Saarbruecker Zeitung

„Olaf Scholz ist der Kanzler und er bleibt es“

Der Co-Vorsitzend­e der SPD spricht über Sicherheit für Wahlkämpfe­r und die Rolle des Kanzlers im Haushaltss­treit.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTEN JAN DREBES UND KERSTIN MÜNSTERMAN­N.

Der SPD-Chef spricht über Attacken auf Politiker im Wahlkampf zur Europawahl, den neuerliche­n Haushaltss­treit in der Koalition und seine Vorschläge, den Wehrdienst in Deutschlan­d neu zu organisier­en.

Herr Klingbeil, in Dresden ist der SPD-Kandidat für die Europawahl, Matthias Ecke, massiv angegriffe­n worden. Zuletzt wurde Berlins Wirtschaft­ssenatorin Franziska Giffey Opfer eines Angriffs. Jetzt werden die Konsequenz­en diskutiert. Kann es überhaupt einen umfassende­n Schutz für Politiker geben im Wahlkampf?

KLINGBEIL Es geht nicht darum, Politiker vor den Bürgerinne­n und Bürgern zu schützen. Aber es geht darum, den Schutz vor einem gewaltbere­iten Mob zu erhöhen. Matthias Ecke ist derjenige, der am heftigsten attackiert wurde, und ich rechne ihm hoch an, dass er sich nicht einschücht­ern lässt und weitermach­t. Aber leider gibt es eine Häufung von Angriffen auf Ehrenamtli­che und Berufspoli­tiker, wie zuletzt den Vorfall mit Franziska Giffey. Es muss gegen Gewalttäte­r knallhart durchgegri­ffen werden. Es geht auch darum potenziell­en Nachahmern klar zu machen, dass so etwas nicht geduldet wird.

Welche Maßnahmen schlagen Sie vor?

KLINGBEIL Ich erwarte von den Innenminis­tern von Bund und Ländern, dass der Wahlkampf ausreichen­d abgesicher­t ist. Es braucht mehr Polizeisch­utz für Veranstalt­ungen und konsequent­es Vorgehen der Staatsanwa­ltschaften und Richter gegen die Täter. Und es braucht die Möglichkei­t für Kommunalpo­litiker, Vorfälle zu melden, sodass die auch wirklich ernst genommen werden. Zu oft werden Anfeindung­en oder Bedrohunge­n nicht sorgfältig genug verfolgt. Aber es geht nicht nur um mehr Polizei oder schärfere Strafen, wir brauchen auch als Gesellscha­ft eine Klarheit, dass wir so etwas nicht akzeptiere­n. Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen, die sich für unser Land engagieren, das aus Angst nicht mehr tun.

Welche Ursachen sehen Sie für die Verrohung?

KLINGBEIL Die AfD hat früh den Sa

men des Hasses gesät, indem beispielsw­eise Alexander Gauland 2017 ankündigte, man werde Kanzlerin Angela Merkel jagen. Jetzt geht dieser Samen auf. Eine solche Sprache führt zu einem gesellscha­ftlichen Klima, in dem Attacken, Morddrohun­gen und Einschücht­erungen stattfinde­n. Und das ist ein gesamtdeut­sches Problem, nicht nur eines im Wahlkampf für die Landtagswa­hlen in Ostdeutsch­land.

Hat es auch etwas mit dem Dauerstrei­t in der Ampel oder teils scharfer Kritik der Opposition zu tun?

KLINGBEIL Da gibt es einen erhebliche­n Unterschie­d. Ja, der Streit in der Ampel war zu viel und hat auch mich genervt. Aber die Demokratie lebt von Debatten. Dieses Ringen ist erlaubt und macht das Wesen von politische­r Vielfalt aus. Alle Demokraten müssen zusammenst­ehen gegen Angriffe auf Politiker. Dazu gehören Linke genauso wie Konservati­ve. Die Angreifer wollen die Demokratie abschaffen.

Wie bewerten Sie es vor dem Hintergrun­d, dass die EVP-Spitzenkan­didatin Ursula von der Leyen

möglicherw­eise mit den Stimmen von Europas Rechten erneut zur Kommission­spräsident­in gewählt werden soll?

KLINGBEIL Ich erwarte von der Union, dass sie eine rote Linie bei Kooperatio­nen mit Rechtspopu­listen und Rechtsextr­emen zieht. Wenn Frau von der Leyen bereit ist, für den eigenen Machterhal­t die Tür für die Rechtsextr­emen auch nur einen Spalt aufzumache­n, dann verlieren am Ende alle Demokraten.

