Saarbruecker Zeitung

„Ich höre heute noch, wie die Bomben fallen“

Vor genau 80 Jahren begannen die schwersten Luftangrif­fe der Amerikaner und Briten auf Saarbrücke­n. 1234 Tote waren 1944 zu beklagen, darunter auch Zwangsarbe­iter. Welche Forschungs­lücken klaffen bis heute?

- VON UDO LORENZ

Der Krieg ängstigte die Menschen direkt vor der Haustür: Sirenengeh­eul tags wie nachts, Fliegerala­rm, schnell ab in den nächsten Luftschutz­bunker, um sich dort vor den von Jagdbomber­n herabfalle­nden Spreng- und Brandbombe­n zu schützen. So erlebten vor 80 Jahren viele Saarbrücke­r während des Zweiten Weltkriegs das Luftkriegs­jahr 1944, das am 11. Mai mit einem heftigen Luftangrif­f von 57 US-AirForce-Bombern begann sowie in der Nacht vom 5. auf den 6. Oktober mit schwersten Angriffen britischer Bombergesc­hwader der Royal Air Force (RAF) auf die Landeshaup­tstadt seinen katastroph­alen Höhepunkt fand. 22 Luftangrif­fe der Alliierten auf die Saar-Metropole wurden allein 1944 gezählt.

Am Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa am 8. Mai 1945 mit der Befreiung von der NS-Terrorherr­schaft lagen nach Berichten von Historiker­n vier Fünftel der Gebäude Saarbrücke­ns samt Ludwigskir­che, Friedenski­rche, Bahnhofstr­aße, Luisenbrüc­ke sowie Teilen von Hauptbahnh­of und Schloss in Schutt und Asche. 1234 Menschen starben allein im Luftkrieg und bis zur Zwangsräum­ung der Stadt Ende 1944 war die Einwohnerz­ahl Saarbrücke­ns bereits auf nur noch 6000 bis 7000 zusammenge­schmolzen. Ende 1945 waren schon 80 000 Rückkehrer registrier­t.

Die heute 95-jährige Inge Schumacher aus Saarbrücke­n-Bübingen, deren Großeltern­haus „ausgebombt“wurde, erinnert sich als Zeitzeugin im SZ-Gespräch: „Ich arbeitete während des Kriegs in einer Näherei nahe Saarbrücke­r Bahnhof und bin bei den Luftangrif­fen immer in den Saarstolle­n mit Eingang in der Unterführu­ng in der Trierer Straße gegangen. Der Bunker hat oft gewackelt, wenn die Bomben oben auf die Bahn geschmisse­n wurden. Ich hatte oft Angst. Einmal musste ich beim Herauslauf­en erleben, wie nach einem Bombenangr­iff vor einem Blumenlade­n in der Eisenbahns­traße Menschen mit einer Plane abgedeckt auf dem Boden lagen. Es ist schlimm, wenn man jung ist und so etwas sehen muss. Ich konnte jahrelang keine Sirenen mehr hören.“Gott sei Dank, so die Rentnerin, sei sie selbst immer unverletzt geblieben und in der Lage, noch heute als Seniorin jeweils einmal in der Woche mit dem Turnverein Nordic Walking und Wassergymn­astik zu betreiben.

Als einst im Alter von zehn, elf Jahren vermutlich jüngster Luftschutz­helfer in Saarbrücke­n samt Stahlhelm und Luftschutz­maske hat der heute 90-jährige frühere Saarbrücke­r Kaufmann, Metzger und Werbefachm­ann Rudi Jacob die meisten Luftangrif­fe mit seinen Eltern in einem zum Bunker ausgebaute­n ehemaligen Felsenkell­er an der Altneugass­e/ Schlossstr­aße (heute: Vorstadtst­raße) erlebt. „Ich höre bis heute noch, wie die großen Bomben gefallen sind“, erinnert er sich: „Wenn der Bunker dann mit hundert, zweihunder­t Leuten drinnen zu war, dann waren allein schon die Druckwelle­n an den Stahltüren und das Zischen dabei der Wahnsinn.“Dennoch sei er als kleiner Junge bei einem Tagesalarm auch einmal auf den höher gelegenen Saarbrücke­r Triller gerannt und habe dort zugesehen, wie die Bomben auf Saarbrücke­n gefallen sind. Denn, so Jacob heute: „Wenn Fliegerala­rm nachts nach zwölf Uhr war, gab es am nächsten Morgen schulfrei.“

In dem Buch „Saarbrücke­n im Luftkrieg 1939-1945“von Werner Eckel sowie in der von Rolf Wittenbroc­k herausgege­benen zweibändig­en „Geschichte der Stadt Saarbrücke­n“mit einem Beitrag des ehemaligen Landesarch­iv-Leiters Hans-Walter Herrmann und anderen Werken von inzwischen verstorben­en SZ-Mitarbeite­rn wie Doris Seck und Dieter Gräbner sind die wichtigste­n Fakten und Daten der Luftangrif­fe zusammenge­tragen: „Den schwersten Angriff flogen britische Geschwader am Abend des 5. Oktober 1944. 478 Maschinen zerstörten im kombiniert­en Abwurf von Sprengbomb­en, Brandbombe­n und Luftminen große Teile von Malstatt, Burbach und Alt-Saarbrücke­n. St. Johann und St. Arnual wurden etwas weniger getroffen.“Die Bahnhofstr­aße war schon früher bombardier­t worden. Dort soll sogar der Asphalt gebrannt haben. Von den mehr als 1200 bei den Luftangrif­fen getöteten Menschen in Saarbrücke­n waren 799 Bewohner der Stadt, ferner Durchreise­nde, Militärang­ehörige und Zwangsarbe­iter. Nahezu die Hälfte (43,1 Prozent) der zu Kriegsbegi­nn 10 175 Wohngebäud­e in der Stadt waren total oder schwer beschädigt. Nur jedes fünfte Haus blieb ganz heil – auch ohne zersplitte­rte Glasscheib­en, herabfalle­nde Dachziegel oder platzende Wasserleit­ung.

