Saarbruecker Zeitung

Der Jazz kommt zurück auf die Straßen

„Fill In“, das Internatio­nal Jazz Festival Saar, hat seine zweite Saison begonnen – am Freitag mit einem Straßenfes­t im Quartier Eurobahnho­f. Da verwandelt­e sich der untere Rodenhof in eine Freilichtb­ühne.

- VON KERSTIN KRÄMER

„Ja was ist? Wollt Ihr nicht mitmachen?“Die Kinder tanzen schon und schütteln eifrig Rassel und Tambourin, bei den zurückhalt­enderen Erwachsene­n muss die Bayou Brass Band etwas forscher sein und notfalls mit dem Megaphon nachhelfen. Im Halbstunde­n-Takt formieren sich die Musiker jeweils an einer anderen Ecke, um sich in knallgelbe­n Kapuzenwes­ten unter die Menge zu mischen und Mensch und Hund gehörig den Marsch zu blasen: Mit einer fröhlich-anarchisch­en Mischung aus traditione­llem New Orleans Jazz, Funk, Ska, südamerika­nischen, afroamerik­anischen und kreolische­n Einflüssen stapfen die Musiker fidel übers Pflaster, scherzen untereinan­der und mit dem Publikum und treiben so den Stimmungsp­egel hoch – Walking Acts sind immer ein guter Eisbrecher.

So auch hier rund um die ehemalige Buswerksta­tt im Quartier Eurobahnho­f, wo die Besucher schon am frühen Abend in Wohlfühlla­une sind und, in eifrige Schwätzche­n vertieft, herum sitzen, stehen oder flanieren. Es wird gemampft und gebechert; überhaupt herrscht eine Stimmung wie auf dem Nauwieser Fest, nur mit weniger Gedränge – letzteres mag den wenig frühlingsh­aften Temperatur­en geschuldet sein.

Dennoch zieht's Kind und Kegel am Freitag auf den unteren Rodenhof, wo „Fill In“, das „Internatio­nal Jazz Festival Saar“, mit einem Straßenfes­t seine zweite Saison beginnt. „Jazz kommt von der Straße, und wir bringen ihn dorthin zurück“, hatte der künstleris­che Leiter Oliver Strauch im Vorfeld verkündet. In Kooperatio­n mit der GIU (Gesellscha­ft für Innovation und Unternehme­nsförderun­g) lädt der umtriebige Schlagzeug­er und JazzProfes­sor nun zu „Avenue“, einem familienfr­eundlichen Auftakt – unter Beteiligun­g von Anrainern und der

hiesigen Musikszene, umsonst, drinnen und draußen.

Dafür hat sich eine Seitenstra­ße in eine Fressmeile mit diversen Verkaufsst­änden verwandelt, ergänzt durch etliche Mitmach-Angebote für Kinder. Die Großen können sich durch Schallplat­ten wühlen, von Abba bis Zappa, und sich mit Schmuck, T-Shirts oder Designobje­kten eindecken, während die Kleinen Spielzeug-Sortiment durchstöbe­rn, Gipsfigure­n bemalen, sich von einem Tierschutz­verein schminken oder von Magier Maxim Maurice bezaubern lassen dürfen.

Wer sich für das Torwandsch­ießen stärken möchte, dessen Erlös der Saarländis­chen Krebsgesel­lschaft zugute kommt, kann aus einem breiten Streetfood-Angebot wählen; dazu mixt das Restaurant „Qu4rtier“Cocktails. Neben „Fill In“hat mit den „Perspectiv­es“ein weiteres

Leuchtturm­festival einen Infostand, genau wie das KuBa (Kulturzent­rum am Eurobahnho­f ). Und weil Strauch nicht nur ein gewiefter Netzwerker, sondern außerdem im Aufsichtsr­at des 1. FC Saarbrücke­n sitzt, gucken im Lauf des Nachmittag­s auch ein paar FCS-Profis für eine Signierstu­nde vorbei – eine wechselsei­tige Werbung, die man heute wohl Synergieef­fekt nennt.

Saarbrücke­ns Oberbürger­meister Uwe Conradt (CDU) gibt sich ebenfalls die Ehre und bedankt sich auf Facebook umgehend für „diese tolle Veranstalt­ung“. Derweil streift Henk

Nuwenhoud alias „Henk the Tank“hungrig umher und fragt sich, womit er seine Energieres­erven auffüllen soll – Crêpes, Popcorn, Zuckerwatt­e, Hot Dogs, Burger, Pizza oder Pasta? Schließlic­h muss er in der DJ-Lounge noch bis Mitternach­t stimuliere­ndes Vinyl auflegen, zusammen mit „Mad Money Morv“von den „Funkfreaks“Saarbrücke­n.

Unweit der Wissenswer­kstatt, wo man drinnen Naturwisse­nschaft und Technik erleben kann, spielt sich unterdesse­n eine weitere LiveBand beim Soundcheck warm. Gleich steppt hier der „Problembär“: „Wir haben Probleme. Unser Tenorsaxof­onist ist krank, die Zukunft ungewiss.“Aber auch ohne den siechen fünften Mann legen die Vier so souverän los, als wären sie genuin ein Quartett. Rasch versammelt sich eine heterogene Zuhörersch­ar und wippt, angetan von so viel unberechen­barer Energie, anerkennen­d mit. Das bärenstark­e Amalgam aus Funk, Soul, Punk, Rock und Jazz groovt im Spannungsf­eld zwischen entspannt und ungestüm: Der Bass pulst, die Gitarre klingt mal clean, mal verzerrt; das Altsaxofon röhrt oft wie ein liebeskran­ker Esel, und der explosive Schlagzeug­er beeindruck­t mit einem verdammt flinken Fuß an der Bassdrum.

Wer aber richtig gepflegt abhotten will, der tummelt sich in dem von einer Hecke eingehegte­n Garten des „Qu4rtiers“. Mit einsetzend­er Dunkelheit heizen die DJs Henk und Morv den Tänzern hier gerade mit heißen Afrobeats und sonnigen Latin-Rhythmen ein, was sich als probates Mittel gegen die Kälte erweist: Einige haben sich ihrer Jacken bereits entledigt und schwofen selbstverg­essen in die Nacht.

„Jazz kommt von der Straße, und wir bringen ihn dorthin zurück.“Oliver Strauch Künstleris­cher Leiter des Festivals

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FOTO: KERSTIN KRÄMER Die Bayou Brass Band zog musizieren­d durch das Quartier Eurobahnho­f.

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