Breite Palette der Neuen Musik an der Saarbrücker HfM
Bei einem Konzert der Neuen Musik kann es auch mal vorkommen, dass die Stühle auf der Bühne leer bleiben. So geschehen bei der Aufführung von „Falling“, einer Komposition von Ludwig Brümmer, der sich dabei auf Beethovens Große Fuge op. 133 bezog. Das Stück wurde einfach auf die 16 Lautsprecher verteilt, die im Konzertsaal der Hochschule für Musik (HfM) rund um das Publikum aufgestellt waren. Auch wenn Brümmer hinterher sagte, man habe ausschließlich Klangmaterial gehört, das aus Beethovens Werk stammte – selbst drauf gekommen wäre wohl auch der größte KlassikKenner nicht. Vielmehr erinnerten die vielschichtig übereinander getürmten Akkordflächen an den Beginn von Pink Floyds Monumentalwerk „Shine on You Crazy Diamond“. „Ich habe das Stück rückwärts gespiegelt, transponiert, gestreckt und mit sich selbst fugiert“, sagte Brümmer. Das Beethoven-Original wurde anschließend als Kontrast aufgeführt – ruhige Flächen gibt es darin nicht, im Gegenteil: Dramatisch-wild kam die Komposition daher, meisterhaft aufgeführt von einem Streichquartett bestehend aus Maria Marica und S tefan S imonca-Oprit a ( Violinen), Victor Casa Lopez ( Viola) und Thaïs Defoort ( Violoncello). Die einzige klassische Komposition erntete den größten Applaus des Abends.
Dieser war der zweite Teil eines kleinen Festivals mit Neuer Musik; tags zuvor war dem Neue-Musik-Pionier Luigi Nono zu dessen 100. Geburtstag mit einem Programm gehuldigt worden. Die Initiative zu beiden Abenden war vom Institut für Neue Musik gekommen, das der HfM angeschlossen ist. Professor Frank Wörner, einer der Leiter des Instituts, hatte zu Beginn des Samstagabends seinen Auftritt als Bass: Er sang eine Komposition des wissenschaftlichen Mitarbeiters Florian Wessel, der dazu viel Elektronik einsetzte. Geräusche wanderten durch den Raum, die Stimme wurde mit Hall versetzt und anderweitig verfremdet. Auch hatte Wessel Schieferplatten an einem Gestell aufgehängt. Wie er hinterher erzählte, benutzte er diese als Lautsprechermembran.
Vertont hatte er einen Teil des Gedichts „Giselheer dem König“von Else Lasker-Schüler. Dazu stellte er ein Zitat von Max Rychner ins Programmheft: Die Dichterin sei über die Erde getaumelt, die Quellen ihrer Sprache seien angeschlagen gewesen. Gerade diese beiden Aspekte machte Wessel gut hörbar durch seine elektronischen Effekte, die er von der Mitte des Saales aus steuerte. Wörner bediente von der Bühne aus ein Ipad, das wiederum Befehle an die Elektronik in der Mitte gab. Die Komposition hinterließ gerade wegen ihrer räumlich-auditiven Darbietung starke Eindrücke. Da konnte zumindest das Solostück „Transfiguraciones“von Gitarrist und Komponist Marcelo Flores Lazcano nicht ganz mithalten. Es ließ den Zuhörer eher ratlos zurück – waren die unsauber angeschlagenen Töne nun Absicht oder nicht? Mit ihrer Virtuosität beeindruckte aber die Kontrabassistin Yan Ruoxi, die „Geografia amorosa“von Steffano Scodanibbio aufführte: Die Klangmöglichkeiten des Kontrabasses wurden dabei bis zum Äußersten ausgereizt. Während der Bogen eine rhythmische Figur auf den Korpus klopfte, musste die Greifhand auch zupfen und eine Melodie spielen. Alle möglichen FlageolettTöne wurden auf dem größten der Saiteninstrumente ebenfalls durchexerziert. Von daher wurde dem Publikum eine breite Palette der Neuen Musik dargeboten – das daran gewohnte Gehör nahm anschließend den Beethoven ganz anders wahr.