Bonmots, Disruptivität und ein Hanseat
Das Kulturforum der Sozialdemokratie Saarland hat in Kooperation mit der Arbeitskammer des Saarlandes und der Stiftung Rechtsschutzsaal zum Dialogabend „Rencontre“geladen. Im Zentrum der schönen und weniger schönen Worte: das Verhältnis zum französischen
FRIEDRICHSTHAL/BILDSTOCK Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet der seriöse Burkhard Jellonnek das kühnste Bonmot unter den vielen geschliffenen Formulierungen des Abends prägen würde? Das sei ja wie „Ehe gegen One Night Stands“kommentierte er die Unterschiede zwischen dem deutschen und französischen Theatersystem: hier die relativ unbeweglichen, aber staatlich abgesicherten Häuser mit eigenem Ensemble, die es in Frankreich nicht gibt; dort eine freie Szene, deren Mobilität und Kreativität sich dank Existenz-sichernder Subventionierung frei entfalten kann.
So schilderte es die Französin Sylvie Hamard, die 15 Jahre lang als künstlerische Leiterin das deutsch-französische Bühnenfestival „Perspectives“kuratierte, am Freitag bei „Rencontre“: Den launigen, mit vielen persönlichen Bekenntnissen aufwartenden Diskussionsabend hatte Jellonnek als Vorsitzender des Kulturforums der Sozialdemokratie Saarland initiiert und moderierte auch.
In Kooperation mit der Arbeitskammer des Saarlandes und der Stiftung Rechtsschutzsaal lud das Kulturforum zum Dialog: Wie steht's um unser Verhältnis zum französischen Nachbarn? Und wie können die Beziehungen zur Gran
de Nation verbessert werden? Dazu bat Jellonnek vier Gäste einzeln zum Gespräch, um politische, kulturelle, lokale und (groß-)regionale
Chancen zu beleuchten.
Erster Interviewpartner war der mit eloquenter Süffisanz gesegnete, hochdekorierte Kulturjournalist, Historiker, Publizist, Schriftsteller und neuerdings auch Blogger Nils Minkmar – ehemaliger Feuilletonchef der FAZ und Edelfeder von Zeit, Spiegel und aktuell Süddeutscher Zeitung. Minkmar, der hier außerdem seinen Roman „Montaignes Katze“vorstellte, hat die doppelte Staatsbürgerschaft, ist selbst ein Produkt enger deutschfranzösischer Zusammenarbeit und stammt aus Dudweiler – somit war er der einzige indigene Saarländer der Runde.
Minkmar verglich unter anderem die gegensätzlichen Führungsstile von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron: beruhigend
der eine, disruptiv der andere. Zu einer Partnerschaft beider Regierungschefs gebe es jedoch keine Alternative, befand Minkmar, trotz der für Frankreich peinlichen Unterschiede bei der Unterstützung der Ukraine. Vor allem beim Kampf gegen Demokratie-zersetzende Kräfte könne Deutschland dagegen von Frankreich lernen – nämlich, wie man es nicht macht.
Die Rechten, insbesondere Marine Le Pen, seien hochgekommen, weil sie von den französischen Medien ständig hofiert worden seien. Daraus könne man zumindest die Lehre ziehen, „diese Leute nicht jeden Abend in jeder Fernsehsendung sitzen zu haben“.
Ein weiterer rhetorisch begabter Bücherfreund, der ehemalige saarländische Ministerpräsident Reinhard Klimmt (SPD), stimmte
Minkmar bezüglich der Relevanz der deutsch-französischen Freundschaft zu: „Das ist das zentrale Verhältnis, das Europa zusammenhält.
Diese Achse muss funktionieren!“
Der Scholz, sagte Klimmt entschuldigend, „ist Hanseat. Der hat von unserem Leben hier keine Ahnung.“Was er mit „hier“meinte, verdeutlichte Klimmt mit einem Kapitel aus seinem Buch „Auf dieser Grenze lebe ich“und betonte den kulturellen und ökonomischen Wert von Interregionalität: Diese Zusammenarbeit müsse intensiviert werden, statt ihr Potenzial durch nationalistische Interessen zu gefährden.
Was man vor Ort tun kann, erläuterte der pensionierte Lehrer und Liedermacher Wolfgang Winkler, der hier auch wieder mal einige seiner Chansons aufführte. Dabei wurde erneut deutlich, dass er Rhythmus, Intonation und Anschlagstechnik auf der Gitarre weniger pflegt als Übersetzungen und grenzüberschreitenden Austausch: Unter Winkler prosperierte das saarländische Projekt „Chanson in der Schule“zwecks Fremdsprachenerwerbs durch Musik, und er begründete mit der erfolgreichen „Sulzbacher Salzmühle“den einzigen deutsch-französischen Chanson- und Liedermacherpreis.
Und woran hapert's beim Austausch? Beispielsweise an der System-bedingten Unflexibilität eines deutschen Theaterhauses, erläuterte Sylvie Hamard: Wenn sie, heute verantwortlich für die Opernsparte von Schloss Versailles, eine Produktion des Saarländischen Staatstheaters einladen wolle, sei das Hauptproblem, überhaupt einen Termin zu finden. Grundsätzlich hänge es „an Personen und Engagement, mehr als am Geld“. Grenzüberschreitende Projekte seien stets sehr schwierig, denn entgegen der landläufigen Annahme laufe der Austausch immer noch nicht von alleine. Hamard: „Man muss daran arbeiten.“
Fangen wir doch am 9. Juni damit an: Jellonnek plädierte für die Europawahl als Chance.