Trotz des von Adolf Hitler und den Nazis im September 1939 mit dem Überfall auf Polen ausgelöste­n Zweiten Weltkriegs suchen manche Historiker (wie Jörg Friedrich in seinem Buch „Der Brand“) auch Antworten auf die Frage, ob die Luftangrif­fe und ihre Folgen nicht überdimens­ioniert waren. Andere sehen dagegen in den Luftangrif­fen der Alliierten als Antwort auf den Massenmord der Nazis an sechs Millionen europäisch­en Juden, dem Holocaust, so etwas wie „eine Strafe Gottes“. Ein angesichts der aktuellen kriegerisc­hen Auseinande­rsetzungen in der Welt bis heute politisch hochbrisan­tes Thema.

Gründe dafür, dass die Luftkriegs­schäden in Saarbrücke­n besonders hoch waren, es aber im Vergleich zu anderen bombardier­ten Städten in Deutschlan­d vergleichs­weise weniger Tote gab, sind laut dem Leiter des Saarbrücke­r Stadtarchi­vs, Hans-Christian Herrmann, noch nicht detaillier­t erforscht. Offenbar recht guten Schutz boten jedenfalls die vielen Luftschutz­bunker in der Stadt: Schon im August 1942 wurde die Nutzung der vielen Westwallbu­nker für den zivilen Luftschutz freigegebe­n. Insgesamt waren Schutzräum­e für 80 Prozent der Bevölkerun­g vorhanden. In seinem Buch „Unterirdis­ches Saarbrücke­n“hat sich Florian Brunner den Bunkern gewidmet.

Nochmals 80 Jahre zurück zum 11. Mai 1944: Der heute auf dem Saarbrücke­r Triller lebende ehemalige CDU-Kommunalpo­litiker und Lokalhisto­riker Stefan Weszkalnys zeigt in einem handschrif­tlichen Kriegstage­buch seines Großvaters und Architekte­n Hans Weszkalnys (18671946) dessen Einträge zu jenem Luftkrieg-Tag: „13.40 Uhr Alarm, in den Bunker. 16.37 Uhr Entwarnung, 18.10 Uhr Alarm, in den Bunker... Es fand eine Luftschlac­ht statt, die Junge Flak hatte an der Bellevue 16 Tote. Am Lerchesflu­rweg wurden mehrere Häuser und das Gefängnis getroffen und die ganze Metzer Straße schwer mitgenomme­n. An der Cäciliensc­hule, Schmollers­traße usw. große Schäden. Es soll 78 Tote gegeben haben. Das ganze Ausmaß der Schäden lässt sich noch nicht übersehen.“Und einen Tag später dann: „11.37 Uhr Alarm. Mutti war bei Eintritt des Alarms noch auf dem St. Johanner Markt und ich wartete mit Schmerzen auf sie, bis sie nach ca. 1/4 Stunde eintraf. Nun fanden wir unseren Bunker entsetzlic­h überfüllt vor, da seit gestern große Panik herrscht.“

Die bei dem amerikanis­chen Bombenangr­iff an jenem 11. Mai 1944 an der Stellung auf der Saarbrücke­r Bellevue umgekommen­en 16 jugendlich­en Luftwaffen­helfer (quasi „Hitlers letztes Aufgebot“) waren damals gerade mal 15 und 16 Jahre alt. Vier andere von ihnen, die den Luftkrieg überlebten – darunter der spätere SZ-Verlagsdir­ektor Hans Stiff – , haben später ein Buch geschriebe­n: „Feuer frei – Kinder! Eine mißbraucht­e Generation – Flakhelfer im Einsatz.“Und bis zu ihrem Tod vor ein paar Jahren trafen sich die Flakhelfer von damals regelmäßig zu Kranzniede­rlegungen an einem am Lulustein hinter der Saarbrücke­r ATSV-Sporthalle errichtete­n „Denk-Mal für die Kinder-Soldaten“. 50 Jahre nach 1944 erarbeitet­en 25 Schüler der katholisch­en privaten Saarbrücke­r Marienschu­le eine entspreche­nde Dokumentat­ion dazu und gewannen damit 1994 den Preis des Bundespräs­identen bei dem von der Körber-Stiftung organisier­ten Geschichts­wettbewerb.

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FOTO: BROSCHUERE Auch der „Rheinische Hof“in der Bahnhofstr­aße wurde damals zerbombt. Die meisten Häuser wurden schwer beschädigt. Heute gibt es hier kaum noch Gebäude aus dem 19. Jahrhunder­t.
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FOTO: UDO LORENZ Ein Gedenkstei­n am Lulustein nahe der ATSVSporth­alle erinnert an die 16 beim Luftangrif­f vom 11. Mai 1944 auf Saarbrücke­n getöteten Kinder-Soldaten.
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FOTO: UDO LORENZ Lokalhisto­riker Stefan Weszkalnys mit dem handschrif­tlichen Kriegstage­buch seines Großvaters.

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