­etende Sprecher der Jugendfeue­rwehren im Saarland, Till Leßmeister, zu. Weshalb Patricia Simon von „juz united“, dem Verband der 130 saarländis­chen Jugendzent­ren in Selbstverw­altung, denn auch meinte, dass so etwas wie Taxen oder Busse auf Bestellung – genauso wie Fahrgemein­schaften – „immer noch wünschensw­ert“wären.

Ob der ÖPNV auf dem Land auch deshalb so wichtig sei, um den mangelnden Freizeitan­geboten in die Stadt zu entfliehen, wollte Müller-Adams wissen. Klar, antwortete Simon. Es sei „super schade“für die Jugendlich­en, dass sie bei einer schlechten ÖPNV-Anbindung „dann vor Ort sitzen bleiben“. Rullof warf ein, dass es in der Eifel noch viel schlechter sei als im Saarland: „Da sieht man dann doch, dass es zwei Versionen von Landleben gibt.“Verglichen mit der Eifel sei man hierzuland­e, was Züge und Busse angeht, „noch sehr verwöhnt“. Positiv wirkt sich da wohl auch das Junge-Leute-Ticket (30,40 Euro pro Monat) aus. Leßmeister jedenfalls nutzt mit seinen Freunden den Nahverkehr seither noch stärker als früher.

Christina Rullof, die auf dem von ihr mitgeleite­ten Habichtsho­f, dessen Tiere ganzjährig auf der Weide bleiben, Naturschut­z und Landwirtsc­haft vereint, machte deutlich, dass auf dem Land klassische Rollenvors­tellungen noch verbreitet­er seien. Eine Frau, die einen Hof führt? „Wieso machst du das?“, sei sie dort häufig gefragt worden. Ob Rullof denn mit dem Ergebnis der Bauernprot­este, an denen sie sich selbst auch beteiligt hatte, zufrieden sei, fragte SZ-Chefredakt­eur Herbst. Es sei eher ein Teilerfolg, meinte die Landwirtin. Allerdings seien viele Menschen so

Unter anderem der unzureiche­nde ÖPNV ist für junge Leute auf dem Land ein großes Problem. Das wurde im Saartalk schnell klar.

wieder stärker für das Thema Landwirtsc­haft sensibilis­iert worden.

Welche Zufluchtso­rte gibt es in nicht-urbanen Gegenden für junge Leute, wenn sie nicht nur zu Hause auf der Couch sitzen oder auf dem Handy herumdadde­ln wollen? Jugendzent­ren vor allem. Sie sind in ländlichen Gebieten essenziell – ohne sie ist dort meist nur noch tote Hose. Patricia Simon, die unter anderem im JUZ Neunkirche­n arbeitet, machte deutlich, dass viele Jugendlich­e gegenwärti­g

mit persönlich­en Krisen zu kämpfen hätten. Ihnen zuzuhören und sie ernst zu nehmen, sei „unglaublic­h wichtig“. Und sie mit ins Boot zu holen „das Beste, was man als Gemeinde machen“könne.

Dazu müsste in manchen Orten, die weder ein JUZ noch einen Jugendraum haben, aber erst einmal ein Aufenthalt­sort geschaffen werden. Überdachte Bänke oder ein Kellerraum in einer Schule, so Simon, könnten da schon mal helfen. Dass es für viele Jugendlich­e

dabei immer auch um die Suche nach Gemeinscha­ft geht, bestätigte Feuerwehrm­ann Till Leßmeister, für den seine Wehr quasi das ist, was für andere das JUZ ist.

Was die Mediennutz­ung ihrer Gäste angeht, hieß die Antwort wenig überrasche­nd: Instagram, teils Tiktok, teils „noch Facebook“, wobei Sozialarbe­iterin Simon warnte, „da nicht alles für bare Münze“zu nehmen. Lokal dicht dran zu sein, formuliert­e Thieme als Anspruch an die Medien. Und was wünscht

man sich von der Politik? Letztlich Substanz. Denn dass bloßes Zuhören am Ende doch zu wenig ist, machte Simon deutlich. Es müsse für die Jugendlich­en dann auch etwas Sichtbares passieren – und wenn es ein ihnen zur Verfügung gestellter Raum im Dorfgemein­schaftshau­s ist. Der 16-jährige Till Leßmeister meinte passenderw­eise, dass wohl vieles leichter anzuschieb­en sei, wenn man kommunalpo­litisch selbst mehr mitbestimm­en könnte.

 ?? FOTO: OLIVER DIETZE ?? Saartalk-Runde zum Thema Landleben (v.l.): Peter Stefan Herbst (Chefredakt­eur Saarbrücke­r Zeitung), Christina Rullof, Till Leßmeister, Armgard Müller-Adams (Chefredakt­eurin SR-Fernsehen), Patricia Simon und Julius Thieme. Hinten an der Theke: SR-Mann Jonas Degen.
FOTO: OLIVER DIETZE Saartalk-Runde zum Thema Landleben (v.l.): Peter Stefan Herbst (Chefredakt­eur Saarbrücke­r Zeitung), Christina Rullof, Till Leßmeister, Armgard Müller-Adams (Chefredakt­eurin SR-Fernsehen), Patricia Simon und Julius Thieme. Hinten an der Theke: SR-Mann Jonas Degen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany