Der Jazz kommt zurück auf die Straßen
„Fill In“, das International Jazz Festival Saar, hat seine zweite Saison begonnen – am Freitag mit einem Straßenfest im Quartier Eurobahnhof. Da verwandelte sich der untere Rodenhof in eine Freilichtbühne.
„Ja was ist? Wollt Ihr nicht mitmachen?“Die Kinder tanzen schon und schütteln eifrig Rassel und Tambourin, bei den zurückhaltenderen Erwachsenen muss die Bayou Brass Band etwas forscher sein und notfalls mit dem Megaphon nachhelfen. Im Halbstunden-Takt formieren sich die Musiker jeweils an einer anderen Ecke, um sich in knallgelben Kapuzenwesten unter die Menge zu mischen und Mensch und Hund gehörig den Marsch zu blasen: Mit einer fröhlich-anarchischen Mischung aus traditionellem New Orleans Jazz, Funk, Ska, südamerikanischen, afroamerikanischen und kreolischen Einflüssen stapfen die Musiker fidel übers Pflaster, scherzen untereinander und mit dem Publikum und treiben so den Stimmungspegel hoch – Walking Acts sind immer ein guter Eisbrecher.
So auch hier rund um die ehemalige Buswerkstatt im Quartier Eurobahnhof, wo die Besucher schon am frühen Abend in Wohlfühllaune sind und, in eifrige Schwätzchen vertieft, herum sitzen, stehen oder flanieren. Es wird gemampft und gebechert; überhaupt herrscht eine Stimmung wie auf dem Nauwieser Fest, nur mit weniger Gedränge – letzteres mag den wenig frühlingshaften Temperaturen geschuldet sein.
Dennoch zieht's Kind und Kegel am Freitag auf den unteren Rodenhof, wo „Fill In“, das „International Jazz Festival Saar“, mit einem Straßenfest seine zweite Saison beginnt. „Jazz kommt von der Straße, und wir bringen ihn dorthin zurück“, hatte der künstlerische Leiter Oliver Strauch im Vorfeld verkündet. In Kooperation mit der GIU (Gesellschaft für Innovation und Unternehmensförderung) lädt der umtriebige Schlagzeuger und JazzProfessor nun zu „Avenue“, einem familienfreundlichen Auftakt – unter Beteiligung von Anrainern und der
hiesigen Musikszene, umsonst, drinnen und draußen.
Dafür hat sich eine Seitenstraße in eine Fressmeile mit diversen Verkaufsständen verwandelt, ergänzt durch etliche Mitmach-Angebote für Kinder. Die Großen können sich durch Schallplatten wühlen, von Abba bis Zappa, und sich mit Schmuck, T-Shirts oder Designobjekten eindecken, während die Kleinen Spielzeug-Sortiment durchstöbern, Gipsfiguren bemalen, sich von einem Tierschutzverein schminken oder von Magier Maxim Maurice bezaubern lassen dürfen.
Wer sich für das Torwandschießen stärken möchte, dessen Erlös der Saarländischen Krebsgesellschaft zugute kommt, kann aus einem breiten Streetfood-Angebot wählen; dazu mixt das Restaurant „Qu4rtier“Cocktails. Neben „Fill In“hat mit den „Perspectives“ein weiteres
Leuchtturmfestival einen Infostand, genau wie das KuBa (Kulturzentrum am Eurobahnhof ). Und weil Strauch nicht nur ein gewiefter Netzwerker, sondern außerdem im Aufsichtsrat des 1. FC Saarbrücken sitzt, gucken im Lauf des Nachmittags auch ein paar FCS-Profis für eine Signierstunde vorbei – eine wechselseitige Werbung, die man heute wohl Synergieeffekt nennt.
Saarbrückens Oberbürgermeister Uwe Conradt (CDU) gibt sich ebenfalls die Ehre und bedankt sich auf Facebook umgehend für „diese tolle Veranstaltung“. Derweil streift Henk
Nuwenhoud alias „Henk the Tank“hungrig umher und fragt sich, womit er seine Energiereserven auffüllen soll – Crêpes, Popcorn, Zuckerwatte, Hot Dogs, Burger, Pizza oder Pasta? Schließlich muss er in der DJ-Lounge noch bis Mitternacht stimulierendes Vinyl auflegen, zusammen mit „Mad Money Morv“von den „Funkfreaks“Saarbrücken.
Unweit der Wissenswerkstatt, wo man drinnen Naturwissenschaft und Technik erleben kann, spielt sich unterdessen eine weitere LiveBand beim Soundcheck warm. Gleich steppt hier der „Problembär“: „Wir haben Probleme. Unser Tenorsaxofonist ist krank, die Zukunft ungewiss.“Aber auch ohne den siechen fünften Mann legen die Vier so souverän los, als wären sie genuin ein Quartett. Rasch versammelt sich eine heterogene Zuhörerschar und wippt, angetan von so viel unberechenbarer Energie, anerkennend mit. Das bärenstarke Amalgam aus Funk, Soul, Punk, Rock und Jazz groovt im Spannungsfeld zwischen entspannt und ungestüm: Der Bass pulst, die Gitarre klingt mal clean, mal verzerrt; das Altsaxofon röhrt oft wie ein liebeskranker Esel, und der explosive Schlagzeuger beeindruckt mit einem verdammt flinken Fuß an der Bassdrum.
Wer aber richtig gepflegt abhotten will, der tummelt sich in dem von einer Hecke eingehegten Garten des „Qu4rtiers“. Mit einsetzender Dunkelheit heizen die DJs Henk und Morv den Tänzern hier gerade mit heißen Afrobeats und sonnigen Latin-Rhythmen ein, was sich als probates Mittel gegen die Kälte erweist: Einige haben sich ihrer Jacken bereits entledigt und schwofen selbstvergessen in die Nacht.
„Jazz kommt von der Straße, und wir bringen ihn dorthin zurück.“Oliver Strauch Künstlerischer Leiter des Festivals