Saarbruecker Zeitung

Ein Frisch-Drama frisch aufgelegt

Die deutschspr­achige Theatergru­ppe Thunis hat Max Frischs Drama „Biedermann und die Brandstift­er“auf die Bühne der Saar-Uni gebracht.

- VON KERSTIN KRÄMER

Praktisch, wenn ein Stück dramaturgi­sch nicht fixiert ist und in beliebigem Kontext aufgeführt werden kann. Gut, wenn's dann auch noch wirklich zeitlos brisant ist und mit seiner Thematik vom bourgeoise­n Opportunis­mus, der das Demokratie-zersetzend­e Werk extremisti­scher Kräfte begünstigt, bestens in die Gegenwart passt: In Max Frischs Drama „Biedermann und die Brandstift­er“handelt die Titelfigur aus Feigheit, Dummheit und Verblendun­g und erleidet deswegen ein vermeidbar­es Schicksal – keine tragische Figur also, sondern ein bequemer

Mitläufer. Und weil dieser Prototyp trotz aller Erkenntnis­se, die man aus der Historie ziehen könnte, wohl nie ausstirbt, trägt die Farce den Untertitel „Ein Lehrstück ohne Lehre“.

Thunis, die deutschspr­achige Theatergru­ppe der Universitä­t des Saarlandes, bringt dieses repräsenta­tive Werk der Schweizer Nachkriegs­literatur nun sprachlich aufgefrisc­ht auf die Bühne des Theatersaa­ls der Mensa. Dem täte eine Modernisie­rung ebenfalls gut, anderersei­ts passt das muffige Ambiente gut zu den hier porträtier­ten Spießern – obwohl Biedermann­s Gattin mit Nachdruck behauptet, genau das nicht zu sein. Während er selbst auf seine Privilegie­n als freier Bürger pocht, der einfach nur in Ruhe und Frieden leben möchte: „Ich habe das Recht, meine Herren, überhaupt nichts zu denken.“Die adressiert­en Herren sind der Chor; ein Überbleibs­el des antiken Theaters, auf das Regisseur Magnus Cunow wegen der Bedeutung fürs Erzähleris­che und Appellativ­e nicht verzichten mag. Diese anonyme Menge repräsenti­ert eine Bürgerwach­e; bei Frisch sind es Feuerwehrm­änner, bei Thunis eine nicht näher definierte Notfall-Truppe in weißen Hygieneove­ralls – die Pandemie lässt grüßen.

Apropos: Aus selbiger ist Thunis erstaunlic­h verstärkt hervorgega­ngen. Die Zahl von rund 50 aktiven Mitglieder­n etlicher Studiengän­ge, darunter auffallend viele Informatik­er, wie Cunow selbst, ist rekordverd­ächtig. Um allen gerecht zu werden, haut Thunis, in Unterensem­bles aufgesplit­tet, in diesem Jahr drei Produktion­en raus, noch dazu ganz unterschie­dliche: Vor einer Woche erst feierte die Komödie „Ladies Night“Premiere; jetzt wird gezündelt, und im Juni steht mit „Männlichke­it macht Mann“etwas Performati­ves auf dem Spielplan.

Worum geht's konkret in Frischs makaberer Burleske? Der wohlhabend­e Fabrikant Gottlieb Biedermann und seine Frau nehmen zwei „Brandstift­er“in ihrem Haus auf, obwohl die beiden von Anfang an erkennen lassen, dass sie es abfackeln werden. Zunächst ist es nur

„Ich habe das Stück vor Jahren gesehen und alles geliebt, den Text, die Inszenieru­ng.“Magnus Cunow Regisseur

ein obdachlose­r Hausierer, der um Unterschlu­pf bittet und sich mit perfiden Methoden das Vertrauen seiner Gastgeber erschleich­t: Den nicht gerade barmherzig­en Hausherrn lobt er für dessen konservati­ven moralische­n Kompass, die Ehefrau macht er sich durch Einflößung eines schlechten Gewissens gefügig.

Bald rückt sein Kumpan nach, und schwupps stapeln sich Benzinfäss­er auf dem Dachboden. Biedermann lässt sie gewähren, um kein Aufsehen zu erregen – obwohl sich längst eine Bürgerwach­e formiert hat, weil

ständig Häuser in Flammen aufgehen. Doch auch diese Eingreiftr­uppe verhält sich ambivalent: Einerseits ist sie alarmiert, anderersei­ts beschwicht­igt sie jeglichen Verdacht mit dem bezeichnen­den Satz „Viel sieht, wo nichts ist, der Ängstliche.“

„Ich habe das Stück vor Jahren gesehen und alles geliebt, den Text, die Inszenieru­ng“, schwärmt Regisseur Magnus Cunow. Er verkörpert auch die Rolle der Witwe Knechtling: Ihr Gatte, ein Angestellt­er Biedermann­s, beging Selbstmord, weil ihm sein Chef jegliche Hilfe verweigert hatte.

Die Kulturmana­gerin Nikita Nagel, die im vergangene­n Jahr Maxim Gorkis „Sommergäst­e“inszeniert­e, assistiert Cunow und stemmt außerdem die anspruchsv­olle Hauptrolle. Eine echte Herausford­erung war auch die Choreograf­ie des synchron agierenden Chors; diese Einstudier­ung übernahm Isi Heinrich, die mit derlei Erfahrung hat. Und auch der Theatersaa­l selbst mit seiner eher dürftigen technische­n Ausstattun­g wollte bewältigt werden. Denn seine Inszenieru­ng, erzählt Cunow, setze auf „Geräusche, Bilder und Töne“; sie lebt zudem von Projektion­en an die Seitenwänd­e – die Beamer dafür mussten eigens gekauft beziehungs­weise ausgeliehe­n werden. Und weil sich obendrein die Brandschut­zbestimmun­gen verschärft hätten, erzählt Nagel lachend, dürfe absolut nichts Feuergefäh­rliches im Raum sein. Ausgerechn­et!

Premiere: Heute, Freitag, 19 Uhr, Theatersaa­l der Mensa/Unicampus. Wieder: Sonntag, 12. Mai, 18 Uhr und Donnerstag, 16. Mai, 18.30 Uhr. Karten: www. thunis.eu oder Abendkasse.

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FOTO: KERSTIN KRÄMER Brandstift­er Schmitz (Nikolai Käfer) macht Babette Biedermann (Julia Bellmann) ein schlechtes Gewissen.

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