Leichnam eines Riegelsbergers im fernen Kuba
Regina Schlösser aus Riegelsberg kämpft um den Leichnam ihres Mannes. Der liegt seit zwei Monaten in Kuba im Kühlhaus der Gerichtsmedizin in Havanna. Eine tragische Geschichte.
„Die Leiche meines Mannes“, erklärt Regina Schlösser, „ist immer noch in Havanna in der Gerichtsmedizin.“Seit fast zwei Monaten. Am 8. März 2024 ist ihr Mann in Kuba verstorben, seit 13. März ist Regina Schlösser zurück in Riegelsberg. Ohne ihren Mann Detlef Wildt. Eine Beerdigung, Abschied nehmen, Trauerarbeit: seit zwei Monaten nicht möglich. Schlösser ist gefangen zwischen Mails, Anrufen, Hoffen, Botschaft, Bangen, Axa-Versicherung, zwischen Hotlines und vor allem: zwischen Fassungs- und Hilflosigkeit. „Ich funktioniere nur noch“, sagt sie.
Als sie ihren Mann zuletzt lebend sieht, ist die Welt um sie herum eine Fototapete. „Wir waren auf Studienreise durch Kuba“, sagt sie. Am 8. März sind sie in Cayo Santa María angekommen, checken in ein Hotel ein und gehen direkt hinunter „zum Traumstrand“ans Karibische Meer.
„Mein Mann wäre Ende des Monates 71 geworden“, berichtet die 69-Jährige. Und: „Wir haben uns erst spät kennen gelernt.“Vor 20 Jahren hätten sie geheiratet. „Interessanterweise haben wir uns 2001 auf einer Studienreise durch China kennengelernt. Da waren wir mit dem gleichen Veranstalter unterwegs wie jetzt in Kuba.“Sie hält kurz inne – und sagt: „Ich habe ihn dadurch gewonnen – und verloren.“
Am Traumstrand „haben wir noch kurz vorher ein paar Bilder gemacht. Wir waren beide das erste Mal in unserem Leben in der Karibik baden gewesen“, erzählt Regina Schlösser. „Im Wasser gab es leichten Wellengang“, plötzlich habe sie nur noch eine Hand ihres Mannes aus den
Wellen spitzen sehen, „ich habe gerufen, dann war er weg“. Die Wellen. Die ehemalige Lehrerin hatte ihre Brille nicht auf. Sie ist raus aus dem Wasser zum Handtuch, setzt die Brille auf, sucht die Wasseroberfläche ab – und sieht: „Nichts. Ich habe einen Mann aus unserer Reisegruppe angesprochen. Er hat gesagt, dass mein Mann sicher rausgegangen wäre. Ich habe gesagt, nein, ganz sicher nicht.“
Sie suchen beide. „Ich verfiel langsam in Panik.“Sie sei weiter den Strand hinuntergelaufen. Bis „ich im Wasser einen Rücken und eine blaue Badehose sah. Ich bin sofort rein.“Mit Hilfe eines Mannes zieht sie ihren Mann aus dem Meer, „da hatte er schon einen ganz blauen Kopf, da wusste ich, da ist nichts mehr zu machen. Wir haben versucht, ihn wiederzubeleben, es gab keine Chance, er war schon tot.“
Weitere Männer eilen zu Hilfe, tragen Wildt in Richtung eines alten Hotels, das hinter dem Strand liegt, „dabei ist etwas Traumatisches passiert“, sagt Regina Schlösser. Die Männer haben ihn fallen lassen, „dabei hat sich Detlef auf der Nase eine kleine Verletzung zugezogen“, berichtet sie. Die Männer hätten ihren Mann auf einen „uralten Lastwagen mehr oder weniger hinten rein gekippt“, sagt sie, immer noch fassungslos – mit Tränen in den Augen. „Ich habe ein paar Stunden neben ihm verharrt, bis die Reiseleitung kam, bis der Krankenwagen da war. Die haben mich von ihm weggenommen.“
Im Hotel angekommen, kam „sehr schnell ein Kubaner, der mich vernommen hat. Der wollte alles wissen, welche Uhrzeit, wie weit mein Mann von mir entfernt war, was wir getrunken hatten.“Ob sie den Verdacht hatte, unter Verdacht zu stehen? „Ja, vor allem bei den erneuten Vernehmungen am nächsten Tag.“Aber, das sagt sie auch: „Man muss polizeilich ermitteln, um alles auszuschließen, das war in Ordnung für mich. Ich war zu dem Zeitpunkt eh so traumatisiert und geschockt, dass ich da einfach durch bin.“
Irgendwann sei ein Anruf gekommen: die Rechtsmedizin. „Es
sei ein Herzinfarkt gewesen, es sei nur noch unklar, ob er vorher Wasser geschluckt und dann den Infarkt bekommen hat – oder umgekehrt.“Im Obduktionsbericht, dessen Ergebnis Schlösser inzwischen schriftlich vorliegen hat, steht „wiederum nichts mehr von einem Herzinfarkt,
da steht nur: ersticken, eindringen von Wasser und ertrinken im Meer. Und es steht darauf: Unfall. Letztendlich wissen wir nicht, an was er gestorben ist.“Sie tröstet sich manchmal damit, dass ihr Mann einen vergleichsweisen „schönen Tod“gehabt habe. In der Karibik.
