DEM FREMDEN BEGEGNEN
MOZARTS » DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL « UNTER GROSSSTADTLICHTERN
In der Ferne lockt ein unbekanntes Glücksversprechen. Junge Menschen werden von großen Erwartungen und Sehnsüchten umgetrieben. Die Welt steht ihnen offen. Die »Fremde« ist in einer globalisierten Welt ein Ort der Faszination, wo das Singuläre, das Außeralltägliche, das Authentische wartet. Die Suche danach erweist sich nicht selten als Projektion, vor allem, wenn sich Grenzen als unüberwindbar, Zeichen als unlesbar und Selbstverständlichkeiten als Trugbilder herausstellen.
Die Begegnung zweier Kulturen – von Orient und Okzident – in Mozarts »Die Entführung aus dem Serail« verlegen Regisseur Tomo Sugao und sein Team in ihrer Neuinszenierung des Singspiels um ein paar Längengrade weiter Richtung Osten. In einer fernöstlichen Großstadt sucht Belmonte nach seiner Geliebten Konstanze, zu der er vor geraumer Zeit den Kontakt verloren hatte. Er findet sie in der Welt des rätselhaften Bassa Selim, und plant, sie gemeinsam mit seinem Freund Pedrillo von dort zu »entführen«. Daneben plagt Belmonte vor allem eine Frage: War Konstanze mir in der Zeit der Trennung auch treu? Denn ihm ist nicht entgangen, welche Faszination von Selims Welt ausgeht. Die Erfahrung der Fremde hat für alle Protagonisten existenzielle Konsequenzen. Welche unvorhersehbaren Wege geht die Liebe, wenn die Koordinaten sich verschieben? Wie sehr können Gefühle selbst ein Gefängnis sein? Was bedeutet eine Rückkehr in die altbekannten Beziehungsmuster?
Im Gewand des Singspiels, einer Form des Musiktheaters mit Gesangsnummern und gesprochenen Dialogen, verhandelt Mozart in einem exotistischen Setting, wie es im 18. Jahrhundert besonders beliebt war, eine recht naive Geschichte. Das war dem 25-jährigen Komponisten durchaus bewusst, als er sich, frisch nach Wien gezogen, verliebt und zum ersten Mal in seinem Leben unabhängig an die Arbeit machte. Es sollte sein erster großer Erfolg werden, der Publikum, dem royalen Auftraggeber (Kaiser Joseph II.) und auch prominenten Kollegen wie Goethe die Sprache verschlug. Mozarts vielschichtige Musik holt die Figuren aus ihrer scheinbaren Eindimensionalität heraus und verleiht ihnen mit all ihrer Uneindeutigkeit und Gebrochenheit eine berührende Tiefe.
Tomo Sugaos Inszenierung bringt mit einer Fülle an popkulturellen Referenzen ein Spiel exotistischer Phantasien auf den Plan, die der eurozentristischen Perspektive einen Spiegel vorhalten.
DIE NEUEN ABOS UND SPIELZEITHEFTE FÜR DIE SPIELZEIT 2024/ 2025 SIND AB DIENSTAG, 14. MAI 2024, ERHÄLTLICH. Mehr Infos auf Seite 8