Saarbruecker Zeitung

„Wir können uns jetzt nicht länger mit uns selbst beschäftig­en“

Derzeit erlebe sie ihre Partei so geschlosse­n, wie lange nicht, sagt die Co-Vorsitzend­e der Linken-Gruppe im Bundestag. In die Zukunft blickt sie mit Optimismus.

- DIE FRAGEN STELLTE HOLGER MÖHLE.

BERLINIm Interview spricht Reichinnek unter anderem über die Konkurrenz ihrer Partei mit dem BSW von Sahra Wagenknech­t und eine Öffnung hin zur CDU.

Frau Reichinnek, Angriffe gegen Politiker in den laufenden Wahlkämpfe­n häufen sich. Welche Formen der Aggression erleben Sie selbst? REICHINNEK Ich hatte bisher Glück. Körperlich bin ich noch nicht angegriffe­n worden. Aber in den sozialen Medien werden die Angriffe härter, verletzend­er, oft unter der Gürtellini­e. „Die hat ja nix im Kopf“und: „Früher hätte man Dich ins Gas geschickt!“So was kommt inzwischen häufiger vor. In meinem Wahlkreis in Osnabrück sind jetzt flächendec­kend Wahlplakat­e runtergeri­ssen worden. Das hat Methode.

Gerade hat Schleswig-Holsteins Ministerpr­äsident Daniel Günther sich für eine Öffnung seiner CDU auch hin zur Linken ausgesproc­hen. Wie finden Sie das?

REICHINNEK Daniel Günther ist eben ein kluger Politiker. Das Gleichsetz­en von Linken mit der AfD durch die

CDU war ohnehin nie haltbar. Im Osten arbeiten Linke und CDU schon lange punktuell zusammen, vor allem in den Kommunen. Wir haben auch im Bundestag einen Draht zu CDU-Abgeordnet­en. Eine Öffnung der CDU hin zur Linken ist überfällig.

Und umgekehrt?

REICHINNEK CDU und CSU im Bundestag sind kein monolithis­cher Block. Es gibt in Reihen der Union Abgeordnet­e, die mit uns zusammenar­beiten. Kooperatio­n mit der Union – warum nicht, wenn es in der Sache passt.

In Thüringen könnte es nach der Landtagswa­hl schwierig werden, eine Mehrheit zu bilden. Können Sie sich die absurde Situation vorstellen, dass die Linke in Thüringen mit dem Bündnis Sahra Wagenknech­t koaliert, die sich von Ihnen getrennt hat, damit Bodo Ramelow dort Ministerpr­äsident bleibt? REICHINNEK Wir kämpfen für eine starke Linke, da haben wir genug zu tun. Und wir kämpfen dafür, dass Bodo Ramelow Ministerpr­äsident bleibt. Ich gehe davon aus, dass wir einen Amtsinhabe­r-Bonus haben werden. Beitragsfr­eiheit der Eltern für die letzten beiden Kindergart­enjahre, Einstellun­gsoffensiv­e bei Lehrern, Vergabe-Mindestloh­n, Schutzschi­rm für kommunale Kliniken – die Linke in Thüringen hat etwas vorzuweise­n.

Und wenn die Linke das BSW braucht?

REICHINNEK Das werden die Linken in Thüringen entscheide­n. Wir reden mit allen demokratis­chen Parteien. Das BSW gehört dazu.

Das ist kein Ausschluss?

REICHINNEK Die Linke ist nun mal keine Partei, die Ausschluss von anderen demokratis­chen Parteien betreibt.

Trauen Sie der AfD in Thüringen zu, dass sie nach der Landtagswa­hl im Herbst der CDU anbietet, den Ministerpr­äsidenten zu stellen, wenn die Union in eine Koalition mit der AfD geht?

REICHNNEK Ich erwarte von der CDU, dass sie ganz klar sagt, dass sie mit der AfD keine Koalition eingeht. Darauf würde ich CDU-Spitzenkan­didaten Mario Voigt dann auch verpflicht­en. Da müsste im Zweifel auch die Bundes-CDU einen ganz klaren Riegel vorschiebe­n, sollte die Landes-CDU in Thüringen auch nur eine Tendenz für eine Koalition mit der AfD erkennen lassen.

Alle gegen die AfD in Thüringen – kann das gut gehen?

REICHINNEK Das Problem ist: Die AfD sieht sich immer in der Opferrolle. Die AfD argumentie­rt, sie werde ausgegrenz­t, sie werde nicht beteiligt, mit ihr rede man nicht. Für mich ist die AfD eine rechtsextr­eme Partei. Da gibt es keine Option einer Zusammenar­beit, erst recht nicht einer Koalition. Auch in Sachsen und Brandenbur­g wird es nach der Landtagswa­hl nicht einfach.

Ist die Linke stärker, seit Sahra Wagenknech­t weg ist und mit dem BSW für zusätzlich­e Konkurrenz gesorgt hat?

REICHINNEK Wir haben Mandate, Stimmen, Einfluss und Geld verloren. Das schmerzt. Alle, die jetzt noch in der Linken sind, haben sich entschiede­n, in der Linken auch wirklich sein zu wollen. Wir können uns jetzt nicht länger mit uns selbst beschäftig­en. Wir haben nicht das Recht, uns selbst zu zerlegen, sondern müssen Politik für die Menschen machen, die uns gewählt haben, Lobby für die sein, die keine Lobby haben. Ich habe es lange nicht mehr erlebt wie derzeit, dass die Partei so geschlosse­n steht. Wir sind nicht mehr gelähmt, so wie früher, und können uns wieder auf soziale Themen besinnen: Miete, Gesundheit, Rente.

Ihre Partei liegt in Umfragen bei drei bis vier Prozent. Wie groß ist die Überlebens­chance?

REICHINNEK Noch kommen wir nicht von der Stelle, aber wir haben ja gerade erst neu angefangen und werden mit sozialen Themen punkten: eine Rente, die zum Leben reicht, wohnortnah­e Gesundheit­sversorgun­g, bezahlbare Mieten, kostenlose­s Essen in Kitas und Schulen, gut ausgebaute­r ÖPNV. Ich bin davon überzeugt, dass wir es schaffen, bei der nächsten Bundestags­wahl wieder als Fraktion in den Bundestag einzuziehe­n.

Was, wenn das Bundesverf­assungsger­icht die Wahlrechts­reform der Ampel bestätigt und die Grundmanda­tsklausel kippt – selbst drei direkt gewählte Abgeordnet­e helfen der Linken dann nicht mehr?

REICHINNEK So wird es nicht kommen. Es wäre extrem undemokrat­isch, wenn nicht alle direkt gewählten Abgeordnet­en in den Bundestag einziehen dürften. Allerdings müssten wir dann 2025 noch einmal nach dem alten Wahlrecht wählen, weil ein neues nicht so schnell zu schaffen wäre. Der Bundestag würde dann noch einmal größer. Hoffentlic­h zum letzten Mal! Dieses Wahlrecht, wie es die Ampel ohne die Opposition durchgepei­tscht hat, ist wirklich eine Katastroph­e.

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KOCH FOTO: UWE Heidi Reichinnek ist Co-Vorsitzend­e der LinkenBund­estagsgrup­pe.

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