In Kuba wollte sie alles „selbst regeln“, mit der Botschaft, mit der Überführung, doch „die Reiseleitung hat mir versichert, dass sie sich um alles kümmere, ich hatte keine Papiere mehr von meinem Mann, musste alles abgeben.“Sie musste das Land verlassen (kein Visum mehr), nur mit dem Wort der Reiseleitung, dass sich die Botschaft um alles kümmere. Sie weint. In Kuba kümmert sich eine Traumaund Schock-Therapeutin, die in der Reisegruppe zufällig dabei ist, sofort um sie. „Das war Gold wert“, sagt Schlösser.
Als sie zu Hause in Riegelsberg ist, kümmern sich „liebe Freunde und eine Therapeutin“, sie informiert am 13. März schriftlich den Reiseveranstalter, das Beerdigungsunternehmen an ihrem Wohnort und die Reisekrankenversicherung Axa, „die daraufhin einen Ordner mit Namen meines Mannes als Versicherungsfall angelegt hat, sagte mir eine Mitarbeiterin am Telefon.“
Daraufhin „habe ich bei der deutschen Botschaft in Havanna angerufen, den Fall geschildert, nachgefragt, was mit dem Leichnam meines Mannes passiere. Man teilte mir lediglich mit, dass die Asistur, ein kubanischer Dienstleister, für die Überführung zuständig sei, nicht die Botschaft. Ein deutsches Beerdigungsunternehmen solle den Kontakt zu Asistur herstellen.“Schlösser habe „sofort mein Beerdigungsinstitut informiert, das einen Antrag auf Einäscherung meines Mannes und Ausstellung einer internationalen Sterbeurkunde per Mail bei Asistur beantragt hat“.
Danach passiert „wochenlang nichts“, sagt sie. Sie schickt daher am 3. April Mails an die deutsche Botschaft in Kuba und an Asistur. Dieses Mal erklärt die Botschaft, dass die Auslandskrankenversicherung zuständig sei. Sie müsse die Überführung organisieren und zahlen. „Da wusste ich zum ersten Mal, wie das eigentlich ablaufen sollte“, sagt Schlösser.
Sie versucht wieder, die Axa zu erreichen, quält sich durch Hotlines, in der Annahme, dass es dort bereits einen Ordner mit dem Namen ihres Mannes gibt, schließlich hat sie den Fall drei Wochen zuvor gemeldet. Doch: „Die Axa behauptet heute noch, dass ich da nie angerufen habe.“Die Versicherung fordert nach der erneuten Kontaktaufnahme Dokumente an, darunter viele, die Schlösser nicht hat. „Ich hatte keinen Arztbericht, keinen Obduktionsbericht, keinen Unfallbericht.“Ständig muss sie den Fall erneut schildern.
Sie schreibt erneut an den Botschafter, an die Asistur (die nie antwortet), an die Reiseleitung, an Heinz Bierbaum, den ehemaligen Chef der Linken im Saarland, er habe gute Kontakt nach Kuba. „Er hatte versichert, Bekannte in Kuba anzurufen“, sagt Schlösser und glaubt, dass das geholfen habe. Am 11. April antwortet erneut die Botschaft, schreibt, dass sie erneut Axa und Asistur kontaktiert habe: „Die Kommunikation zwischen Axa und Asistur läuft nun“, versichert die Botschaft. Zudem: „Der Leichnam Ihres Mannes befindet sich noch in der Gerichtsmedizin.“
Danach passiert: wieder nichts. Am 15. April ruft Schlösser erneut bei der Axa an, verlangt „den Chef“, der versichert, dass sie nur noch den Obduktionsbericht bräuchten, dass die Axa diesen bei der Asistur in Kuba beantragt habe.
Wieder passiert: nichts. Sechs Tage später schreibt Schlösser erneut eine Mail an die Botschaft, ob die nicht mal wieder bei Asistur nachfragen könnten. Am 24 April schickt die deutsche Botschaft „die Bescheinigung aus der Akte der Gerichtsmedizin“. Den Obduktionsbericht, Schlösser leitet ihn sofort an die Axa weiter. Am gleichen Tag versichert die Axa, die Kosten zu übernehmen. Sie hätte bereits ein Unternehmen beauftragt, das die Rückführung organisiere.
Am 26. April bekommt Frau Schlösser tatsächlich einen Anruf eines Bestatters aus der Nähe von Frankfurt. Er fragt, ob die Rückführung „in Sarg oder Urne“stattfinden soll. „Ich habe geantwortet: Urne, das hatten mein Mann und ich mal so besprochen.“Seither wartet sie wieder. Denn passiert ist seither: nichts. Ihr Mann ist immer noch in Havanna. Seit zwei Monaten.