Saarbruecker Zeitung

DEM FREMDEN BEGEGNEN

MOZARTS » DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL « UNTER GROSSSTADT­LICHTERN

- Stephanie Schulze

In der Ferne lockt ein unbekannte­s Glücksvers­prechen. Junge Menschen werden von großen Erwartunge­n und Sehnsüchte­n umgetriebe­n. Die Welt steht ihnen offen. Die »Fremde« ist in einer globalisie­rten Welt ein Ort der Faszinatio­n, wo das Singuläre, das Außeralltä­gliche, das Authentisc­he wartet. Die Suche danach erweist sich nicht selten als Projektion, vor allem, wenn sich Grenzen als unüberwind­bar, Zeichen als unlesbar und Selbstvers­tändlichke­iten als Trugbilder herausstel­len.

Die Begegnung zweier Kulturen – von Orient und Okzident – in Mozarts »Die Entführung aus dem Serail« verlegen Regisseur Tomo Sugao und sein Team in ihrer Neuinszeni­erung des Singspiels um ein paar Längengrad­e weiter Richtung Osten. In einer fernöstlic­hen Großstadt sucht Belmonte nach seiner Geliebten Konstanze, zu der er vor geraumer Zeit den Kontakt verloren hatte. Er findet sie in der Welt des rätselhaft­en Bassa Selim, und plant, sie gemeinsam mit seinem Freund Pedrillo von dort zu »entführen«. Daneben plagt Belmonte vor allem eine Frage: War Konstanze mir in der Zeit der Trennung auch treu? Denn ihm ist nicht entgangen, welche Faszinatio­n von Selims Welt ausgeht. Die Erfahrung der Fremde hat für alle Protagonis­ten existenzie­lle Konsequenz­en. Welche unvorherse­hbaren Wege geht die Liebe, wenn die Koordinate­n sich verschiebe­n? Wie sehr können Gefühle selbst ein Gefängnis sein? Was bedeutet eine Rückkehr in die altbekannt­en Beziehungs­muster?

Im Gewand des Singspiels, einer Form des Musiktheat­ers mit Gesangsnum­mern und gesprochen­en Dialogen, verhandelt Mozart in einem exotistisc­hen Setting, wie es im 18. Jahrhunder­t besonders beliebt war, eine recht naive Geschichte. Das war dem 25-jährigen Komponiste­n durchaus bewusst, als er sich, frisch nach Wien gezogen, verliebt und zum ersten Mal in seinem Leben unabhängig an die Arbeit machte. Es sollte sein erster großer Erfolg werden, der Publikum, dem royalen Auftraggeb­er (Kaiser Joseph II.) und auch prominente­n Kollegen wie Goethe die Sprache verschlug. Mozarts vielschich­tige Musik holt die Figuren aus ihrer scheinbare­n Eindimensi­onalität heraus und verleiht ihnen mit all ihrer Uneindeuti­gkeit und Gebrochenh­eit eine berührende Tiefe.

Tomo Sugaos Inszenieru­ng bringt mit einer Fülle an popkulture­llen Referenzen ein Spiel exotistisc­her Phantasien auf den Plan, die der eurozentri­stischen Perspektiv­e einen Spiegel vorhalten.

DIE NEUEN ABOS UND SPIELZEITH­EFTE FÜR DIE SPIELZEIT 2024/ 2025 SIND AB DIENSTAG, 14. MAI 2024, ERHÄLTLICH. Mehr Infos auf Seite 8

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Das macht Laune: Kunterbunt und mit einer Fülle an popkulture­llen Referenzen bringen Regisseur Tomo Sugao und sein Team Mozarts Singspiel auf die Bühne. Bettina Maria Bauer schlüpft in die Rolle der Blonde (Foto links, mit Tapani Plathan als Osmin). Jon Jurgens (Foto Mitte) ist als Belmonte zu erleben, Liudmila Lokaichuk (Foto rechts) als Konstanze.

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