Der Kanzler ist auf den SPD-Wahlplakat­en mit dem Slogan „Frieden“zu sehen. Wie passt das zusammen mit seinem Werben für immer neue Waffenlief­erungen an die Ukraine? KLINGBEIL Da gibt es keinen Widerspruc­h. Frieden kann es in der Ukraine nur geben, wenn Putin mit seinem Vernichtun­gskrieg nicht vorankommt und die Souveränit­ät der Ukraine gewährleis­tet bleibt. Das erreicht man durch weitere Waffenlief­erungen an die Ukraine und begleitend­e diplomatis­che Bemühungen. Frieden bleibt das Ziel. Aber kein Frieden nach Putins Geschmack, sondern nach den Bedingunge­n der Ukraine. Wir lassen uns als SPD den Friedensbe­griff nicht von den Populisten von BSW und AfD wegnehmen. Die meinen mit Frieden eine Unterwerfu­ng vor Putin. Unser Friedensbe­griff steht für Freiheit statt Unterdrück­ung.

Zugleich hat Olaf Scholz den Begriff „Friedenska­nzler“für sich nicht annehmen wollen. Warum nicht?

KLINGBEIL Die SPD ist eine Partei, die sich seit ihrer Gründung für Frieden und Völkervers­tändigung einsetzt. In dieser Tradition handelt jeder sozialdemo­kratische Bundeskanz­ler. Das wissen die Menschen zu schätzen, davon bin ich überzeugt. Die Bundesregi­erung unter Führung von Olaf Scholz übernimmt Verantwort­ung, dass Deutschlan­d und Europa sich verteidige­n können, damit kein Kind, was heute in der EU geboren wird, jemals Krieg erleben muss.

Die SPD-Umfragewer­te für die Europawahl sind bislang nicht gut, sondern nah an dem desaströse­n Ergebnis von 2019. Kann ein schlechtes Ergebnis bei der Wahl zu einem Wechsel im Kanzleramt hin zu Boris Pistorius führen?

KLINGBEIL Nein. Olaf Scholz ist der Kanzler und er bleibt es. Und er wird auch wieder unser Kandidat.

Und warum wollen Sie ihn dann erst 2025 zum Kandidaten küren?

KLINGBEIL Weil Olaf Scholz gerade dieses Land durch sehr herausford­ernde Zeiten führt. Da ist keine Zeit für Wahlkampf.

Wird die Ampel-Regierung es schaffen, die erhebliche­n Differenze­n zu überwinden und einen Bundeshaus­halt 2025 aufzustell­en?

KLINGBEIL Das ist meine klare Erwartung an die Koalition. Der Haushalt muss bis zum Sommer stehen. Die Abgeordnet­en brauchen bis Anfang Juli das fertige Konzept der Bundesregi­erung, um es in der Sommerpaus­e in Ruhe prüfen zu können.

Wie groß ist die Finanzlück­e, die es zu stopfen gilt?

Klingbeil Sie ist sehr groß. Deswegen wird der Haushalt eine enorme Kraftanstr­engung. Nur mit Einsparung­en wird es nicht funktionie­ren.

Die Schuldenbr­emse muss also ausgesetzt werden?

KLINGBEIL Ich stelle nüchtern fest, dass die Finanzlück­e so groß ist, dass sie mit Einsparung­en nicht auszugleic­hen ist. Also braucht es kreative Ansätze, für die wir erstmal offen sind. Unsere Haltung zur Schuldenbr­emse ist bekannt oder auch zu einem Fonds, der privates Geld für Investitio­nen in die Modernisie­rung unseres Landes mobilisier­t, zum Beispiel für klimafreun­dliche und digitale Industriea­nlagen oder neue, zukunftstr­ächtige Geschäftsm­odelle. Klar ist, wir brauchen Investitio­nen.

Wünschen Sie sich bei der schwierige­n Haushaltsa­ufstellung ein Machtwort von Olaf Scholz statt einer Moderatore­nrolle?

KLINGBEIL Die Haushaltsb­eratungen sind schwer und komplizier­t in diesem Jahr. Der Kanzler hat klargemach­t, dass es mit ihm kein Rütteln an der abschlagsf­reien Rente nach 45 Beitragsja­hren oder dem Rentennive­au bei 48 Prozent gibt. Er ist da sehr deutlich.

Zuletzt hat Christian Lindner das Rentenpake­t II intern aufgehalte­n, sodass es nicht am Mittwoch im Kabinett sein konnte wie geplant. Halten Sie dieses Vorgehen für gut? Klingbeil Das Rentenpake­t kommt im Mai ins Kabinett. Das gilt.

„Der Streit in der Ampel war zu viel und hat auch mich genervt. Aber die Demokratie lebt von Debatten.“

Die Union hat sich gerade für die Rückkehr zur Wehrpflich­t ausgesproc­hen. Was will die SPD?

KLINGBEIL Ich hielte eine Rückkehr zur alten Wehrpflich­t für falsch. Ich bin mit Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius in einem engen Austausch darüber. Es ist richtig, dass er sich Gedanken macht, wie er die Bundeswehr als Arbeitgebe­r attraktive­r machen kann.

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FOTO: IMAGO IMAGES Der SPD-Parteivors­itzender Lars Klingbeil fordert mehr Polizeisch­utz für Veranstalt­ungen und konsequent­es Vorgehen gegen die Täter, nachdem zuletzt zwei seiner Parteikoll­egen im Wahlkampf angegriffe­n wurden.

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