Schönberg und die Vertreibung ins Paradies
Ein ungewöhnlicher Abend bei den Musikfestspielen Saar: Im Saarbrücker Pingusson-Bau treffen die Werke von Arnold Schönberg und Charles Ives aufeinander – was ist das Konzept?
Mögen Hunde Zwölftonmusik? Können ihre sensiblen Ohren Arnold Schönberg noch mehr schätzen als wir Menschen? Leider kann man das Aska und Vanja schwerlich fragen, aber die beiden sehen sehr zufrieden aus. Ihre jeweiligen Herrchen, Pianist Stefan Litwin und Sprecher/Sänger/Schauspieler Michael Rotschopf, machen gerade eine Pause zwischen den Konzertproben in der Musikhochschule. Zeit für einen Kaffee, Wasser für die Hunde – und ein Gespräch darüber, worum es in „Ives meets Schönberg – ein europäisch-amerikanischer Abend“bei den Musikfestspielen Saar geht.
Der Österreicher Schönberg und sein US-Kollege Charles Ives teilen nicht nur die Liebe zum Neutönertum, sondern auch das Geburtsjahr 1874 (Schönberg starb 1951, Ives 1954). „Zu ihrem 150. Geburtstag hat es sich angeboten, die beiden gegenüberzustellen“, sagt Litwin, Professor an der Hochschule für Musik Saar (HfM), „musikalisch wie textlich. Ich will ihre Gedankenwelten auffächern und zeigen, welche Parallelitäten es gibt – aber auch welche Gegensätze“.
Für die Texte des Konzerts mit Studierenden der HfM, Litwin am Klavier und Mario Blaumer am Cello, hat Litwin Stellen aus Briefen, Publikationen und Notizen verwendet, in einem Seminar an der HfM zusammengestellt, „immer in der Absicht, einen interessanten dramaturgischen Ablauf hinzubekommen“. Herzstück des Programms ist Schönbergs „Ode an Napoleon“, die er 1942 komponierte, unter dem Eindruck des Angriffs auf Pearl Harbor, des Kriegseintritts der USA und textlich auf Basis des gleichnamigen Werks von Lord Byron (1788-1824) – einem Schmähgedicht auf den mittelgroßen Franzosen und großen Imperialisten Bonaparte.
Michael Rotschopf wird unter anderem diesen Text vortragen, für ihn „das Schwerste und Aufregendste, was ich je gemacht habe“. Wenn man unter anderem am Burgtheater gespielt hat, im Berliner Ensemble und jüngst als Mackie Messer am St. Pauli Theater, ist das schon ein großes Wort. „Ich wollte das Ganze nur machen, wenn ich es schaffe, nicht abzulesen, wenn ich das wie eine Performance mache.“Ein Jahr lang habe er sich regelmäßig mit dem Text von Byron beschäftigt, „um das Ganze in den Körper zu bekommen, um zu begreifen, worum es wirklich geht“.
Allem voran um die Abscheu vor Tyrannei und um die Hoffnung Byrons, dass Krieg und Unterdrückung mit Napoleons Untergang auch ihr Ende fänden, „dass eben niemand mehr auf diesen Scheißdreck reinfällt“, sagt Rotschopf. Eine Hoffnung, die Schönberg angesichts des Zweiten Weltkriegs wieder aufgegriffen habe, „in einer seiner wenigen offen politischen Kompositionen“. Vor dem Hintergrund der aktuellen Weltlage habe das Werk „eine Bedeutung bis heute“, findet Rotschopf.
„Interessant ist auch“, sagt Litwin, der sich seit Jahrzehnten mit Schönberg beschäftigt, „dass es eines der ersten Stücke ist, die er als US-Staatsbürger komponiert hat.“Als dankbarer Exilant, der nach der Flucht aus Deutschland eine neue Heimat gefunden hat, „beschwört er eine Gesellschaft in Amerika, die es heute in dieser Form nicht mehr gibt“. Rotschopf werde am Konzertabend, der um die 90 Minuten Musik und 20 Minuten Text bietet, auch einen Text Schönbergs lesen, in dem der davon spricht, „dass er zwar vertrie
ben worden sei – aber vertrieben ins Paradies“.
Für Litwin ist Ives „der erste große amerikanische Pionier, der seine Kompositionen nicht mehr auf europäischen Traditionen aufgebaut hat – wie Schönberg hat er die Tonalität negiert“. Dabei habe er, um völlige künstlerische Unabhängigkeit zu gewinnen, in einem Brotberuf gearbeitet: „Er war ein sehr vermögender Versicherungsmann.“Schönberg dagegen hätten zeitlebens Geldsorgen umgetrieben, ausgenommen die Zeit, als er Professor an der Preußi
schen Akademie der Künste in Berlin war – bis die Nationalsozialisten dem jüdischen Künstler das Amt 1933 entzogen. Schönberg emigrierte im selben Jahr.
Miteinander korrespondiert haben Schönberg und Ives nie, aber sie kannten das Werk des anderen, sagt Litwin. In einer Notiz habe Schönberg den US-Kollegen einen „großen Komponisten“genannt, der das Problem gelöst habe, die Selbstachtung angesichts von Ignoranz zu bewahren: „Er reagiert auf die NichtBeachtung mit Verachtung. Er muss
weder Lob oder Kritik annehmen. Sein Name ist Ives.“Besagter Ives dagegen bekundete, niemals nur eine Note von Schönberg gehört zu haben – eine Aussage, der man getrost misstrauen kann. „Es gibt“, sagt Stefan Litwin, „dieses Sprichwort: Man soll nie Komponisten glauben, wenn sie über sich selbst reden.“
Termin: Heutiger Dienstag, 30. April, 19 Uhr, im Pingusson-Bau in Saarbrücken. Karten an der Abendkasse, unter www. proticket.de/regionen/saarland und www. musikfestspielesaar.de